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Friday, December 6, 2024

Meine Top-Alben 2024

It's Nikolaus Day, which means: Same procedure as every year, time for my favorite 2024 albums.

 

This year (don't take the order too serious):

 



  • Laurie Anderson: Amelia
  • Ryuichi Sakamoto: Opus (online version)
  • Elephant9 & Terje Rypdal: Catching Fire
  • Can: Live in Paris 1973
  • Can: Live in Aston 1977
  • Nick Cave & Bad Seeds: Wild God (Dolby Atmos)
  • Einstürzende Neubauten: Rampen
  • Peter Thomas: The Tape Masters, Vol. 1
  • Hans Zimmer: Dune, Part 2
  • Dubbelorganisterna: Volym 1

 

Furthermore:

 


 

  • Hans-Joachim Roedelius: 90
  • Pet Shop Boys: Nonetheless/Furthermore
  • Hermanos Gutiérrez: Sonido Cósmico 

 

Rediscovered:

 


 

  • Cowboy Junkies: The Trinity Sessions (1988) (Dolby Atmos)
  • Godley & Creme: The History Mix, Vol. 1 (1985)
  • Grateful Dead: Europe '72 (Dolby Atmos)
  • Jan Hammer: Escape from Television (1987)
  • David (Dave) Holland: Life Cycle (1983)
  • Peter Thomas Sound Orchester: Filmmusik (die 2-CD-Version, 1992)

 

All in all not the strongest year ever, and as always I'm sure I forgot something. I have to admit I fell in love with Dolby Atmos, a great new headphone experience that gives new life even to a record like the Dead's (although I'm not their biggest fan, but this record is essential anyways). Nice to hear from Terje Rypdal again, this is a melange somewhat between EL&P and King Crimson, hard work, but worth it. Dubbelorganisterna, in case you never heard that name, consists of leftovers from the drawers of late Bo Hansson & friends, recorded 2007 and 2014, limited to 600 copies. Film composer Peter Thomas would be 100 next year, there will be more about him then. Ryuichi Sakamoto needs no comment, this is the final goodbye. Dave Holland's solo cello recording is the right music for large, bright, white-painted rooms with few furniture. I love it.

May the next year come (in peace, if possible).


Wednesday, December 4, 2024

33 1/3: Hounds of Love

 

 

(Scroll down for English version)

 

Hätte mich bis jetzt jemand gefragt, welches ich für das beste Album von Kate Bush halte, ich hätte immer Hounds of Love genannt, das ich allerdings seit Jahren nicht mehr gehört habe. Nach der Lektüre von Leah Kardos' Buch bin ich mir nicht mehr sicher, ob es nicht doch eher The Dreaming ist. Nach ihren ersten beiden Platten hatte sich Kate gerade vom bestimmenden Einfluss der EMI befreit, hatte noch keinen eigenen Fairlight und kein eigenes Studio. Den Sampler hatte sie in der Arbeit an Never For Ever kennengelernt und setzte ihn auf The Dreaming mit viel mehr Neugierde ein. Sie lebte ansonsten von Dope, Schokolade, Kartoffelchips und Rotwein und erforschte, was man mit einem Studio so alles anstellen kann, wenn man sein eigener Produzent ist. Deswegen hat sie dann auf dem Grundstück ihrer Eltern ein eigenes gebaut. Auf The Dreaming, so denke ich, fand sie ihre wirkliche Stimme.

Wobei, damit es kein Missverständnis gibt, klar gesagt sein soll, dass Hounds of Love noch immer ein herausragendes Album ist, das ziemlich konkurrenzlos in der Poplandschaft steht.

Leah Kardos ist Lecturer in Music an der Kingston University in London. Sie kennt sich also aus und kann sachlich korrekt einordnen, worüber sie schreibt (das ist in der Reihe 33 1/3 leider nicht mehr selbstverständlich). Das Buch ist sehr logisch aufgebaut; nach einigen Worten über das Phänomen Kate Bush und ihre Ausnahmeposition im Musikbusiness und die Vorgänger dieses Albums bespricht Kardos die Platte Track für Track. Dabei geht sie auf die textlichen Inhalte ebenso ein wie auf die eingesetzten Instrumente, die Herkunft einiger Samples (etwa das berühmte "It's in the trees -- it's coming!" am Beginn von Track 2), die Musiker und die Produktion im Studio.

Das Hauptinstrument ist natürlich der Fairlight. Der, und mit ihm die Sampling-Technik, war damals, als das Album produziert wurde, das Neueste vom Neuen, und Kate war eine der ersten überhaupt, die das Ding konsequent einsetzten. Genau das löst heute meine obengenannten Zweifel aus, denn dieser typische, etwas "hauchige" Fairlight-Sound, der durch die noch recht niedrige Samplingrate zustandekommt und die ganze erste Seite des Albums dominiert, wirkt heute schlicht etwas angestaubt. Interessant ist aber wiederum, welche Sounds eben nicht aus dem Fairlight stammen, sondern von Musikern gespielt werden -- und die sind wieder mal handverlesen. Dabei stößt man auf einige Aha-Effekte, die mir bis dato nie bewusst aufgefallen waren, etwa die Tatsache, dass das Schlagzeug (bzw. die Drummachine) vollständig auf Metall (also Becken und Hi-Hat) verzichtet. Zudem gibt es Infos über den inhaltlichen, stellenweise sehr esoterischen, Hintergrund einiger Tracks, etwa "Cloudbusting". Aber bei Kate wundert einen das dann wieder nicht, ihre Texte hatten schon immer einen Spin in diese Richtung. Und dafür mag man sie ja schließlich.

Das Album Hounds of Love zerfällt in zwei Teile, die nichts miteinander zu tun haben. Die gesamte Seite 2 wird von dem Songzyklus The Ninth Wave bestimmt, der sowohl instrumental transparenter als auch inhaltlich kohärenter ist als die Seite 1. Auch hier gibt es wieder detaillierte Info sowohl über den Inhalt der einzelnen Songs als auch über die verwendeten Bestandteile. Wo etwa der rettende Hubschrauber herkommt (vom Pink-Floyd-Album The Wall nämlich) hatte ich schon selbst herausgehört, was es aber mit dem unheimlichen Männerchor auf sich hat und was er da eigentlich singt, das war mir neu -- ich dachte immer, es sei ein Traditional, aber es ist keines. Dass der Zyklus gelegentlich ein wenig mit Effekten überladen und überproduziert ist, das wird ebenso erwähnt.

Kardos' Blick auf das Album ist von großer Sympathie sowohl für das Werk selbst sowie für Kate Bush gekennzeichnet, ihr hoher Kenntnisstand macht die Lektüre aber nicht unbedingt immer einfach. Liest man etwa über "Mother Stands for Comfort" einen Satz wie 

"The verse decends from Am7 to Fmaj9, the temporarily pauses on a hamstrung resolution of Am7 over an E bass. In the reciprocal phrase, it makes a hopeful more to D9 (suggesting dorian mode), then a melancholy pivot to  baug4/D, affecting a twisted phrygian modal cadence back to the tonic (Am7) to go around again",

dann bin ich mir nicht sicher, ob das für die Mehrheit der Leser noch nachvollziehbar ist. Aber man kann nicht alles haben -- will man es gründlich, dann geht es nur so; will man es einfacher, wird es oberflächlicher bleiben.

Kardos geht im Anschluss noch ebenso gründlich auf die Live-Version der Ninth Wave ein, die Kate 2014 im Londoner Eventim Apollo (= das frühere Hammersmith Odeon, in dem Kate ihre erste und bislang einzige Tournee 1979 beendete) auf die Bühne stellte. Zunächst sollte das Ganze ein Film werden, doch daraus wurde nichts. Und es mussten alle Konzerte in derselben Arena stattfinden, weil eine sehr aufwendige Tontechnik installiert werden sollte. Als dann die 14 Konzerte angekündigt und aufgrund der Reaktionen sofort auf 22 erweitert wurden, waren die Tickets für alle Abende innerhalb einer halben Stunde weg. Einer der Auftritte wurde gefilmt, aber erschienen ist er bislang nicht, weder im Kino noch auf DVD. Dokumentiert ist das Event nur auf dem 3-CD-Album Before the Dawn. Überhaupt ist Kate Bush ja ein Familienunternehmen. Die Familie war irgendwie mit David Gilmour befreundet, der sie dann seinem Hauslabel EMI empfohlen hat. Und wenn Mr. Pink Floyd jemanden empfiehlt, dann widerspricht man nicht. Und ohne Kates Sohn (Bertie) hätte Before the Dawn nicht stattgefunden -- also auch hier wieder die Familie.

Es folgen am Ende einige Zeilen über die Reaktionen und Meinungen anderer Künstlerinnen (von Tori Amos über Björk bis zu Cat Power) über den Impact von Kate Bush. Dieses himmelhochlobende Kapitel haut mir schlicht zu sehr auf den frauenbewegten Punkt (und das soll Kate Bushs pionierhaftes Wirken nicht schmälern). Dabei geht es mir nicht mal speziell um dieses Buch; ich habe es nur nie für besonders interessant gehalten, was Künstler A über Künstler B meint. Andy Warhol war gut, weil Andy Warhol gut war, nicht, weil sich Schulze oder Lehmann von ihm beeinflusst fühlen. Jedes Kunstwerk muss für sich bestehen. Die Werke von Kate Bush können das. Wenn Tori Amos sagt, "the Ninth Wave turned me inside out ... It changed my life. I left the man I was living with because of this record" -- dann scheint mir die Beziehung wohl auch schon vorher nicht allzu stabil gewesen zu sein ...  

Aber der Rest des Buches ist lesenswert.


Leah Kardos:
Hounds of Love
Bloomsbury, 33 1/3, New York, London, Dublin 2024
ISBN 979-8-7651-0699-0

 

If someone had asked me which I thought was Kate Bush's best album, I would always have said Hounds of Love, although I haven't heard it for years. After reading Leah Kardos' book, I'm not sure if it's not The Dreaming after all. After her first two records, Kate had just freed herself from the dominating influence of EMI and didn't yet have her own Fairlight or studio. She had discovered the sampler while working on Never For Ever and used it with much more curiosity on The Dreaming. Otherwise, she lived on dope, chocolate, potato chips and red wine and explored what you can do with a studio when you're your own producer. That's why she built her own studio on her parents' property. I think she found her real voice on The Dreaming.

Although, to avoid all misunderstandings, it should be said clearly that Hounds of Love is still an outstanding album and pretty much unrivaled in the pop landscape.

Leah Kardos is a music lecturer at Kingston University in London. So she knows her stuff and can correctly classify what she is writing about (unfortunately, this is not a given in the 33 1/3 series anymore). The book is very logically structured; after a few words about the Kate Bush phenomenon, her exceptional position in the music business and the predecessors of this album, Kardos discusses the record track by track. She goes into the lyrical content as well as the instruments used, the origin of some of the samples (such as the famous "It's in the trees -- it's coming!" at the beginning of track 2), the musicians and the production in the studio.

The main instrument is of course the Fairlight. This, and with it the sampling technology, was the latest thing at the time the album was produced, and Kate was one of the first musicians to use this machine consistently. This is exactly what triggers my above-mentioned doubts today, because this typical, somewhat "breathy" Fairlight sound (which is created by the quite low sampling rate) that dominates the entire first side of the album, simply seems a bit outdated today. Even more it is interesting to see which sounds do not come from the Fairlight, but are played by musicians - and they are once again hand-picked. You come across some aha effects that I had never noticed before, such as the fact that the drums (or rather the drum machine) do not use any metal (cymbals and hi-hat). There is also information about the in places very esoteric background of some tracks, such as "Cloudbusting". But with Kate, that is no surprise, her lyrics have always had a spin in this direction. And that is why we love her.

The album Hounds of Love is divided into two parts that have nothing to do with each other. The whole of side 2 is dominated by the song cycle The Ninth Wave, which is both more transparent in terms of instrumentation and more coherent in terms of content than side 1. Here, too, is given detailed information about the content of the individual songs as well as the components used. I had already figured out where the rescue helicopter came from (from the Pink Floyd album The Wall), but what the spooky male choir was all about and what they were actually singing was new to me - I always thought it was a traditional song, but it isn't. The fact that the cycle is occasionally a little overloaded with effects and overproduced is also mentioned.

Kardos' view of the album is characterized by great sympathy for both the work itself and for Kate Bush, but her high level of knowledge does not always make it an easy reading. If you read a sentence about "Mother Stands for Comfort" like

"The verse decends from Am7 to Fmaj9, the temporarily pauses on a hamstrung resolution of Am7 over an E bass. In the reciprocal phrase, it makes a hopeful more to D9 (suggesting dorian mode), then a melancholy pivot to b♭aug4/D, affecting a twisted phrygian modal cadence back to the tonic (Am7) to go around again",

then I'm not sure whether this will be comprehensible to the majority of readers. But you can't have everything -- if you want it thorough, then that's the only way; if you want it simpler, it will remain more superficial.

Kardos then goes on to discuss in just as much detail the live version of the Ninth Wave that Kate performed in 2014 at London's Eventim Apollo (the former Hammersmith Odeon, where Kate finished her first and so far only tour in 1979). The whole thing was supposed to be a film, but that didn't happen. And all the concerts had to take place in the same arena because very complex sound technology was needed. When the 14 concerts were announced and, due to the reactions, immediately expanded to 22, the tickets for all evenings were gone within half an hour. One of the performances was filmed, but has not yet been released, neither theatrically nor on DVD. The event is only documented on the 3-CD set Before the Dawn. Kate Bush is a family business anyway. Her family was somehow friends with David Gilmour, who then recommended her to his house label EMI -- and when Mr. Pink Floyd recommends someone, you don't say no. And without Kate's son (Bertie), Before the Dawn would not have happened -- so here again, it's a family affair.

At the end, there are a few lines about the reactions and opinions of other female artists (from Tori Amos to Björk to Cat Power) about the impact of Kate Bush. This chapter, full of praise, for my taste, simply hits a bit too hard on the women's movement point (and that is not to diminish Kate Bush's pioneering work). This is not directly connected to this book; I've never found it particularly interesting what artist A thinks about artist B. Andy Warhol was good because Andy Warhol was good, not because Schulze or Lehmann saw themselves as influenced by him. Every work of art has to stand on its own. And the work of Kate Bush does. When Tori Amos says, "the Ninth Wave turned me inside out ... It changed my life. I left the man I was living with because of this record" -- then it seems to me that the relationship wasn't particularly stable even before that ...

But the rest of the book is absolutely worth reading.

 

Leah Kardos:
Hounds of Love
Bloomsbury, 33 1/3, New York, London, Dublin 2024
ISBN 979-8-7651-0699-0

 

(This post was first published on flowworker.org.)


Tuesday, November 12, 2024

Und nochmal: "Autobahn" im Radio

 

WDR "Open" vom 12. November 2024 mit Klaus Walter. 

HIER nachzuhören.

Yours truly ist auch dabei.


Thursday, October 31, 2024

Yours truly im Schweizer Radio

Zwölf Minuten über Kraftwerks Autobahn heute im Schweizer Radio SRF Kultur mit Elisabeth Baureithel.

Hier zum Nachhören:

 Künste im Gespräch - Audio & Podcasts - SRF


Tuesday, October 29, 2024

Peter Thomas: The Tape Masters, Vol. 1

 

 

(Scroll down for English version!)

Wer die 1960er und 1970er Jahre bewusst mitbekommen hat, der weiß mit ziemlicher Sicherheit, wer Peter Thomas war. Selbst wer den Namen nicht kennt, hat Musik von ihm gehört. Speziell wird jeder, der sich für Filmmusik im Allgemeinen interessiert, bei dieser Namensnennung aufhorchen. 

Das Peter Thomas Sound Orchester (PTSO) war und ist ein klingender Name: Da war 1966 die siebenteilige TV-Serie Raumpatrouille, die natürlich jeder kennt (und sie bestand durchaus aus mehr als nur einem Bügeleisen), das Jahrzehnt brachte auch die Jerry-Cotton- und die Edgar-Wallace-Filme hervor, fester Bestandteil deutscher Trashkultur. Aber auch ein Meisterwerk wie Dr. Murkes gesammeltes Schweigen (nach der Satire von Heinrich Böll) stammt von 1964. Und die Durbridge-Straßenfeger. Nicht zu vergessen auch die grotesk-bombastische Constantin-Film-Fanfare. In den 1970ern kamen dann Der Kommissar, Derrick, Der Alte oder die ZDF-Show Der große Preis; im Kino gab es lausige Sex-Gurken wie den St. Pauli-Report, der Trash der Siebziger. Und überall hat das PTSO seine Spuren hinterlassen.

Nächstes Jahr wäre Peter Thomas 100 geworden. Das hat er leider nicht mehr ganz geschafft, 2020 hat er seine kosmische Adresse gewechselt. However, in jenen Jahren war er der deutsche Filmkomponist schlechthin -- hunderte von Musiken, ähnlich wie Andy Warhol in seinen frühen Jahren nahm er offenkundig jeden Auftrag an, der zu bekommen war und lieferte zuverlässig bestmögliche Qualität, je nach Zeitrahmen und Budget. Er war unglaublich produktiv, selten waren seine Musiken langweilig, sein Sound, seine Melodieführung war fast immer erkennbar. Nicht selten waren seine Musiken besser als die dazugehörigen Filme. 

Letzteres verdankt sich nicht zuletzt den Musikern, mit denen er immer wieder zusammenarbeitete, stellvertretend für etliche seien Lothar Meid, Klaus Doldinger, Otto Weiß, Olaf Kübler, Jan Hammer, Ingfried Hoffmann und Albert Mangelsdorff genannt. Denen ließ er, anders als andere Komponisten, große Freiheiten; nicht selten basierten seine Musiken auf Leadsheets, über die mehr oder weniger improvisiert wurde. Mit Eminenzen wie den genannten ging das. Aber auch die Arbeit mit Big Bands und Rundfunkorchestern hatte Thomas penibel drauf. Er war flexibel genug, mit allem zu arbeiten, was sich anbot.

Und doch fällt in seinen Musiken eine Vorliebe für bestimmte Standardbesetzungen auf: eine Rhythmusgruppe mit Solisten wie den genannten, dazu elektronische Orgel (selten mal ein Klavier), E-Gitarren, E-Bass, dazu Bläser, fast immer drei oder vier Posaunen. Deren Klang war durchaus prägend, das Ganze dann garniert mit viel klingendem Metall, Röhrenglocken, auf der Kuppe angeschlagenen Becken, dazu textlos singende, hohe bis sehr hohe Frauenstimmen (die waren in den 60ern en vogue), alles zusammen übergossen mit kathedralartigem Hall. Das war der Sound Peter Thomas'. Man erkannte ihn sofort.

Aber er hatte auch einen Draht zu klanglichen Experimenten. Für die Raumpatrouille verwendete er einen Vocoder. Vermutlich war er damit der erste Musiker, der ein solches Gerät in der Musik einsetzte, lange vor Kraftwerk. Zusammen mit dem Wiener Ingenieur Hansjörg Wicha entwickelte Peter Thomas das Thowiphon, ein Tasteninstrument, das bereits den später entwickelten Synthesizer vorwegnahm.

Und weil das alles noch nicht reichte, spielte Peter Thomas über seine Auftragskompositionen hinaus unter mehreren Pseudonymen auch sogenannte Archivmusik, auch Stock Music oder Library Music genannt, ein. Darunter sind Kompositionen zu verstehen, die bestimmte Stimmungen und Atmosphären wiedergeben, auslösen oder unterstützen. Sie stehen dann in Musikarchiven zur Verfügung, katalogartig sortiert nach Kategorien wie "Abendstimmung", "Verfolgungsjagd", "romantische Liebe", "Weltall" und was immer man sich sonst noch vorstellen mag. Werbespots, Wissenschaftsdokumentationen, Tierfilme et cetera geben selten Originalkompositionen in Auftrag, sie greifen stattdessen auf solche Archivproduktionen zurück.

Und einige dieser Archivmusiken von Peter Thomas sind nun erstmals erhältlich. Sein Sohn Philip, der sich seit einigen Jahren dahinterklemmt, Thomas' hunderte hinterlassene Tonbänder durchzugehen, zu restaurieren und sie sinnvoll zusammengestellt zu veröffentlichen, hat jetzt 25 solcher Archivtracks zusammengefasst.

Diese Tape Masters Vol. 1 bieten auf zwei 10-inch-LPs einen Querschnitt durch Thomas' Archivschaffen, und man staunt, wie vielfältig das ist. Große Besetzungen wechseln sich ab mit kleinen Combos, elektronische Experimentierereien kontrastieren mit eher hingeworfenen Skizzen, Klänge, die an Auftragskompositionen anknüpfen, folgen auf völlig eigenständige Werke, satter, jazziger Bigbandsound folgt auf Harfenklänge, Zupfgeigen oder spacige Weltraumsounds in der Nachfolge des Raumschiffes Orion, auch ein schräger "Nightmare on LSD" ist zu hören. Die meisten Stücke bewegen sich zwischen 1:30 und 2:30, zu hören inzwischen auch in den üblichen Streamingdiensten.

Diese Scheibe ist schon jetzt ein ziemlich sicherer Kandidat für meine Jahresliste. Unbedingte Empfehlung. 

 *

Anyone who was aware of the 1960s and 1970s will almost certainly know who Peter Thomas was. Even if you don't know the name, you've heard music by him. Anyone who is interested in film music in general will probably be struck by the mention of this name.

The Peter Thomas Sound Orchestra (PTSO) was and is well-known: In 1966 there was the seven-part TV series Raumpatrouille (Space Patrol), which of course everyone knows (and definitely consisted of more than just the legendary flat iron), the decade also produced the Jerry Cotton and Edgar Wallace films, an integral part of German trash culture. But a satirical masterpiece such as Murke's Collected Silences after a short story by Heinrich Böll also dates from 1964. And there were the Durbridge "street sweepers", as we called them in Germany, because the streets were empty when they were shown. And not to forget the grotesque, bombastic Constantin Film fanfare. Then in the 1970s came crime series Der Kommissar, Derrick, Der Alte and the TV gameshow Der große Preis; in the movie theaters there was erotic rubbish like the St. Pauli Report, the trash of the Seventies. And the PTSO left its mark everywhere.

Next year Peter Thomas would have turned 100. Unfortunately he didn't quite make it, in 2020 he changed his cosmic address. However, in those years he was the German film composer par excellence -- he wrote hundreds of pieces of music, similar to Andy Warhol in his early years he obviously accepted every commission that was available, and reliably he delivered the best possible quality, depending on time frame and budget. He was incredibly productive, his music was rarely boring, his sound, his melodies were almost always recognizable. His music was often better than the films it was made for.

The latter is not least thanks to the musicians with whom he worked again and again -- Lothar Meid, Klaus Doldinger, Otto Weiß, Olaf Kübler, Jan Hammer, Ingfried Hoffmann and Albert Mangelsdorff are representative of many of them. Unlike other composers, he gave them great freedom; his music was often based on lead sheets, which were more or less improvised over. This was possible with eminent artists such as those mentioned. But Thomas was also meticulous about working with big bands and radio orchestras. He was flexible enough to work with anything that was available.

And yet his music shows a preference for certain standard line-ups: a rhythm section with soloists such as those mentioned, plus electronic organ (rarely a piano), electric guitars, electric bass, plus brass, almost always three or four trombones. Their sound was definitely distinctive, the whole thing garnished with lots of ringing metal, tubular bells, cymbals struck on the top, plus high-pitched female voices singing without text (these were en vogue in the 60s), all bathed in cathedral-like reverb. That was Peter Thomas' sound. You recognized him immediately.

But he also had a knack for sound experiments. He used a vocoder for Space Patrol. He was probably the first musician to use such a device in music, long before Kraftwerk. Together with the Viennese engineer Hansjörg Wicha, Peter Thomas developed the Thowiphon, a keyboard instrument that anticipated the synthesizer that came up a couple of years later.

And because all of that wasn't enough, Peter Thomas, under several pseudonyms, also recorded so-called archive music, also known as stock music or library music, in addition to his commissioned soundtracks. This refers to compositions that reproduce, trigger or support certain moods and atmospheres. This stuff is available in music archives, sorted in a catalog-like manner by categories such as "evening mood", "chase", "romantic love", "space" and whatever else you can imagine. Commercials, science documentaries, animal films, etc. rarely commission original compositions; instead, they use such archive productions.

And some of these archive musics by Peter Thomas are now available for the first time. His son Philip, who has been working for several years now going through the hundreds of tapes Thomas left behind, restored and published 25 of them in a meaningful way.

These Tape Masters Vol. 1 offer a cross-section of Thomas' archive work on two 10-inch LPs, and it is amazing how diverse these tracks are. Large ensembles alternate with small combos, electronic experiments contrast with rather thrown-together sketches, sounds that are reminiscent of commissioned compositions follow completely independent works, rich, jazzy big band sounds follow harp sounds, plucked violins or spacey cosmos sounds in the wake of Space Patrol, you can also hear a weird "Nightmare on LSD". Most of the pieces have a running time between 1:30 and 2:30, available now also in the usual streaming services.

This disc is already a pretty sure candidate for my annual list. Absolutely recommended. 


 

Wednesday, October 23, 2024

Thomas Kraft: Americana

 

 

Der Autor dieses Buches, Thomas Kraft, hat sich schon mit Radio-DJs, der Punk-Bewegung und so unterschiedlichen Persönlichkeiten wie Leonard Cohen, den Beatles oder Klaus Kreuzeder beschäftigt und ist auch sonst sehr umtriebig. Nun hat er sich ein Genre vorgenommen, das aus der US-Countrymusik entstanden ist und diese seit einigen Jahren mehr und mehr vereinnahmt: Americana.

Wenn in Deutschland heute von den USA die Rede ist, dann ist es offenbar Standard geworden, sie als mindestens "tief gespalten" darzustellen, als ein Land, in dem es bei gleichzeitiger religiöser Verblendung sozial und politisch an allen Ecken brennt, in dem Chaos, Schießereien, Rassismus und Polizeigewalt die Städte beherrschen. Drunter tun wir's nicht. 

In dieser Hinsicht lässt sich auch dieses Buch nicht lumpen: "Ein zerrissenes Land im Spiegel der Country Music" soll uns vorgestellt werden. Auf 30 Seiten Einführung über "Country und Politik" folgen konsequent nochmal rund 30 Seiten über "das zerrissene Land", wie es der Autor sieht. Und da fehlt nichts, von "Black Lives Matter" bis zu Trump, von 50.000 Obdachlosen in Los Angeles bis zu der Behauptung, in Washington sei eine weiße Durchschnittsfamilie 81-mal (!) reicher als eine schwarze. (Man überlege vielleicht kurz, wer in Washington lebt.) Seite um Seite folgt eine soziale Katastrophe der nächsten, das Elend ist himmelschreiend, die Dramaturgie dieser beiden Kapitel folgt der alten Drehbuchweisheit: "Mit einem Erdbeben beginnen und dann langsam steigern". Man ahnt ja, was der Autor will, aber irgendwann fragt sich auch der gutwilligste Leser, weshalb die Menschen, wenn doch alles so trostlos und schrecklich ist, nicht scharenweise nach Kuba oder Mexiko fliehen.  

Das Problematische an solchen US-Darstellungen ist immer, dass sie stimmen, aber trotzdem ein falsches Bild liefern. Denn obwohl das fast alles richtig ist, sind die USA noch immer eines der freiesten, offensten und kreativsten Länder der Welt. Wie kommen also solche Schlüsse zustande? 

So: Es werden deutsche Maßstäbe an die Lebens- und Denkweise der US-Amerikaner angelegt, und das geht fast zwangsläufig schief. Man meint in Deutschland immer, man wisse ja, "wie der Ami so tickt" -- aber man weiß es nicht. Die USA haben eine völlig andere kulturelle Prägung als europäische Länder -- aber wie anders, das lernt man nicht in einem oder zwei Studiensemestern oder ein paar Urlaubsreisen. Das braucht Jahre. Ich lebe seit jetzt 17 Jahren in den USA, und noch immer kann mich dieses Land täglich überraschen.

Man muss sich klarmachen, dass genau diese Widersprüche, diese sozialen und politischen Probleme der Motor sind, der die USA voranbringt. Sie lösen die Kreativität aus, weil man weiß, dass kein Politiker und keine staatliche Stelle kommen und sie lösen wird, sondern dass man sie selbst lösen muss. Während in Deutschland für jeden Gullydeckel "die Politik" zuständig ist, hält man sich hier die Politik lieber vom Leib. Dieses riesige Land, das schon innerhalb seiner eigenen Grenzen so vielfältig ist wie kaum ein anderes, ist in ständiger Veränderung und Bewegung, und das funktioniert, weil alle seit je damit zu leben gelernt haben, dass sie ein Teil dieses Prozesses sind.

Diese Anmerkungen sollen nun aber niemanden davon abhalten, Thomas Krafts Buch zu lesen. Je länger man nämlich darin liest, desto mehr wird fast beiläufig deutlich, was eigentlich die ursprüngliche Quelle der Country-Musik gewesen ist. Oder sagen wir: was eigentlich die Themen waren, die die Country-Musik geprägt haben. Weshalb sie in den USA entstanden ist, und weshalb sie nur hier entstehen konnte. Es war der Alltag, aber keineswegs der stets heile Alltag. Den gab es nie. Es waren und sind genau diese obengenannten Themen, die ihren Einfluss eingebracht haben, und trotzdem schließt es Kommerzialität nicht aus. Eine Sängerin wie etwa Loretta Lynn hat das immer gewusst, hat es nie ausgeklammert, und genau das hat ihren Erfolg ausgemacht. Das Volk, wie schon Brecht festgestellt hat, ist nämlich keineswegs so tümlich, wie man es ihm gern unterstellt.

Wenn man das im Hinterkopf behält, dann wird das vorliegende Buch von diesem Punkt an hochinteressant. In Kapitel 3, betitelt "Americana", schildert Thomas Kraft auf rund 150 Seiten die Geschichte der Country-Musik, ihre Wurzeln und ihre Entwicklung bis heute. Hier wird dann auch deutlich, weshalb diese Musik mehr als fast jede andere originär amerikanische Musikform immer ein Spiegelbild der US-Gesellschaft gewesen ist. Dabei holt der Autor weit aus, es werden nicht nur die Country-Stars im engeren Sinne vorgestellt, Leute also wie Hank Williams oder Johnny Cash, sondern auch Künstler, die aus anderen Ecken kommen, von der Creedence Clearwater Revival über Tom Petty bis zu Bob Dylan, von Willy Nelson, die Highwaymen über Doug Sahm und sein wunderbares Sir Douglas Quintet bis hin zum Tex-Mex. Auch die Arbeit einiger Produzenten wird berücksichtigt, erwähnt seien Daniel Lanois oder Owen Bradley. Da ergibt sich eine umfassende Genrebezeichnung wie "Americana" fast von selbst. Und der Witz ist, dass das alles zusammenpasst: Musikindustrie, Kommerz, die hochkommerzielle Grand Ole Opry, die Glitzeranzüge und überdimensionalen Stetsons, Johnny Cashs Folsom Prison, die Blue Ridge Mountains, der Mississippi, die nicht ausgesprochene Scheidung ("D-I-V-O-R-C-E") und die Vagabundenromantik der Eisenbahn, "this little teardrop" auf der Stimme einer tammy Wynette, einer Dolly Parton, die sich selbst auf die Schippe nimmt, indem sie sagt, es sei elend teuer, so billig auszusehen wie sie. So geht das. Es wird klar gesagt, dass manche Leute zu reich sind, aber eben auch, dass auch sie sich für all ihr Geld keine andere Coke kaufen können als du und ich.

Kleiner Schönheitsfehler: Dieses Kapitel ist zwar chronologisch, gleichzeitig aber als fortlaufende Darstellung angelegt, die von einem Namen zum nächsten springt. Da vermisst man schmerzlich ein Namensregister, das den Zugriff auf einzelne Künstlerpersonen und das Wiederfinden sehr erleichtern würde. Und klar, ein Vorhaben wie dieses Kapitel kann nicht vollständig sein, der Autor musste eine Auswahl treffen. So wird etwa die wunderbare k.d. lang, die das Countrygenre gleichermaßen lieben wie hochnehmen kann, auf gerade mal einer halben Seite abgehandelt, auch etwa Linda Ronstadts Einfluss auf das Entstehen von Bands wie den Eagles und ihr Umfeld vermisse ich.

Das ist aber zu verschmerzen, denn im letzten Teil des Buches stellt der Autor nicht weniger als 500 Alben vor, chronologisch von 1966 bis heute, viele davon mit kurzen oder ausführlichen Kommentaren. Hier findet man neben Genreklassikern auch viele Geheimtipps. Namen wie Tom Petty oder Lucinda Williams tauchen immer wieder auf, Emmylou Harris und Gram Parsons, aber eben auch The Band, The Byrds, die Allman Brothers, Lynyrd Skynyrd oder eben CCR. Fast alle dieser Platten sind mittlerweile auch in den Streamingdiensten zu finden. Eine Zusammenfassung der vielleicht 20 besten dieser Alben wäre schön gewesen, aber ohne sie kann man sich tagelang mit eigenen Forschungsarbeiten beschäftigen und lernt dabei mehr und Interessanteres kennen.

Das Buch kommt im übrigen mit vielen Fotos daher, die das Blättern zum Vergnügen machen. Ich kenne in deutscher Sprache kein vergleichbar informatives und gut lesbar geschriebenes Buch zum Thema -- unbedingte Empfehlung.

Wer dann auf den Geschmack kommt und weiterforschen möchte, sei vielleicht noch auf Ken Burns erstklassige PBS-Serie "Country Music" von 2019 hingewiesen; mehr dazu hier.

 

Thomas Kraft:
Americana -- Ein zerrissenes Land im Spiegel der Country Music
315 Seiten mit vielen Fotos
Verlag Andreas Reiffer, Meine 2024
ISBN 978-3-910335-25-7, 25 €

Tuesday, September 17, 2024

Gong!

 

Gestern vor 40 Jahren: Start einer der besten Produktionen, die die ARD je zustande gebracht hat.Und danach dann "Hundert Meisterwerke" -- kaum mehr vorstellbar, dass sowas im deutschen Buntfernsehen mal Programmbestandteil war.

Und dann das Ganze noch im Gong. In der Wahl der Programmzeitschrift steckte mehr als nur eine Frage des Preises. HörZu oder Gong -- das war ein Statement. Der traurige Rest hatte dann die Funkuhr oder TV hören und sehen.

Sunday, September 8, 2024

Amelia

 

 

"Die Leute haben geklatscht, wie man das halt so macht. Aber ich wäre am liebsten im Boden versunken. Eine sinfonische Komposition war ein Novum für mich. Ich hatte keine Ahnung, wie man so was macht. Nie wieder, sagte ich mir."

Laurie Anderson in einem NZZ-Interview über die Premiere von Amelia im Jahr 2000. Aber der Dirigent des Werkes, Dennis Russell Davies, sah die Sache offenbar nicht ganz so katastrophal und behielt das Stück im Kopf. Einige Jahre später schlug er Laurie vor, es ein zweites Mal zu riskieren, diesmal aber mit auf die Streicher reduziertem Orchester. Das gefiel ihr schon besser.

Es dauerte dann nochmals einige Jahre, bis Davies, der inzwischen Chefdirigent der Philharmonie Brünn geworden war, ihr vorschlug, das Werk nochmals auf die Bühne zu stellen. Den Mitschnitt dieser Version bearbeitete Laurie nach: Mit allerlei elektronischen Tricks aus ihrer eigenen Werkstatt und einigen Mitteln, die man aus der Hörspielproduktion kennt, veränderte sie Teile ihrer Sprechstimme (tatsächlich sind es wohl um die zehn verschiedene Stimmen, die sie so erzeugte), fügte Perkussionsinstrumente hinzu und heuerte als ergänzende Vokalistin die Künstlerin Anohni an. Das Ergebnis gibt es nun als Platte. 

Als ich meiner Liebsten erzählte, von Laurie Anderson sei eine Platte über Amelia Earhart zu erwarten, war ihre Reaktion, ob man denn da nichts Interessanteres hätte finden können. Ich wusste nicht, dass die amerikanischen Kinder mit der Geschichte dieser Flugpionierin schon in der Schule zugeschüttet werden. Insofern war ich ein bisschen skeptisch, was da wohl kommen würde.

Das Resultat ist trotz des recht sanften Gesamteindrucks kein Easy Listening. Es ist, soweit ich erinnere, das erste Mal, dass Laurie Anderson eine durchgehende, in sich geschlossene Geschichte erzählt, und die Platte erzeugt ein irgendwie ungutes Gefühl; man weiß ja, wie sie enden wird. Schockmomente gibt es aber nur selten, und selbst sie sind eher relativ. Das ist einerseits ein bisschen verblüffend, denn immerhin geht es um die versuchte Weltumrundung, die Amelia Earhart 1937 als erste Pilotin startete und die für sie und ihren Co-Piloten tödlich endete. Andererseits aber würden solche Ausbrüche wohl nicht mehr zu Lauries inzwischen doch sehr gereifter Stimme passen. Insgesamt ist das Werk eher harmonisch gehalten, verfügt aber dennoch über die Anderson-typische Intensität, die man von ihr kennt. Und die hält bis zum Ende, das nach 34 Minuten eher angedeutet als ausgespielt wird.

Wir folgen dem Flug, bis über dem Pazifik der Funkkontakt abbricht. Es gab später mehrere Suchaktionen, aber bis heute sind die Trümmer der Maschine nicht gefunden worden. Laurie verwendet unter anderem Texte, die auf Protokollen des Funkverkehrs, auf Interviews während Zwischenlandungen und Flugtagebüchern basieren. Der vollständige Text liegt der LP bzw. der CD bei; man muss ihn mitlesen, weil die Dramaturgie der Aufnahme einige Passagen fast unkenntlich macht.

Als nächstes soll dann wohl entweder United States, Part V folgen (für mein Gefühl vielleicht nicht unbedingt die beste Idee), oder, so ließ Laurie in einem "Guardian"-Interview verlauten, "von einem Schiff namens Arche." Warten wir's ab.

Frühbesteller des Albums Amelia erhielten zusätzlich eine signierte Druckgrafik im LP-Format. Sie zeigt ein seltenes, Fliegern aber bekanntes Phänomen: einen ringförmigen Regenbogen, der den Schatten des Flugzeuges auf der Regenwand umschließt. Ein passendes Bild.



 

Monday, August 19, 2024

Yours truly in "El País"

On August 14, 2024, Spanish paper El País had this article on the 50th anniversary of Kraftwerk's Autobahn

 

‘Autobahn’, el disco de los pioneros Kraftwerk que inauguró la era del pop electrónico, cumple 50 años

 


 
Here's the Google translation.


‘Autobahn’, the album by pioneers Kraftwerk that inaugurated the era of electronic pop, turns 50

Elena G. Sevillano
7–9 minutes
 
It was with their fourth album, Autobahn, in 1974, that the German band Kraftwerk found their holy grail. With a daring that disconcerted critics of the time, they placed synthesizers and drum machines at the center of their compositions. That album, which turns 50, was the seed of something new: in their songs they distilled a synthetic, robotic and minimalist sound; something that was cold and at the same time intensely evocative. Autobahn had inaugurated the era of electronic pop...
 
Their sound, consolidated in the following albums with songs like The Model, The Robots and Computer Love, paved the way for the emergence of great British techno-pop bands in the eighties such as Depeche Mode, New Order, Orchestral Manoeuvres in the Dark (OMD) and Human League, and continues to beat today in songs by Coldplay and in the staging of Daft Punk, among many others. The group, which after the death of Florian Schneider continues to be active with Ralf Hütter as captain, continues to cultivate its enigmatic aura, with very few interviews and the usual distance from its fans.
 
“Kraftwerk are the most important group in the history of popular music in the last almost 60 years,” wrote Andy McCluskey, singer of OMD, in the British magazine NME last September. He heard Autobahn at 16 and it changed his life: “That was the future.”
 
What did this new music evoke? Industrial soundscapes in futuristic environments to the rhythm of technological progress. The title track, Autobahn (highway in German), which lasted almost 23 minutes, was intended to suggest the pleasure of driving on the efficient German motorways, one of the great national prides.
 
It's beginning, however, was not very convincing. “The critics were lukewarm,” recalls the veteran German music journalist Jan Reetze, who has just published the essay Die Geschichte von Kraftwerks "Autobahn" (The History of Kraftwerk’s Autobahn), in which he analyzes the album from musical, cultural and technical perspectives.
 
“It was something new, and rock music critics pointed out that it worked well and that Kraftwerk had made a great leap compared to their previous albums, but they did not know very well where to place it. This was no longer rock music, but it was not serious music either, like Stockhausen or Ligeti,” Reetze answers EL PAÍS from his residence in Pittsburgh, Pennsylvania (USA).
 
Guided by the expertise of producer and sound engineer Conny Plank, the approach to the album was technically disruptive: “Autobahn was the first pop album to use electronics, especially the Minimoog synthesizer, as the defining element for an entire album,” he sums up.
 
Categorizing the group was not easy either. The band’s founders, Florian Schneider and Ralf Hütter, from Düsseldorf in the Ruhr area, saw themselves as a kind of alchemists who used the latest technology to create new sounds. With the addition of Wolfgang Flür and Karl Bartos shortly afterwards, they completed the original quartet that would come to be dubbed the “Beatles of electronics.”
 
They combined a self-absorbed stage performance, with the four performers playing their keyboards like technicians in a laboratory. “From the beginning they saw themselves not so much as a conventional band, but as a kind of multimedia art project,” Reetze suggests, a kind of gesamtkunstwerk, or total work of art with Wagnerian roots, combining music with design and the performing arts. They also cultivated an aloof image: “They made themselves inaccessible to both fans and the press; they put the joint project first and rejected personal stardom.”
 
Unexpectedly, the Autobahn album was a tremendous success in the United States. “It was a fluke,” Reetze emphasizes; “nobody could have predicted it.” “It was mainly university radio stations that discovered the album and played it all the time; students loved it and ordered it by mail (local record stores usually didn’t carry it).”
 
The Autobahn melody was meant to emulate a long highway trip. “It’s basically a description of a car journey from Düsseldorf to Hamburg,” Wolfgang Flür summed up, quoted in Uwe Schütte’s 2020 essay Kraftwerk: Future Music from Germany: “If you know the route, you’ll recognise the sounds: the mechanical sounds represent the industry of the Ruhr Valley, the conveyor belts of the mining towns of Bottrop and Castrop-Rauxel. Then you have the strip through the rural area of ​​Münsterland, where the countryside is symbolised by the flute and the song gives a completely different feeling. In short: Volkswagen and Daimler, Thyssen and Krupp, beautiful landscapes, and in between the long, winding autobahn – a classic German tale of our times.”
 
On their transatlantic success
 
Perhaps one of those curious misunderstandings helped in understanding the songs. While the original lyrics read “Wir fahr’n, fahr’n, fahr’n auf der Autobahn” (we drive on the highway), in English they sounded very similar to “We have fun, fun fun on the Autobahn.” It seems that somehow this similarity connected the band with the Beach Boys and their song Fun, fun, fun. “Of course, this is nonsense, but there was not a single article in the American press that didn’t mention it,” says Reetze.
 
“The success on college radio was enough to push the album to number 5 on the Billboard album charts,” Reetze recalls. The record company then shortened the song from 22:40 to three and a half minutes and it was also a hit on the singles charts: 23 in the Top 40. In the US, Kraftwerk found a very receptive audience and even went on a 40-concert tour.
 
This unexpected coup opened the doors to the United Kingdom, where their music, with albums such as Trans Europe-Express (1977), The Man-Machine (1978) and Computer World (1981), inspired a new generation of young groups that would become world references in electronic music.
 
“Their greatest influence, I think, was in the second half of the seventies and eighties. The new wave and the new romantics of the United Kingdom, with bands such as Depeche Mode, OMD and New Order, among others, could not have been what they were without Kraftwerk; even a band like ABBA has Kraftwerk influences,” Reetze lists.
 
Their success is also attributed to a more earthy approach than other contemporary groups making electronic music. “While Tangerine Dream, Klaus Schulze and most of the Berlin school created very meditative and abstract cosmic music, Kraftwerk developed a kind of narrative that everyone could connect with,” Reetze notes. Their “factory folk music” fascinated pops like Brian Eno and David Bowie, who dedicated a song to Schneider.
 
In the US, Kraftwerk’s footprint is more indirect. “Autobahn was a hit, but it stopped there,” Reetze notes. However, in 1977 the album Trans Europe-Express was very well received by disc-jockeys in Chicago, Detroit and New York, who used it for their mixes. “That’s where you can find the trace of Kraftwerk, in today’s house and hip-hop,” he details.
 
Half a century later, Kraftwerk, now without Florian Schneider, who passed away in 2020, continues to incorporate the latest advances in musical creation. “They have always tried to be at the forefront of technology, and they adapt their repertoire accordingly. If you go to a Kraftwerk concert today, it is surprising how fresh songs from 50 years ago sound, such as Autobahn, which is still one of their central themes,” Reetze emphasises.
 
That album from half a century ago started a movement that shook pop. Schütte summarizes his impact like this: “As we know today, Autobahn would end up forever changing the course of 20th century popular music”. 
 


Saturday, July 27, 2024

Friday, July 19, 2024

Frumpy & Kraftwerk 1971

 

 

Concert poster, 1971

Seen in a record store in Dortmund

(Photo by Michael Engelbrecht)

Wednesday, July 17, 2024

Irène Schweizer 1941 - 2024

 

One time I saw her on stage, I don't remember where ... was it the Fabrik in Hamburg or was it a Jazzworkshop concert at NDR Studio 10 ...

What a loss. Auf Wiederhören, whenever and wherever.

Sunday, July 14, 2024

Ja, Hendrix hat gespielt.

 

Und Witthüser & Westrupp waren vor ihm da. Auf Fehmarn nämlich, bei dem legendär missglückten Rockfestival im September 1970. 

Bernd Witthüser und Walter Westrupp waren eine Institution, wenn schon nicht vor ihrem Fehmarn-Auftritt, dann auf jeden Fall danach. Bernd war als sogenannter "Protestsänger" in den Straßen von Essen und Umgebung unterwegs gewesen, war Geschäftsführer der Essener Songtage, dann traf er auf Walter. Mehr Liedermacher als (Kraut-)Rocker, wurden die beiden unter der Ägide des Produzenten Rolf-Ulrich Kaiser einige Jahre hoch erfolgreich, und man kennt sie vielfach noch heute. 

Lieder von Vampiren, Nonnen und Toten hieß ihr erstes Album, damals noch unter Witthüsers Namen veröffentlicht, aber Westrupp war bereits dabei. Trips und Träume hieß das zweite Album, nun unter ihrem gemeinsamen Namen als Duo, eine versponnene Mischung aus Folksongs, spoken word ("Karlchen"), einigen Orientalismen und dem Beinahe-Hit "Nimm einen Joint, mein Freund". 

Freundlicher, absurder, manchmal durchgeknallter, oft aus dem Tolkien-Universum inspirierter Humor und manchmal seltsam melancholische Balladen waren ihr Kennzeichen. Es gelang ihnen sogar das Kunststück, mit ihrem Jesuspilz-Programm, einer auf dem Gebrauch des "Gebrösels" beruhenden Neuinterpretation des Evangeliums, durch wohl rund 100 Kirchen zu touren. 

Nach ihrem Opus magnum Bauer Plath war Schluss. Bernd zog es nach Italien, wo er wurde, was er vorher war: Straßenmusiker, One-Man-Band unter dem Namen Barnelli; zeitweilig auch als Duo Otto & Bärnelli. In all diesen Jahren führte Bernd eine Art Tagebuch. Und als er sich 2017 in Grosseto auf eine Wiese legte und die Erde für immer verließ, blieb dieses Tagebuch zurück. Zum Glück hatte er es rechtzeitig dem Musikjournalisten Michael Fuchs-Gamböck in die Hand gedrückt, auf dass es der Nachwelt erhalten bleiben möge.

Viel war es nicht, und Michael musste auch erst einmal dekodieren, was darin stand. Das kann man jetzt nachlesen. Überraschungsarm, gleichwohl unterhaltsam sind sie, die meist kurzen Kapitelchen über Barnellis Abenteuer bei Auftritten, wo ihm beispielsweise das Gebiss rausflog, bei Grenzübertritten (wahrscheinlich hat jeder, der damals nach Amsterdam ins Paradiso fuhr, um eine Band zu hören, auf dem Rückweg selbst erlebt, wie ihm der deutsche Zoll die Karre zerlegte), und viele andere, meist drogenbenebelte Abenteuer der Landstraße.

Fuchs-Gamböck selbst gibt im Anschluss eine Kurzbeschreibung der damaligen "Krautrock"-Szene und die Rolle Witthüsers & Westrupps darin, gefolgt von einem Gespräch mit Walter Westrupp. Letzteres hätte für mein Gefühl gern länger ausfallen dürfen. Immerhin weiß man jetzt, dass er eine Chemo überstanden hat -- alles Gute weiterhin.

Mit Empfehlung vom Rat der Motten

 

Bernd Witthüser:
Hat Hendrix gespielt?
Plus ein Gespräch mit Walter Westrupp
Herausgegeben von Michael Fuchs-Gamböck
102 Seiten, Verlag Andreas Reiffer 2024.
ISBN 978-3-910335-10-3

Monday, June 10, 2024

Mahler 5

 


Jessie Montgomery: Coincident Dances

Michael Daugherty: Songs of the Open Road for Oboe, Horn and Orchestra
(World Premiere)

Gustav Mahler: Symphony No. 5

Pittsburgh Symphony Orchestra
Manfred Honeck, conductor

Cynthia Koledo DeAlmeida, oboe
William Caballero, horn

Pittsburgh, Heinz Hall, June 9, 2024


Manfred Honeck

(Scroll down for English translation)

Man kann sich natürlich fragen, weshalb eigentlich für Klassik-Konzerte immer wieder dieselben alten Schlachtrösser programmiert werden -- Beethoven, Brahms, Mozart, Bruckner, und eben Mahler. So ähnlich habe ich neulich auch gesprächsweise gefragt, weshalb eigentlich immer neue Bücher zum Thema Krautrock erscheinen, einem Thema, das doch eigentlich längst abgedroschen sein müsste. 

Lassen wir mal außen vor, dass gerade amerikanische Orchester zusehen müssen, woher sie ihr Geld bekommen, sie sind ja nicht staatlich subventioniert. Aber selbst, wenn sie subventioniert wären, wäre das falsch gedacht: Denn immer wieder sind neue Besucher da, die Mahlers Fünfte noch nie live im Konzertsaal gehört haben -- wenn sie sie überhaupt je gehört haben. Und für sie kann so ein Konzert ein lebenslang prägendes Erlebnis werden. Und in vergleichbarer Weise kann auch die Beschäftigung mit frühen Krautrock-Bands (oder überhaupt Bands, deren Mitglieder eigentlich schon das Rentenalter überschritten haben) für so manchen ein neues Abenteuer sein. Wer mal erlebt hat, wie begeistert die Kids sein können, wenn Papa sie zum ersten Mal mit zu einem Kraftwerk-Konzert mitgenommen hat, weiß das.

Dass das Pittsburgh Symphony Orchestra (PSO) zu einem Klangkörper gereift ist, der in die Top-Liga der amerikanischen Orchester gehört, spricht sich allmählich herum, wenn auch noch nicht so, wie es wünschenswert wäre. Und wenn eine Mahler-Sinfonie so dargeboten wird wie hier, dann bitte gern mehr von solchen Schlachtrössern. 

Das Orchester hat eine Fähigkeit, die ich bei anderen Orchestern selten so erlebt habe, und ich bin auch keineswegs mehr der Einzige, dem sie aufgefallen ist: Es kann extreme Lautstärken ebenso wie leisestes Flüstern bei größter Präzision präsentieren, und Maestro Honeck ist ein Dirigent, der diese Fähigkeit einzusetzen weiß. Und so flogen einem bei der Mahler-Sinfonie gelegentlich die Ohren weg. Man glaubt gar nicht, dass ein Orchester solche Lautstärken überhaupt erreichen kann. Aber Mahler ist ein Komponist, der immer wieder Momente bietet, in denen das gefordert ist. Und na gut, dass die Blechbläser dieses Orchesters tendenziell gern ein bisschen zu laut sind, ist nicht neu; das war mir schon vor 15 Jahren aufgefallen. Man kann damit leben. Vielleicht liegt es auch einfach an der Akustik der Halle.

Dass im übrigen auch Premieren ins Programm genommen werden, wie in diesem Fall Michael Daugherties Songs for the Open Road, ist zu begrüßen; dass die Solisten aus dem PSO stammen, desgleichen. Der Komponist war anwesend, die Besucher hatten vor dem Konzert die Möglichkeit, ein Gespräch mit ihm zu hören und Fragen zu stellen. -- Ein schönes Werk, nebenbei. Fast wie ein Road Movie. Und wer heute noch glaubt, dass neue Musik zwangsläufig zwölftönig sein muss, irrt. Die Komponisten sind längst weiter.


Of course, one might ask oneself why the same old warhorses are always programmed for classical concerts - Beethoven, Brahms, Mozart, Bruckner, and just Mahler. In a similar way, I recently asked in conversation why there are always new books being published on the subject of Krautrock, a subject that should really have been hackneyed long ago.

Let's ignore the fact that American orchestras in particular have to find out where they get their money from, since they are not subsidized by the state. But even if they were subsidized, it would be a mistake to think this way: Because there are always new visitors who have never heard Mahler's Fifth live in a concert hall - if they ever heard it at all. And for them, such a concert can be a life-changing experience. And in a similar way, engaging with early Krautrock bands (or bands in general whose members are actually already past retirement age) can be a new adventure for many. Anyone who has ever experienced how excited kids can be when dad takes them to a Kraftwerk concert for the first time knows this.

The fact that the Pittsburgh Symphony Orchestra (PSO) has matured into an orchestra that belongs in the top league of American orchestras is gradually getting around, even if not as much as we would like. And if a Mahler symphony is performed as it is here, then please let's see more of these warhorses.

The orchestra has a skill that I have rarely heard in other orchestras, and I am by no means the only one who has noticed it: it can present extreme volumes as well as the quietest whispers with the greatest precision, and Maestro Honeck is a conductor who knows how to use these skills. And so the Mahler Symphony occasionally made your ears fly off. You wouldn't believe that an orchestra can even reach such volumes. But Mahler is a composer who repeatedly offers moments where this is required. And well, the fact that the brass section of this orchestra tends to be a bit too loud is nothing new; I noticed that 15 years ago already. One can live with that. Maybe it's just the acoustics of the hall.

The fact that premieres are also included in the program, such as in this case Michael Daughertie's Songs for the Open Road, is to be welcomed; the fact that the soloists come from the PSO is also a good thing. The composer was present, and the audience had the opportunity to hear a conversation with him and ask questions before the concert. -- A beautiful work, by the way. Almost like a road movie. And anyone who still believes that new music has to be twelve-tone is wrong. Composers have long since moved on.