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Wednesday, October 23, 2024

Thomas Kraft: Americana

 

 

Der Autor dieses Buches, Thomas Kraft, hat sich schon mit Radio-DJs, der Punk-Bewegung und so unterschiedlichen Persönlichkeiten wie Leonard Cohen, den Beatles oder Klaus Kreuzeder beschäftigt und ist auch sonst sehr umtriebig. Nun hat er sich ein Genre vorgenommen, das aus der US-Countrymusik entstanden ist und diese seit einigen Jahren mehr und mehr vereinnahmt: Americana.

Wenn in Deutschland heute von den USA die Rede ist, dann ist es offenbar Standard geworden, sie als mindestens "tief gespalten" darzustellen, als ein Land, in dem es bei gleichzeitiger religiöser Verblendung sozial und politisch an allen Ecken brennt, in dem Chaos, Schießereien, Rassismus und Polizeigewalt die Städte beherrschen. Drunter tun wir's nicht. 

In dieser Hinsicht lässt sich auch dieses Buch nicht lumpen: "Ein zerrissenes Land im Spiegel der Country Music" soll uns vorgestellt werden. Auf 30 Seiten Einführung über "Country und Politik" folgen konsequent nochmal rund 30 Seiten über "das zerrissene Land", wie es der Autor sieht. Und da fehlt nichts, von "Black Lives Matter" bis zu Trump, von 50.000 Obdachlosen in Los Angeles bis zu der Behauptung, in Washington sei eine weiße Durchschnittsfamilie 81-mal (!) reicher als eine schwarze. (Man überlege vielleicht kurz, wer in Washington lebt.) Seite um Seite folgt eine soziale Katastrophe der nächsten, das Elend ist himmelschreiend, die Dramaturgie dieser beiden Kapitel folgt der alten Drehbuchweisheit: "Mit einem Erdbeben beginnen und dann langsam steigern". Man ahnt ja, was der Autor will, aber irgendwann fragt sich auch der gutwilligste Leser, weshalb die Menschen, wenn doch alles so trostlos und schrecklich ist, nicht scharenweise nach Kuba oder Mexiko fliehen.  

Das Problematische an solchen US-Darstellungen ist immer, dass sie stimmen, aber trotzdem ein falsches Bild liefern. Denn obwohl das fast alles richtig ist, sind die USA noch immer eines der freiesten, offensten und kreativsten Länder der Welt. Wie kommen also solche Schlüsse zustande? 

So: Es werden deutsche Maßstäbe an die Lebens- und Denkweise der US-Amerikaner angelegt, und das geht fast zwangsläufig schief. Man meint in Deutschland immer, man wisse ja, "wie der Ami so tickt" -- aber man weiß es nicht. Die USA haben eine völlig andere kulturelle Prägung als europäische Länder -- aber wie anders, das lernt man nicht in einem oder zwei Studiensemestern oder ein paar Urlaubsreisen. Das braucht Jahre. Ich lebe seit jetzt 17 Jahren in den USA, und noch immer kann mich dieses Land täglich überraschen.

Man muss sich klarmachen, dass genau diese Widersprüche, diese sozialen und politischen Probleme der Motor sind, der die USA voranbringt. Sie lösen die Kreativität aus, weil man weiß, dass kein Politiker und keine staatliche Stelle kommen und sie lösen wird, sondern dass man sie selbst lösen muss. Während in Deutschland für jeden Gullydeckel "die Politik" zuständig ist, hält man sich hier die Politik lieber vom Leib. Dieses riesige Land, das schon innerhalb seiner eigenen Grenzen so vielfältig ist wie kaum ein anderes, ist in ständiger Veränderung und Bewegung, und das funktioniert, weil alle seit je damit zu leben gelernt haben, dass sie ein Teil dieses Prozesses sind.

Diese Anmerkungen sollen nun aber niemanden davon abhalten, Thomas Krafts Buch zu lesen. Je länger man nämlich darin liest, desto mehr wird fast beiläufig deutlich, was eigentlich die ursprüngliche Quelle der Country-Musik gewesen ist. Oder sagen wir: was eigentlich die Themen waren, die die Country-Musik geprägt haben. Weshalb sie in den USA entstanden ist, und weshalb sie nur hier entstehen konnte. Es war der Alltag, aber keineswegs der stets heile Alltag. Den gab es nie. Es waren und sind genau diese obengenannten Themen, die ihren Einfluss eingebracht haben, und trotzdem schließt es Kommerzialität nicht aus. Eine Sängerin wie etwa Loretta Lynn hat das immer gewusst, hat es nie ausgeklammert, und genau das hat ihren Erfolg ausgemacht. Das Volk, wie schon Brecht festgestellt hat, ist nämlich keineswegs so tümlich, wie man es ihm gern unterstellt.

Wenn man das im Hinterkopf behält, dann wird das vorliegende Buch von diesem Punkt an hochinteressant. In Kapitel 3, betitelt "Americana", schildert Thomas Kraft auf rund 150 Seiten die Geschichte der Country-Musik, ihre Wurzeln und ihre Entwicklung bis heute. Hier wird dann auch deutlich, weshalb diese Musik mehr als fast jede andere originär amerikanische Musikform immer ein Spiegelbild der US-Gesellschaft gewesen ist. Dabei holt der Autor weit aus, es werden nicht nur die Country-Stars im engeren Sinne vorgestellt, Leute also wie Hank Williams oder Johnny Cash, sondern auch Künstler, die aus anderen Ecken kommen, von der Creedence Clearwater Revival über Tom Petty bis zu Bob Dylan, von Willy Nelson, die Highwaymen über Doug Sahm und sein wunderbares Sir Douglas Quintet bis hin zum Tex-Mex. Auch die Arbeit einiger Produzenten wird berücksichtigt, erwähnt seien Daniel Lanois oder Owen Bradley. Da ergibt sich eine umfassende Genrebezeichnung wie "Americana" fast von selbst. Und der Witz ist, dass das alles zusammenpasst: Musikindustrie, Kommerz, die hochkommerzielle Grand Ole Opry, die Glitzeranzüge und überdimensionalen Stetsons, Johnny Cashs Folsom Prison, die Blue Ridge Mountains, der Mississippi, die nicht ausgesprochene Scheidung ("D-I-V-O-R-C-E") und die Vagabundenromantik der Eisenbahn, "this little teardrop" auf der Stimme einer tammy Wynette, einer Dolly Parton, die sich selbst auf die Schippe nimmt, indem sie sagt, es sei elend teuer, so billig auszusehen wie sie. So geht das. Es wird klar gesagt, dass manche Leute zu reich sind, aber eben auch, dass auch sie sich für all ihr Geld keine andere Coke kaufen können als du und ich.

Kleiner Schönheitsfehler: Dieses Kapitel ist zwar chronologisch, gleichzeitig aber als fortlaufende Darstellung angelegt, die von einem Namen zum nächsten springt. Da vermisst man schmerzlich ein Namensregister, das den Zugriff auf einzelne Künstlerpersonen und das Wiederfinden sehr erleichtern würde. Und klar, ein Vorhaben wie dieses Kapitel kann nicht vollständig sein, der Autor musste eine Auswahl treffen. So wird etwa die wunderbare k.d. lang, die das Countrygenre gleichermaßen lieben wie hochnehmen kann, auf gerade mal einer halben Seite abgehandelt, auch etwa Linda Ronstadts Einfluss auf das Entstehen von Bands wie den Eagles und ihr Umfeld vermisse ich.

Das ist aber zu verschmerzen, denn im letzten Teil des Buches stellt der Autor nicht weniger als 500 Alben vor, chronologisch von 1966 bis heute, viele davon mit kurzen oder ausführlichen Kommentaren. Hier findet man neben Genreklassikern auch viele Geheimtipps. Namen wie Tom Petty oder Lucinda Williams tauchen immer wieder auf, Emmylou Harris und Gram Parsons, aber eben auch The Band, The Byrds, die Allman Brothers, Lynyrd Skynyrd oder eben CCR. Fast alle dieser Platten sind mittlerweile auch in den Streamingdiensten zu finden. Eine Zusammenfassung der vielleicht 20 besten dieser Alben wäre schön gewesen, aber ohne sie kann man sich tagelang mit eigenen Forschungsarbeiten beschäftigen und lernt dabei mehr und Interessanteres kennen.

Das Buch kommt im übrigen mit vielen Fotos daher, die das Blättern zum Vergnügen machen. Ich kenne in deutscher Sprache kein vergleichbar informatives und gut lesbar geschriebenes Buch zum Thema -- unbedingte Empfehlung.

Wer dann auf den Geschmack kommt und weiterforschen möchte, sei vielleicht noch auf Ken Burns erstklassige PBS-Serie "Country Music" von 2019 hingewiesen; mehr dazu hier.

 

Thomas Kraft:
Americana -- Ein zerrissenes Land im Spiegel der Country Music
315 Seiten mit vielen Fotos
Verlag Andreas Reiffer, Meine 2024
ISBN 978-3-910335-25-7, 25 €

Tuesday, September 17, 2024

Gong!

 

Gestern vor 40 Jahren: Start einer der besten Produktionen, die die ARD je zustande gebracht hat.Und danach dann "Hundert Meisterwerke" -- kaum mehr vorstellbar, dass sowas im deutschen Buntfernsehen mal Programmbestandteil war.

Und dann das Ganze noch im Gong. In der Wahl der Programmzeitschrift steckte mehr als nur eine Frage des Preises. HörZu oder Gong -- das war ein Statement. Der traurige Rest hatte dann die Funkuhr oder TV hören und sehen.

Sunday, September 8, 2024

Amelia

 

 

"Die Leute haben geklatscht, wie man das halt so macht. Aber ich wäre am liebsten im Boden versunken. Eine sinfonische Komposition war ein Novum für mich. Ich hatte keine Ahnung, wie man so was macht. Nie wieder, sagte ich mir."

Laurie Anderson in einem NZZ-Interview über die Premiere von Amelia im Jahr 2000. Aber der Dirigent des Werkes, Dennis Russell Davies, sah die Sache offenbar nicht ganz so katastrophal und behielt das Stück im Kopf. Einige Jahre später schlug er Laurie vor, es ein zweites Mal zu riskieren, diesmal aber mit auf die Streicher reduziertem Orchester. Das gefiel ihr schon besser.

Es dauerte dann nochmals einige Jahre, bis Davies, der inzwischen Chefdirigent der Philharmonie Brünn geworden war, ihr vorschlug, das Werk nochmals auf die Bühne zu stellen. Den Mitschnitt dieser Version bearbeitete Laurie nach: Mit allerlei elektronischen Tricks aus ihrer eigenen Werkstatt und einigen Mitteln, die man aus der Hörspielproduktion kennt, veränderte sie Teile ihrer Sprechstimme (tatsächlich sind es wohl um die zehn verschiedene Stimmen, die sie so erzeugte), fügte Perkussionsinstrumente hinzu und heuerte als ergänzende Vokalistin die Künstlerin Anohni an. Das Ergebnis gibt es nun als Platte. 

Als ich meiner Liebsten erzählte, von Laurie Anderson sei eine Platte über Amelia Earhart zu erwarten, war ihre Reaktion, ob man denn da nichts Interessanteres hätte finden können. Ich wusste nicht, dass die amerikanischen Kinder mit der Geschichte dieser Flugpionierin schon in der Schule zugeschüttet werden. Insofern war ich ein bisschen skeptisch, was da wohl kommen würde.

Das Resultat ist trotz des recht sanften Gesamteindrucks kein Easy Listening. Es ist, soweit ich erinnere, das erste Mal, dass Laurie Anderson eine durchgehende, in sich geschlossene Geschichte erzählt, und die Platte erzeugt ein irgendwie ungutes Gefühl; man weiß ja, wie sie enden wird. Schockmomente gibt es aber nur selten, und selbst sie sind eher relativ. Das ist einerseits ein bisschen verblüffend, denn immerhin geht es um die versuchte Weltumrundung, die Amelia Earhart 1937 als erste Pilotin startete und die für sie und ihren Co-Piloten tödlich endete. Andererseits aber würden solche Ausbrüche wohl nicht mehr zu Lauries inzwischen doch sehr gereifter Stimme passen. Insgesamt ist das Werk eher harmonisch gehalten, verfügt aber dennoch über die Anderson-typische Intensität, die man von ihr kennt. Und die hält bis zum Ende, das nach 34 Minuten eher angedeutet als ausgespielt wird.

Wir folgen dem Flug, bis über dem Pazifik der Funkkontakt abbricht. Es gab später mehrere Suchaktionen, aber bis heute sind die Trümmer der Maschine nicht gefunden worden. Laurie verwendet unter anderem Texte, die auf Protokollen des Funkverkehrs, auf Interviews während Zwischenlandungen und Flugtagebüchern basieren. Der vollständige Text liegt der LP bzw. der CD bei; man muss ihn mitlesen, weil die Dramaturgie der Aufnahme einige Passagen fast unkenntlich macht.

Als nächstes soll dann wohl entweder United States, Part V folgen (für mein Gefühl vielleicht nicht unbedingt die beste Idee), oder, so ließ Laurie in einem "Guardian"-Interview verlauten, "von einem Schiff namens Arche." Warten wir's ab.

Frühbesteller des Albums Amelia erhielten zusätzlich eine signierte Druckgrafik im LP-Format. Sie zeigt ein seltenes, Fliegern aber bekanntes Phänomen: einen ringförmigen Regenbogen, der den Schatten des Flugzeuges auf der Regenwand umschließt. Ein passendes Bild.



 

Monday, August 19, 2024

Yours truly in "El País"

On August 14, 2024, Spanish paper El País had this article on the 50th anniversary of Kraftwerk's Autobahn

 

‘Autobahn’, el disco de los pioneros Kraftwerk que inauguró la era del pop electrónico, cumple 50 años

 


 
Here's the Google translation.


‘Autobahn’, the album by pioneers Kraftwerk that inaugurated the era of electronic pop, turns 50

Elena G. Sevillano
7–9 minutes
 
It was with their fourth album, Autobahn, in 1974, that the German band Kraftwerk found their holy grail. With a daring that disconcerted critics of the time, they placed synthesizers and drum machines at the center of their compositions. That album, which turns 50, was the seed of something new: in their songs they distilled a synthetic, robotic and minimalist sound; something that was cold and at the same time intensely evocative. Autobahn had inaugurated the era of electronic pop...
 
Their sound, consolidated in the following albums with songs like The Model, The Robots and Computer Love, paved the way for the emergence of great British techno-pop bands in the eighties such as Depeche Mode, New Order, Orchestral Manoeuvres in the Dark (OMD) and Human League, and continues to beat today in songs by Coldplay and in the staging of Daft Punk, among many others. The group, which after the death of Florian Schneider continues to be active with Ralf Hütter as captain, continues to cultivate its enigmatic aura, with very few interviews and the usual distance from its fans.
 
“Kraftwerk are the most important group in the history of popular music in the last almost 60 years,” wrote Andy McCluskey, singer of OMD, in the British magazine NME last September. He heard Autobahn at 16 and it changed his life: “That was the future.”
 
What did this new music evoke? Industrial soundscapes in futuristic environments to the rhythm of technological progress. The title track, Autobahn (highway in German), which lasted almost 23 minutes, was intended to suggest the pleasure of driving on the efficient German motorways, one of the great national prides.
 
It's beginning, however, was not very convincing. “The critics were lukewarm,” recalls the veteran German music journalist Jan Reetze, who has just published the essay Die Geschichte von Kraftwerks "Autobahn" (The History of Kraftwerk’s Autobahn), in which he analyzes the album from musical, cultural and technical perspectives.
 
“It was something new, and rock music critics pointed out that it worked well and that Kraftwerk had made a great leap compared to their previous albums, but they did not know very well where to place it. This was no longer rock music, but it was not serious music either, like Stockhausen or Ligeti,” Reetze answers EL PAÍS from his residence in Pittsburgh, Pennsylvania (USA).
 
Guided by the expertise of producer and sound engineer Conny Plank, the approach to the album was technically disruptive: “Autobahn was the first pop album to use electronics, especially the Minimoog synthesizer, as the defining element for an entire album,” he sums up.
 
Categorizing the group was not easy either. The band’s founders, Florian Schneider and Ralf Hütter, from Düsseldorf in the Ruhr area, saw themselves as a kind of alchemists who used the latest technology to create new sounds. With the addition of Wolfgang Flür and Karl Bartos shortly afterwards, they completed the original quartet that would come to be dubbed the “Beatles of electronics.”
 
They combined a self-absorbed stage performance, with the four performers playing their keyboards like technicians in a laboratory. “From the beginning they saw themselves not so much as a conventional band, but as a kind of multimedia art project,” Reetze suggests, a kind of gesamtkunstwerk, or total work of art with Wagnerian roots, combining music with design and the performing arts. They also cultivated an aloof image: “They made themselves inaccessible to both fans and the press; they put the joint project first and rejected personal stardom.”
 
Unexpectedly, the Autobahn album was a tremendous success in the United States. “It was a fluke,” Reetze emphasizes; “nobody could have predicted it.” “It was mainly university radio stations that discovered the album and played it all the time; students loved it and ordered it by mail (local record stores usually didn’t carry it).”
 
The Autobahn melody was meant to emulate a long highway trip. “It’s basically a description of a car journey from Düsseldorf to Hamburg,” Wolfgang Flür summed up, quoted in Uwe Schütte’s 2020 essay Kraftwerk: Future Music from Germany: “If you know the route, you’ll recognise the sounds: the mechanical sounds represent the industry of the Ruhr Valley, the conveyor belts of the mining towns of Bottrop and Castrop-Rauxel. Then you have the strip through the rural area of ​​Münsterland, where the countryside is symbolised by the flute and the song gives a completely different feeling. In short: Volkswagen and Daimler, Thyssen and Krupp, beautiful landscapes, and in between the long, winding autobahn – a classic German tale of our times.”
 
On their transatlantic success
 
Perhaps one of those curious misunderstandings helped in understanding the songs. While the original lyrics read “Wir fahr’n, fahr’n, fahr’n auf der Autobahn” (we drive on the highway), in English they sounded very similar to “We have fun, fun fun on the Autobahn.” It seems that somehow this similarity connected the band with the Beach Boys and their song Fun, fun, fun. “Of course, this is nonsense, but there was not a single article in the American press that didn’t mention it,” says Reetze.
 
“The success on college radio was enough to push the album to number 5 on the Billboard album charts,” Reetze recalls. The record company then shortened the song from 22:40 to three and a half minutes and it was also a hit on the singles charts: 23 in the Top 40. In the US, Kraftwerk found a very receptive audience and even went on a 40-concert tour.
 
This unexpected coup opened the doors to the United Kingdom, where their music, with albums such as Trans Europe-Express (1977), The Man-Machine (1978) and Computer World (1981), inspired a new generation of young groups that would become world references in electronic music.
 
“Their greatest influence, I think, was in the second half of the seventies and eighties. The new wave and the new romantics of the United Kingdom, with bands such as Depeche Mode, OMD and New Order, among others, could not have been what they were without Kraftwerk; even a band like ABBA has Kraftwerk influences,” Reetze lists.
 
Their success is also attributed to a more earthy approach than other contemporary groups making electronic music. “While Tangerine Dream, Klaus Schulze and most of the Berlin school created very meditative and abstract cosmic music, Kraftwerk developed a kind of narrative that everyone could connect with,” Reetze notes. Their “factory folk music” fascinated pops like Brian Eno and David Bowie, who dedicated a song to Schneider.
 
In the US, Kraftwerk’s footprint is more indirect. “Autobahn was a hit, but it stopped there,” Reetze notes. However, in 1977 the album Trans Europe-Express was very well received by disc-jockeys in Chicago, Detroit and New York, who used it for their mixes. “That’s where you can find the trace of Kraftwerk, in today’s house and hip-hop,” he details.
 
Half a century later, Kraftwerk, now without Florian Schneider, who passed away in 2020, continues to incorporate the latest advances in musical creation. “They have always tried to be at the forefront of technology, and they adapt their repertoire accordingly. If you go to a Kraftwerk concert today, it is surprising how fresh songs from 50 years ago sound, such as Autobahn, which is still one of their central themes,” Reetze emphasises.
 
That album from half a century ago started a movement that shook pop. Schütte summarizes his impact like this: “As we know today, Autobahn would end up forever changing the course of 20th century popular music”. 
 


Saturday, July 27, 2024

Friday, July 19, 2024

Frumpy & Kraftwerk 1971

 

 

Concert poster, 1971

Seen in a record store in Dortmund

(Photo by Michael Engelbrecht)

Wednesday, July 17, 2024

Irène Schweizer 1941 - 2024

 

One time I saw her on stage, I don't remember where ... was it the Fabrik in Hamburg or was it a Jazzworkshop concert at NDR Studio 10 ...

What a loss. Auf Wiederhören, whenever and wherever.

Sunday, July 14, 2024

Ja, Hendrix hat gespielt.

 

Und Witthüser & Westrupp waren vor ihm da. Auf Fehmarn nämlich, bei dem legendär missglückten Rockfestival im September 1970. 

Bernd Witthüser und Walter Westrupp waren eine Institution, wenn schon nicht vor ihrem Fehmarn-Auftritt, dann auf jeden Fall danach. Bernd war als sogenannter "Protestsänger" in den Straßen von Essen und Umgebung unterwegs gewesen, war Geschäftsführer der Essener Songtage, dann traf er auf Walter. Mehr Liedermacher als (Kraut-)Rocker, wurden die beiden unter der Ägide des Produzenten Rolf-Ulrich Kaiser einige Jahre hoch erfolgreich, und man kennt sie vielfach noch heute. 

Lieder von Vampiren, Nonnen und Toten hieß ihr erstes Album, damals noch unter Witthüsers Namen veröffentlicht, aber Westrupp war bereits dabei. Trips und Träume hieß das zweite Album, nun unter ihrem gemeinsamen Namen als Duo, eine versponnene Mischung aus Folksongs, spoken word ("Karlchen"), einigen Orientalismen und dem Beinahe-Hit "Nimm einen Joint, mein Freund". 

Freundlicher, absurder, manchmal durchgeknallter, oft aus dem Tolkien-Universum inspirierter Humor und manchmal seltsam melancholische Balladen waren ihr Kennzeichen. Es gelang ihnen sogar das Kunststück, mit ihrem Jesuspilz-Programm, einer auf dem Gebrauch des "Gebrösels" beruhenden Neuinterpretation des Evangeliums, durch wohl rund 100 Kirchen zu touren. 

Nach ihrem Opus magnum Bauer Plath war Schluss. Bernd zog es nach Italien, wo er wurde, was er vorher war: Straßenmusiker, One-Man-Band unter dem Namen Barnelli; zeitweilig auch als Duo Otto & Bärnelli. In all diesen Jahren führte Bernd eine Art Tagebuch. Und als er sich 2017 in Grosseto auf eine Wiese legte und die Erde für immer verließ, blieb dieses Tagebuch zurück. Zum Glück hatte er es rechtzeitig dem Musikjournalisten Michael Fuchs-Gamböck in die Hand gedrückt, auf dass es der Nachwelt erhalten bleiben möge.

Viel war es nicht, und Michael musste auch erst einmal dekodieren, was darin stand. Das kann man jetzt nachlesen. Überraschungsarm, gleichwohl unterhaltsam sind sie, die meist kurzen Kapitelchen über Barnellis Abenteuer bei Auftritten, wo ihm beispielsweise das Gebiss rausflog, bei Grenzübertritten (wahrscheinlich hat jeder, der damals nach Amsterdam ins Paradiso fuhr, um eine Band zu hören, auf dem Rückweg selbst erlebt, wie ihm der deutsche Zoll die Karre zerlegte), und viele andere, meist drogenbenebelte Abenteuer der Landstraße.

Fuchs-Gamböck selbst gibt im Anschluss eine Kurzbeschreibung der damaligen "Krautrock"-Szene und die Rolle Witthüsers & Westrupps darin, gefolgt von einem Gespräch mit Walter Westrupp. Letzteres hätte für mein Gefühl gern länger ausfallen dürfen. Immerhin weiß man jetzt, dass er eine Chemo überstanden hat -- alles Gute weiterhin.

Mit Empfehlung vom Rat der Motten

 

Bernd Witthüser:
Hat Hendrix gespielt?
Plus ein Gespräch mit Walter Westrupp
Herausgegeben von Michael Fuchs-Gamböck
102 Seiten, Verlag Andreas Reiffer 2024.
ISBN 978-3-910335-10-3

Monday, June 10, 2024

Mahler 5

 


Jessie Montgomery: Coincident Dances

Michael Daugherty: Songs of the Open Road for Oboe, Horn and Orchestra
(World Premiere)

Gustav Mahler: Symphony No. 5

Pittsburgh Symphony Orchestra
Manfred Honeck, conductor

Cynthia Koledo DeAlmeida, oboe
William Caballero, horn

Pittsburgh, Heinz Hall, June 9, 2024


Manfred Honeck

(Scroll down for English translation)

Man kann sich natürlich fragen, weshalb eigentlich für Klassik-Konzerte immer wieder dieselben alten Schlachtrösser programmiert werden -- Beethoven, Brahms, Mozart, Bruckner, und eben Mahler. So ähnlich habe ich neulich auch gesprächsweise gefragt, weshalb eigentlich immer neue Bücher zum Thema Krautrock erscheinen, einem Thema, das doch eigentlich längst abgedroschen sein müsste. 

Lassen wir mal außen vor, dass gerade amerikanische Orchester zusehen müssen, woher sie ihr Geld bekommen, sie sind ja nicht staatlich subventioniert. Aber selbst, wenn sie subventioniert wären, wäre das falsch gedacht: Denn immer wieder sind neue Besucher da, die Mahlers Fünfte noch nie live im Konzertsaal gehört haben -- wenn sie sie überhaupt je gehört haben. Und für sie kann so ein Konzert ein lebenslang prägendes Erlebnis werden. Und in vergleichbarer Weise kann auch die Beschäftigung mit frühen Krautrock-Bands (oder überhaupt Bands, deren Mitglieder eigentlich schon das Rentenalter überschritten haben) für so manchen ein neues Abenteuer sein. Wer mal erlebt hat, wie begeistert die Kids sein können, wenn Papa sie zum ersten Mal mit zu einem Kraftwerk-Konzert mitgenommen hat, weiß das.

Dass das Pittsburgh Symphony Orchestra (PSO) zu einem Klangkörper gereift ist, der in die Top-Liga der amerikanischen Orchester gehört, spricht sich allmählich herum, wenn auch noch nicht so, wie es wünschenswert wäre. Und wenn eine Mahler-Sinfonie so dargeboten wird wie hier, dann bitte gern mehr von solchen Schlachtrössern. 

Das Orchester hat eine Fähigkeit, die ich bei anderen Orchestern selten so erlebt habe, und ich bin auch keineswegs mehr der Einzige, dem sie aufgefallen ist: Es kann extreme Lautstärken ebenso wie leisestes Flüstern bei größter Präzision präsentieren, und Maestro Honeck ist ein Dirigent, der diese Fähigkeit einzusetzen weiß. Und so flogen einem bei der Mahler-Sinfonie gelegentlich die Ohren weg. Man glaubt gar nicht, dass ein Orchester solche Lautstärken überhaupt erreichen kann. Aber Mahler ist ein Komponist, der immer wieder Momente bietet, in denen das gefordert ist. Und na gut, dass die Blechbläser dieses Orchesters tendenziell gern ein bisschen zu laut sind, ist nicht neu; das war mir schon vor 15 Jahren aufgefallen. Man kann damit leben. Vielleicht liegt es auch einfach an der Akustik der Halle.

Dass im übrigen auch Premieren ins Programm genommen werden, wie in diesem Fall Michael Daugherties Songs for the Open Road, ist zu begrüßen; dass die Solisten aus dem PSO stammen, desgleichen. Der Komponist war anwesend, die Besucher hatten vor dem Konzert die Möglichkeit, ein Gespräch mit ihm zu hören und Fragen zu stellen. -- Ein schönes Werk, nebenbei. Fast wie ein Road Movie. Und wer heute noch glaubt, dass neue Musik zwangsläufig zwölftönig sein muss, irrt. Die Komponisten sind längst weiter.


Of course, one might ask oneself why the same old warhorses are always programmed for classical concerts - Beethoven, Brahms, Mozart, Bruckner, and just Mahler. In a similar way, I recently asked in conversation why there are always new books being published on the subject of Krautrock, a subject that should really have been hackneyed long ago.

Let's ignore the fact that American orchestras in particular have to find out where they get their money from, since they are not subsidized by the state. But even if they were subsidized, it would be a mistake to think this way: Because there are always new visitors who have never heard Mahler's Fifth live in a concert hall - if they ever heard it at all. And for them, such a concert can be a life-changing experience. And in a similar way, engaging with early Krautrock bands (or bands in general whose members are actually already past retirement age) can be a new adventure for many. Anyone who has ever experienced how excited kids can be when dad takes them to a Kraftwerk concert for the first time knows this.

The fact that the Pittsburgh Symphony Orchestra (PSO) has matured into an orchestra that belongs in the top league of American orchestras is gradually getting around, even if not as much as we would like. And if a Mahler symphony is performed as it is here, then please let's see more of these warhorses.

The orchestra has a skill that I have rarely heard in other orchestras, and I am by no means the only one who has noticed it: it can present extreme volumes as well as the quietest whispers with the greatest precision, and Maestro Honeck is a conductor who knows how to use these skills. And so the Mahler Symphony occasionally made your ears fly off. You wouldn't believe that an orchestra can even reach such volumes. But Mahler is a composer who repeatedly offers moments where this is required. And well, the fact that the brass section of this orchestra tends to be a bit too loud is nothing new; I noticed that 15 years ago already. One can live with that. Maybe it's just the acoustics of the hall.

The fact that premieres are also included in the program, such as in this case Michael Daughertie's Songs for the Open Road, is to be welcomed; the fact that the soloists come from the PSO is also a good thing. The composer was present, and the audience had the opportunity to hear a conversation with him and ask questions before the concert. -- A beautiful work, by the way. Almost like a road movie. And anyone who still believes that new music has to be twelve-tone is wrong. Composers have long since moved on.

Wednesday, June 5, 2024

Can: Live in Aston 1977

 

This is the fifth of Can's "Live in ..." series, recorded again by some audience member, this time even in stereo -- these tiny little walkman units with stereo mics that came up in the late seventies made it possible. The sound quality is not bad, especially when using headphones.

This recording shows Can with a new line-up, as it was to be heard already on their album Saw Delight of the same year. Holger Czukay had given up the bass and handed it over to Rosco Gee of Traffic. Instead bass, Holger now added sound samples, using a shortwave radio and his famous dictaphone. The radio and the pre-recorded sounds on the dictaphone he could integrate into the live music with a morse key. Mostly the samples he uses are well known already -- mainly they come from Holger's solo albums Movies and Canaxis. But there's also a telephone which Holger used to randomly call people and integrate their clueless "Hello ...?" into the ongoing music.

While these external sounds work fine on Holger's own recordings and relatively well on Can's (dummyhead mixed) album Saw Delight, it does not really work in this live set. Holger's sounds remain in the background here and aren't making much sense -- one might get the impression they were more conceded than accepted. Holger left Can with the following album, Out Of Reach, and somehow you can feel the loss already here.

Anyways, Rosco Gee delivers a solid and sometimes funky bass fundament. The band somehow seems to anticipate already the overall sounds of their following LPs Out Of Reach (the only Can album that somehow failed), and the self-titled Can, which finished the chapter Can in 1979.

Live in Aston 1977 has four tracks, two long ones and two shorter ones, all in all around 45 minuted of playing time. "Two" is clearly an improvised version of their famous "Vitamin C", Damo's vocals are played here by guitar. In "Three", Irmin spurs his Alpha-77 unit (which contains mainly ring modulation and filters). There are also some keyboard hints to "Vernal Equinox" from the Landed album. In general, Jaki's drums tend to clatter along a bit, while Irmin's Farfisa organ is a bit too much in the foreground. But don't forget the source -- probably the bootlegger sat somewhere in front of him.


Tuesday, May 28, 2024

Unter Kraftwerks Einfluss

(Scroll down for English version)

 

Vor einigen Wochen habe ich in einer "Elektro Beats"-Sendung des RBB im Gespräch mit Olaf Zimmermann gesagt, der Einfluss Kraftwerks auf die amerikanische Musikszene werde in Deutschland gern ein bisschen überschätzt. Das führte zu einem spürbar aufgeregten Protest eines Hörers und einem daraus folgenden kleinen Email-Pingpong. Meine (leicht nachbearbeitete) Antwort auf seine letzte Message stelle ich nun auch hier in den Blog, just for fun -- vielleicht interessiert sie ja jemanden.

Lieber M., ich bitte Dich, bei dem zu bleiben, was ich in der Sendung gesagt habe: dass man in Deutschland den Einfluss Kraftwerks auf die amerikanische Musikszene gern ein bisschen überschätzt. Nicht mehr und nicht weniger.

Wenn Du ein paar Jahre hier in den USA lebst, dann merkst Du, dass es hier keine Rolle spielt, was in Deutschland passiert oder was Deutschland zu irgendeiner Angelegenheit meint. Wie oft lese ich in der deutschen Presse oder in deutschen FB-Kommentaren, "das Ausland" würde sich mal wieder über diese bekloppten Deutschen kaputtlachen oder nur noch den Kopf schütteln -- die Wahrheit ist aber, dass Deutschland in der New York Times mit viel Glück auf Seite 5 in einer viertel Randspalte vorkommt. Wenn Du hier irgendwen auf der Straße fragst, wer der deutsche Bundeskanzler ist, wird das der eine oder andere mal gehört haben, aber wer die deutsche Außenministerin ist, weiß hier kein Mensch. Mit Kraftwerk ist das nicht anders. Eher kennen die Leute Giorgio Moroder oder Hans Zimmer, aber die leben ja hier.

Dieser Spruch "More influential than the Beatles", auf den Du mich hinweist, ist erstens uralt, stammt, glaube ich, aus der Los Angeles Times, und war zweitens schon immer unsinnig. Woran wird denn das gemessen? Der Spruch vergleicht in geradezu klassischer Weise Äpfel mit Birnen, ohne dass es irgendeine empirische Möglichkeit gibt, den Einfluss zu messen. Was, konkret, soll es denn gewesen sein, das Kraftwerk in die amerikanische Musikszene eingebracht hat, das es nicht zumindest im Entwicklungsstadium hier schon gab? Also lass uns das mal unter PR abheften.

Aber wenn Du mir nicht glaubst, dann lass mich auf zwei Bücher hinweisen, die Du vielleicht glaubwürdiger findest. Das erste ist von Will Hermes und heißt "Love Goes to Buildings on Fire" (ich nehme an, Du kannst den Titel einordnen). 

 

Hermes schildert die Entwicklung der New Yorker Musikszene vom Punk bis zum HipHop, und das sehr kompetent, detailliert und liebevoll. Kraftwerk kommt darin genau zweimal vor, die Nennungen beziehen sich auf Trans Europe Express, und auch da nur auf das Titelstück, nicht auf den Rest des Albums. Der DJ Afrika Bambaataa hat das Stück für sich entdeckt, weil es sich exzellent in das einfügen ließ, was er und andere bereits machten (die Wurzeln dessen habe ich Dir früher schon genannt -- u.a. den Motown- und Stax-Soul und den elektrischen Miles Davis). Dadurch wurde das Stück eine Zeitlang zu einer Art "Dance Music Template" bei New Yorker DJs, die das Stück, besonders den "Metall auf Metall"-Teil immer wieder spielten. Grandmaster Flash zum Beispiel hat das Stück fest in seine Shows eingebaut, aber unverändert und ohne DJ-technisch irgendwas damit anzustellen. Von da aus ging es dann u.a. nach Detroit. Blondie, die Du erwähnst, haben es live auch eine Zeitlang in ihre Shows eingebaut als eine Art Teppich, auf dem sie eigene Sachen spielten.

Das war's aber dann im wesentlichen. Es haben sich einfach Wege zu einem bestimmten Zeitpunkt überkreuzt. Kraftwerk ist danach seinen Weg weitergegangen, und die HipHop/House-Szenen sind ihren Weg ebenso weitergegangen. Die letztere war dabei vorrangig angetrieben durch die ständigen neuen Produkte der Musikelektronikindustrie. Schon Kraftwerks auf TEE folgendes Mensch-Maschine-Album war ja ein völlig anderes Ding, auch wenn die Kraftwerker so clever waren, die Platte von Leanard Jackson, dem Assistenten des alten Motown-Veteranen Norman Whitfield, abmischen zu lassen (wobei ich Jacksons Einfluss nicht wirklich heraushöre).

Und nochmal: Ich rede von den USA, nicht von England -- da sah es anders aus mit Kraftwerks Einfluss.

Das zweite Buch hast Du ja vielleicht schon selbst entdeckt, das Kraftwerk-Buch von Carsten Brocker


Das ist eine Dissertation, sie zu lesen ist harte Arbeit. Lohnt sich aber in unserem Zusammenhang, denn Carsten ist selbst Musiker (er spielt bei Alphaville) und analysiert gründlich und bis in kleinste Details hinein, was von Kraftwerk sowohl technisch wie musikalisch und zeitlich in die House- und HipHop-Szene eingegangen ist. Er kommt nach vielen Seiten und Exkursen letztlich zu dem selben Schluss wie ich, nämlich dass das alles so gewaltig nicht war.

Jetzt kannst Du Dir noch den Spaß gönnen, den ich mir gerade gegönnt habe, nämlich mal das Web zu durchforsten, welches eigentlich die meistgesampelten Platten in House und HipHop sind. So leid es mir tut, Kraftwerk taucht erst unter ferner liefen auf.

Und nun nochmal, damit es klar ist: Das alles heißt nicht, das Kraftwerk hier in den USA nicht seine Fans hat. Ich würde auch jedem, der sie noch nicht gesehen hat, empfehlen, sie sich nicht entgehen zu lassen. Kraftwerk ist ein absolut solitäres Projekt. Aber was man wirklich von ihnen hier in Erinnerung hat, sind die Roboter in den roten Hemden und schwarzen Krawatten. Die bekommen bei ihrem Erscheinen auf der Bühne noch immer mehr Beifall als die eigentlichen Musiker.

Damit dann auch schöne Grüße an den von Dir wegen seiner Bundestagsrede erwähnten König Charles, der Kraftwerk offenkundig auch kennt. Aber klar, er ist ja Engländer.

 

 

Under the Influence of Kraftwerk

 

A few weeks ago, in an "Elektro Beats" broadcast on RBB, I said in a conversation with Olaf Zimmermann that people in Germany tend to overestimate Kraftwerk's influence on the American music scene. This led to a noticeably agitated protest from a listener and a small email ping-pong that followed. I'm now putting my (slightly edited) answer to his last message here in my blog, just for fun -- maybe somebody is interested in it.

Dear M., I ask you to stick to what I said in the broadcast: that people in Germany tend to overestimate Kraftwerk's influence on the American music scene. Nothing more, nothing less.

If you live here in the U.S. for a few years, you'll notice that it doesn't matter here what happens in Germany or what Germany thinks about any issue. How often do I read in the German press or in German FB comments that "foreign countries" are laughing their heads off at these crazy Germans or are just shaking their heads -- but the truth is that with a lot of luck, Germany will appear in the New York Times on page 5 in a quarter of a column. If you ask anyone on the street who the German Chancellor is, one or two people might be able to name him, but no one here knows who the German Foreign Minister is. It's no different with Kraftwerk. People are more likely to know Giorgio Moroder or Hans Zimmer, but yes: These two live here.

This saying "More influential than the Beatles" that you're referring to is, firstly, ancient, I think it comes from the Los Angeles Times originally, and secondly, it has always been nonsense. How can you measure it? This phrase compares apples with oranges in a classic way, without there being any empirical way of measuring "influence". What exactly did Kraftwerk bring to the American music scene that wasn't already here, at least in development? So let's file that under public relation.

But if you don't believe me, let me point you to two books that you might find more credible. The first is by Will Hermes and is called "Love Goes to Buildings on Fire" (I assume you can place the title).

 

Hermes describes the development of the New York music scene from punk to hip hop very competently, in detail and with love. Kraftwerk appears exactly twice in it, the mentions refer to Trans Europe Express, and even then only to the title track, not to the rest of the album. DJ Afrika Bambaataa discovered the piece for himself because it fit in excellently with what he and others were already doing (I already told you the roots of this earlier: It included Motown and Stax soul as well as the electric Miles Davis). As a result, the piece became a kind of "dance music template" for a while for New York DJs, who played it over and over again, especially the "Metal on Metal" part. DJ Grandmaster Flash, for example, incorporated the piece into his shows, but unchanged and without doing anything with it in terms of DJing. From there it went to Detroit, among other places. Blondie, who you mentioned, also incorporated it into their shows live for a while as a kind of carpet on which they played their own stuff.

But that was essentially it. Paths simply crossed at a certain point in time. Kraftwerk then went on its way, and the hip hop/house scenes went on their way as well. The latter was primarily driven by the constant new products of the music electronics industry. Kraftwerk's Man Machine album, which followed TEE, was a completely different thing, even if the Kraftwerkers were clever enough to have the record mixed by Leanard Jackson, the assistant of the old Motown veteran Norman Whitfield (although I don't really hear Jackson's influence).

And again: I'm talking about the USA, not England -- things were very different there with Kraftwerk's influence.

You may have already discovered the second book yourself, the Kraftwerk book by Carsten Brocker.


This is a doctoral thesis, reading it is hard work. But it's worth it in our context, because Carsten is a musician himself (he plays with Alphaville) and analyzes thoroughly and in the smallest detail what Kraftwerk has brought to the house and hip hop scene, both technically and musically as well as in terms of time. After many pages and digressions, he ultimately comes to the same conclusion as me, namely that the influence wasn't all that big.

Now, if you want to, you can treat yourself to the fun that I just treated myself to: to search the web to find out which are actually the most sampled records in house and hip hop. I'm sorry, Kraftwerk only appears in the background.

And now again, just to be clear: All of this doesn't mean that Kraftwerk doesn't have fans here in the U.S. I would also recommend that anyone who hasn't seen them yet shouldn't miss them. Kraftwerk was and still is an absolutely unique project. But what people really remember about them here are the robots in the red shirts and black ties. When they appear on stage, they still get more applause than the actual musicians.

And now best wishes to King Charles, whom you mentioned because of his speech to the Bundestag. He obviously knows Kraftwerk too. But of course, he's English.



Saturday, May 18, 2024

Kellertänzer

Die Maskentänzer. Lavinia Schulz und Walter Holdt, ein expressionistisches Hamburger Künstlerpaar, das ab etwa 1920 den Ausdruckstanz neu definierte und sich im Sommer 1924 aus bitterster Not unter bis heute nicht vollständig geklärten Umständen selbst ins Jenseits beförderte.


Hinterlassen haben die beiden um die 14 Tanzkostüme, die zunächst mit allerlei anderen Hinterlassenschaften in zwei großen Transportkisten (für "dringlich zu beförderndes Artistengepäck") auf dem Dachboden des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe gelandet und dort jahrelang vergessen worden sind. Heute, nach ihrer zufälligen Wiederentdeckung in den 1980er Jahren, gehören sie zu den beeindruckendsten Schätzen des Museums. Die Originale sind wunderschön restauriert, transportfähig sind sie aber nicht mehr, so dass letztes Jahr Repliken dieser Kostüme zur Biennale nach Venedig geschickt wurden, wo sie einiges Aufsehen erregten.

Seit vielen Jahren geistert mir dieses Paar durch den Kopf. Ein Online-Artikel von mir über die beiden stammt von 2010, mein Radiofeature von 2016 im Deutschlandfunk steht ebenfalls noch online. Ich will die Geschichte der beiden hier nicht wiederholen -- und brauche es auch nicht, denn es gibt sie jetzt als Roman. Dessen Autor, Nils Jockel, könnte kompetenter nicht sein.

Foto: Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg

Jockel, langjähriger Kunstvermittler und Kurator, ist nämlich derjenige, der seinerzeit zusammen mit einer Praktikantin diese Tanzmasken auf dem Dachboden des Museums wiederentdeckte, und seitdem lässt auch ihn dieses Paar nicht mehr los -- um so mehr, als er indirekt durch die Falke-Schwestern auch familiäre Beziehungen zu der Geschichte hat (in Hamburg weiß man noch, wer sie waren).

Der Roman "Kellertänzer" bearbeitet sein Thema auf drei Ebenen: Zum einen ist dies die tatsächliche Geschichte Lavinia Schulz' und Walter Holdts, soweit sie sich rekonstruieren lässt. Zum zweiten erscheint auf der Biennale Jockel in Gestalt seines Alter Egos Nick Lainwander selbst in der Handlung und schildert -- zum Teil in Gesprächen mit einem Freund namens Daniel -- nicht nur den Fund der Tanzkostüme, sondern auch, was danach mit ihnen passiert oder eben nicht passiert ist. Er macht den Leser dabei mit einigen der Folgen bekannt, die seine Obsession für seine Beziehung zu Hannah hat. Und genau daraus resultiert die dritte Ebene, und die ist ausgesprochen clever: Da denkt nämlich sozusagen der Roman über sich selbst nach. Es geht um die Frage, wie weit man eigentlich real existiert habende Personen aus künstlerischen Gründen fiktionalisieren darf, wenn man nur Bruchstücke über ihr Schicksal kennt.

Damit sticht Jockel geradezu in ein Wespennest, denn fiktionalisierte Geschichten, Serien und Verfilmungen der Lebensgeschichten realer Personen, sogenannte Biopics, sind seit geraumer Zeit schwer in Mode, und ein Ende ist nicht abzusehen. Der Roman beantwortet die Frage nicht, aber man nimmt sie mit.

"Kellertänzer" ist gut lesbar geschrieben und führt den Leser tief in die Lebenswirklichkeit nicht nur der Künstler, sondern auch der "normalen" Menschen jener Jahre hinein. Jockel macht uns bekannt mit etlichen damals prominenten und teils heute noch klingenden Namen und vermittelt ein eindringliches Bild der zum Teil unfassbar elenden Lebenswelt der Menschen, die in der frühen Weimarer Republik nicht auf der Sonnenseite standen. Ich selbst hätte mir die Persönlichkeiten der Charaktere in einigen Punkten etwas anders vorgestellt, aber das schadet gar nichts, denn genau da stellt sich die Frage nach der Fiktionalisierung.

Wenn Nils Jockel am Ende des obenerwähnten Radiofeatures sagt, er sei noch immer nicht durch mit der Geschichte, dann weiß man nach der Lektüre dieses Buches, weshalb. Man legt diesen Roman nicht einfach aus der Hand. Er hallt noch tagelang nach.


Nils Jockel:
Kellertänzer
KJM Buchverlag 2024, 310 Seiten
ISBN 978-3-96194-231-2, 26 €

Sunday, May 5, 2024

Nichtsdestotrotz

Einer muss es ja tun. Das neue Album der Pet Shop Boys vorstellen nämlich. Na gut also, hier ist es.


Das fällt mir nicht mal schwer, es ist nämlich gut. Das hätte nach vier Jahren Covid-Pause seit Hotspot auch anders ausgehen können, aber es hat funktioniert. Das letzte Album, das die Fans noch richtig in zwei Lager gespalten hat, war Super, und das ist immerhin schon acht Jahre her. Jetzt bei Nonetheless, ihrem, wenn ich richtig zähle, fünfzehnten Album, mit dem sie wieder zu Parlophone zurückgekehrt sind, wird das kaum passieren.

Das Album ist solide Popkost mit sofort erkennbarem Sound. Neil Tennant wird in ein paar Wochen 70, man hört es seiner Stimme nicht an, inhaltlich hat er sich in die Rolle des Elder Statesman hineingefunden, und skandalfrei war die Band immer. Chris Lowe findet Melodien und Sounds, die ... ja, fast möchte man mit Bert Kaempfert sagen: die nicht stören . Der Produzent ist James Ford, dem es hier gelingt, orchestrale Klänge fast unauffällig ins Klangbild einzuschmuggeln, insgesamt aber sorgen sie für einen leichteren Sound als man ihn von früheren PSB-Platten kennt. Dass die Jungs auch mal Kraftwerk gehört haben müssen, kommt gelegentlich durch, etwa in Gestalt der "Zap"-Percussion in "Feel", aber das wird man als freundlichen Gruß ansehen dürfen. Und auch, wenn man manche Melodien auf Nonetheless schon irgendwo so ähnlich gehört zu haben glaubt: Geklaut ist hier nichts. Tennant und Lowe müssen nichts mehr beweisen, sie machen einfach "ihr Ding", wie man in Hamburg sagen würde. Wer genauer wissen möchte, weshalb das funktioniert, sei auf das neulich ausgestrahlte BBC-Portrait hingewiesen.

Dass die beiden zeitweilig in Berlin leben, wird deutlich in dem einzigen Stück, das bei manchen ein wenig Kopfschütteln ausgelöst hat: "The Schlager Hit Parade". Das ist ein etwas seltsamer Track: Für eine Schlagerparodie ist er weder textlich noch musikalisch angriffig genug, für eine Charakterisierung deutschen Musikgeschmacks kommt er wiederum zu gemütlich dahergeschuckelt. Der wirkliche deutsche Schlager scheint mir inzwischen fast härter zu sein.

Nach wie vor fasziniert mich die Stilsicherheit, mit der das alles inszeniert wird, von den Fotos bis in die Typografie. Dass der erste Erfolg der PSB, "West End Girls", tatsächlich schon 40 Jahre auf dem Buckel hat, hört man ihm nicht an -- das Stück könnte fast unverändert auch heute veröffentlicht werden. "Es gibt im Pop keine Alterdiskriminierung mehr", sagte Neil neulich im Guardian. Was nicht heißen soll, dass die beiden keine Entwicklung durchgemacht hätten. Aber die Veränderungen in den Sounds und Arrangements sind subtil. Die "DeLuxe"-Edition kommt mit einer zweiten Scheibe, die das beweist:


Die heißt Furthermore und enthält vier Neueinspielungen alter Titel. Kann man machen, muss man aber nicht. Die Tatsache, dass die Originale immer noch genauso gut funktionieren wie diese neuen Versionen, spricht genau für die Zeitlosigkeit der Stücke und ihrer Arrangements.

Wir sind gespannt auf Nummer 16.

Sunday, April 14, 2024

Stimme im Orbit

Denken wir lieber nicht allzu lange darüber nach, was geschehen musste, damit eine Knabenstimme nicht durch den Eintritt der Pubertät zerstört wurde. Filippo Balatri fällt einem ein, oder der wohl berühmteste, Farinelli. In den 1500er Jahren zogen entsprechend behandelte Sänger in die Musik ein. Der Klang dieser Stimmen muss absolut faszinierend gewesen sein.

Ersatzweise bleibt es heute beim Falsett, auch Countertenor genannt. Der Klang erreicht mit Sicherheit nicht die fast mystische Qualität, die die tatsächlichen Kastraten auf die Bühne bringen konnten, aber ungewöhnlich genug ist diese Stimmlage noch immer — nicht nur in der Alten Musik, auch die Popmusik macht sich die Falsettstimme immer wieder zunutze. Die Schellackscheibe „Irgendwo auf der Welt“ mit den Comedian Harmonists war die erste, bei der mir ein Countertenor bewusst auffiel; er müsste wohl Harry Frommermann gewesen sein (selbst bezeichnete er sich als Buffo-Tenor). Dann waren da natürlich später die Beach Boys, deren Gesangsharmonien ohne Falsett überhaupt nicht vorstellbar wären. Als ich zum ersten Mal die Sparks hörte („This Town Ain’t Big Enough For Both Of Us“), glaubte ich tatsächlich, eine Sängerin zu hören — bis ich las, dass sie Russell Mael heißt.

Und in den 1980er Jahren gab es da jemanden, der den Countertenorgesang in den Mittelpunkt stellte. Sein Name war Klaus Nomi, und pünktlich zu seinem 80. Geburtstag hat Monika Hempel eine Biografie über diesen Sänger veröffentlicht:



Richtig hieß er Klaus Sperber, er stammte aus Immenstadt im Allgäu, und 80 ist er leider nicht geworden. Der Name „Nomi“ geht wohl zurück auf ein Spiel mit dem Wort „Omni“, einem Datenübertragungsmodus zwischen Synthesizern. Klaus Nomi war ein nicht komplett zu Ende ausgebildeter klassischer Countertenor, was dazu führte, dass er in Deutschland keine Stelle in einem Opernensemble fand — ohne Notenkenntnisse kann man dort nichts werden, obwohl er so ziemlich alle in Frage kommenden Partien draufhatte. Abgelauscht von Platten, war Maria Callas seine Initiation. Diese Art von Pathos machte er sich einerseits zu eigen, verband dies aber mit Kostümierungen und Masken, die auf japanische Kabuki-Kunst, aber auch auf den Expressionismus der 1920er Jahre zurückging. Aber auch ein simpler Klarsicht-Regenmantel diente als Kostüm und erfüllte seinen Zweck, spacig auszusehen.

Dass er teils unbeabsichtigt, teils aber auch bewusst mit einem überzogenen deutschen Akzent arbeitete, machte ihn in New York zu einer Erscheinung, die über kurz oder lang wahrgenommen werden musste. Geglückt ist ihm das leider nur in einem relativ kleinen Kreis, insbesondere in New Yorker Cabarets. Es gelang ihm aber, keinen Geringeren als David Bowie auf sich aufmerksam zu machen, der ihn als Backup-Sänger für einen Auftritt in der Sendung „Saturday Night Live“ anheuerte. Klaus Nomi gehörte dann zu jenen Künstlern, die erst auf dem Umweg über New York Erfolge in Deutschland einheimsen konnten. Dabei war das nicht einfach, denn nicht nur war er einem offenbar grottenschlechten Management in die Hände gefallen, sondern er war auch illegal in den USA, während sein deutscher Pass abgelaufen war. Er konnte also nicht legal nach Deutschland zurückreisen. Er löste dieses Problem „klassisch illegal“ durch eine Pro-Forma-Heirat, die ihm eine Greencard einbrachte.

Monika Hempel schildert alle diese Karriereschritt sorgfältig recherchiert, gut lesbar und sachlich geschrieben in ihrem Buch. Dabei räumt sie mit so manchem Märchen und schlecht recherchierter Falschinformation auf und macht Lust darauf, Nomis Platten wieder auszugraben oder den Streamingdienst des Vertrauens zu befragen. Es ist nur leider nicht viel, was man da finden kann, denn tatsächlich hat Nomi zu Lebzeiten nur zwei Alben machen können. Und obwohl diese immerhin in den Electric-Lady-Studios produziert wurden, hört man ihnen an, dass sie nicht viel kosten durften.

Nomi gehörte zu den ersten, die sich eine Aids-Erkrankung zuzogen — und das bedeutete in den frühen 1980ern das Todesurteil. Das hat sich heute geändert, aber wer sich an diese Zeit noch erinnern kann, weiß, was das hieß, umso mehr, wenn er einen solchen Fall in seinem persönlichen Umfeld miterleben musste. Da kommen verdrängte Erinnerungen unvermeidlich wieder hoch. Und während die Autorin die Lebensbedingungen Homosexueller in jenen Jahren erfreulich sachlich schildert, erspart sie uns von dieser Krankheitsphase nichts, insbesondere nicht die Reaktionen der Umwelt — da wurde in so mancher Familie oder WG das Essgeschirr in den Müll geworfen, kaum, dass der Aidskranke gegangen war. Man erinnert sich an die oft schwachsinnige Berichterstattung in den Medien und an solche Begriffe wie „Schwulenkrebs“. Da trägt es die Autorin gelegentlich ein bisschen davon. Aber es ist letztlich doch gut, wieder einmal daran erinnert zu werden, wie harter Tobak das damals wirklich war. Interessant nebenbei (was ich bis jetzt nicht wusste): Nomis Arzt- und Krankenhauskosten, die zu astronomischer Höhe aufgelaufen waren, konnte er selbstverständlich nicht begleichen; reich ist er mit seiner Kunst nie geworden. Die Kosten hat stillschweigend David Bowie übernommen.

Im deutschen Fernsehen erschien Klaus Nomi erstmalig bei Thomas Gottschalk in der Sendung „Na sowas!“ Ich meine mich auch an eine „Bios Bahnhof“-Ausgabe zu erinnern, in der er auftrat, bin mir da aber nicht mehr ganz sicher. Mit Sicherheit aber erschien Klaus Nomi in einer „Klassik-Rock-Nacht“ des Bayerischen Rundfunks, in der er mit Orchesterbegleitung unter Leitung von Eberhard Schoener Purcells „What Power Art Thou (Cold Song)“ singt, eine seiner Glanznummern, bei der er seinen Gesang optimal zur Geltung bringen konnte — und man sieht ihm an, wie angeschlagen er zu diesem Zeitpunkt bereits war. Die Halskrause diente dem Verdecken der typischen Kaposi-Sarcoma-Flecken, und die Showtreppe zu erklimmen fiel ihm offenkundig bereits schwer. Wenn man das weiß, ist dieser Auftritt schwer auszuhalten, aber er zeigt, wie unmittelbar Nomi sein Publikum fesseln konnte. Eberhard Schoener ehrte Nomi 1996 mit einer Kurzoper: „Cold Genius“. Klaus Nomi verstarb 1983 in New York.

Das Buch umfasst rund 280 Seiten inklusive einer teils farbigen Fotostrecke, einer Werkliste und genauen Quellenangaben und ist unbedingt lesenswert als eine Erinnerung an einen großartigen, leider unvollendet gebliebenen Künstler; gerade auch, da es sonst außer einem Dokumentarfilm von 2005 („The Nomi Song“ von Andrew Horn, durchaus sehenswert) nicht viel Material über Nomi gibt.

Monika Hempel:
Klaus Nomi — Stimme im Orbit
Verlag Andreas Reiffer 2024
ISBN 978-3-910335-44-8