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Wednesday, December 4, 2024

33 1/3: Hounds of Love

 

 

(Scroll down for English version)

 

Hätte mich bis jetzt jemand gefragt, welches ich für das beste Album von Kate Bush halte, ich hätte immer Hounds of Love genannt, das ich allerdings seit Jahren nicht mehr gehört habe. Nach der Lektüre von Leah Kardos' Buch bin ich mir nicht mehr sicher, ob es nicht doch eher The Dreaming ist. Nach ihren ersten beiden Platten hatte sich Kate gerade vom bestimmenden Einfluss der EMI befreit, hatte noch keinen eigenen Fairlight und kein eigenes Studio. Den Sampler hatte sie in der Arbeit an Never For Ever kennengelernt und setzte ihn auf The Dreaming mit viel mehr Neugierde ein. Sie lebte ansonsten von Dope, Schokolade, Kartoffelchips und Rotwein und erforschte, was man mit einem Studio so alles anstellen kann, wenn man sein eigener Produzent ist. Deswegen hat sie dann auf dem Grundstück ihrer Eltern ein eigenes gebaut. Auf The Dreaming, so denke ich, fand sie ihre wirkliche Stimme.

Wobei, damit es kein Missverständnis gibt, klar gesagt sein soll, dass Hounds of Love noch immer ein herausragendes Album ist, das ziemlich konkurrenzlos in der Poplandschaft steht.

Leah Kardos ist Lecturer in Music an der Kingston University in London. Sie kennt sich also aus und kann sachlich korrekt einordnen, worüber sie schreibt (das ist in der Reihe 33 1/3 leider nicht mehr selbstverständlich). Das Buch ist sehr logisch aufgebaut; nach einigen Worten über das Phänomen Kate Bush und ihre Ausnahmeposition im Musikbusiness und die Vorgänger dieses Albums bespricht Kardos die Platte Track für Track. Dabei geht sie auf die textlichen Inhalte ebenso ein wie auf die eingesetzten Instrumente, die Herkunft einiger Samples (etwa das berühmte "It's in the trees -- it's coming!" am Beginn von Track 2), die Musiker und die Produktion im Studio.

Das Hauptinstrument ist natürlich der Fairlight. Der, und mit ihm die Sampling-Technik, war damals, als das Album produziert wurde, das Neueste vom Neuen, und Kate war eine der ersten überhaupt, die das Ding konsequent einsetzten. Genau das löst heute meine obengenannten Zweifel aus, denn dieser typische, etwas "hauchige" Fairlight-Sound, der durch die noch recht niedrige Samplingrate zustandekommt und die ganze erste Seite des Albums dominiert, wirkt heute schlicht etwas angestaubt. Interessant ist aber wiederum, welche Sounds eben nicht aus dem Fairlight stammen, sondern von Musikern gespielt werden -- und die sind wieder mal handverlesen. Dabei stößt man auf einige Aha-Effekte, die mir bis dato nie bewusst aufgefallen waren, etwa die Tatsache, dass das Schlagzeug (bzw. die Drummachine) vollständig auf Metall (also Becken und Hi-Hat) verzichtet. Zudem gibt es Infos über den inhaltlichen, stellenweise sehr esoterischen, Hintergrund einiger Tracks, etwa "Cloudbusting". Aber bei Kate wundert einen das dann wieder nicht, ihre Texte hatten schon immer einen Spin in diese Richtung. Und dafür mag man sie ja schließlich.

Das Album Hounds of Love zerfällt in zwei Teile, die nichts miteinander zu tun haben. Die gesamte Seite 2 wird von dem Songzyklus The Ninth Wave bestimmt, der sowohl instrumental transparenter als auch inhaltlich kohärenter ist als die Seite 1. Auch hier gibt es wieder detaillierte Info sowohl über den Inhalt der einzelnen Songs als auch über die verwendeten Bestandteile. Wo etwa der rettende Hubschrauber herkommt (vom Pink-Floyd-Album The Wall nämlich) hatte ich schon selbst herausgehört, was es aber mit dem unheimlichen Männerchor auf sich hat und was er da eigentlich singt, das war mir neu -- ich dachte immer, es sei ein Traditional, aber es ist keines. Dass der Zyklus gelegentlich ein wenig mit Effekten überladen und überproduziert ist, das wird ebenso erwähnt.

Kardos' Blick auf das Album ist von großer Sympathie sowohl für das Werk selbst sowie für Kate Bush gekennzeichnet, ihr hoher Kenntnisstand macht die Lektüre aber nicht unbedingt immer einfach. Liest man etwa über "Mother Stands for Comfort" einen Satz wie 

"The verse decends from Am7 to Fmaj9, the temporarily pauses on a hamstrung resolution of Am7 over an E bass. In the reciprocal phrase, it makes a hopeful more to D9 (suggesting dorian mode), then a melancholy pivot to  baug4/D, affecting a twisted phrygian modal cadence back to the tonic (Am7) to go around again",

dann bin ich mir nicht sicher, ob das für die Mehrheit der Leser noch nachvollziehbar ist. Aber man kann nicht alles haben -- will man es gründlich, dann geht es nur so; will man es einfacher, wird es oberflächlicher bleiben.

Kardos geht im Anschluss noch ebenso gründlich auf die Live-Version der Ninth Wave ein, die Kate 2014 im Londoner Eventim Apollo (= das frühere Hammersmith Odeon, in dem Kate ihre erste und bislang einzige Tournee 1979 beendete) auf die Bühne stellte. Zunächst sollte das Ganze ein Film werden, doch daraus wurde nichts. Und es mussten alle Konzerte in derselben Arena stattfinden, weil eine sehr aufwendige Tontechnik installiert werden sollte. Als dann die 14 Konzerte angekündigt und aufgrund der Reaktionen sofort auf 22 erweitert wurden, waren die Tickets für alle Abende innerhalb einer halben Stunde weg. Einer der Auftritte wurde gefilmt, aber erschienen ist er bislang nicht, weder im Kino noch auf DVD. Dokumentiert ist das Event nur auf dem 3-CD-Album Before the Dawn. Überhaupt ist Kate Bush ja ein Familienunternehmen. Die Familie war irgendwie mit David Gilmour befreundet, der sie dann seinem Hauslabel EMI empfohlen hat. Und wenn Mr. Pink Floyd jemanden empfiehlt, dann widerspricht man nicht. Und ohne Kates Sohn (Bertie) hätte Before the Dawn nicht stattgefunden -- also auch hier wieder die Familie.

Es folgen am Ende einige Zeilen über die Reaktionen und Meinungen anderer Künstlerinnen (von Tori Amos über Björk bis zu Cat Power) über den Impact von Kate Bush. Dieses himmelhochlobende Kapitel haut mir schlicht zu sehr auf den frauenbewegten Punkt (und das soll Kate Bushs pionierhaftes Wirken nicht schmälern). Dabei geht es mir nicht mal speziell um dieses Buch; ich habe es nur nie für besonders interessant gehalten, was Künstler A über Künstler B meint. Andy Warhol war gut, weil Andy Warhol gut war, nicht, weil sich Schulze oder Lehmann von ihm beeinflusst fühlen. Jedes Kunstwerk muss für sich bestehen. Die Werke von Kate Bush können das. Wenn Tori Amos sagt, "the Ninth Wave turned me inside out ... It changed my life. I left the man I was living with because of this record" -- dann scheint mir die Beziehung wohl auch schon vorher nicht allzu stabil gewesen zu sein ...  

Aber der Rest des Buches ist lesenswert.


Leah Kardos:
Hounds of Love
Bloomsbury, 33 1/3, New York, London, Dublin 2024
ISBN 979-8-7651-0699-0

 

If someone had asked me which I thought was Kate Bush's best album, I would always have said Hounds of Love, although I haven't heard it for years. After reading Leah Kardos' book, I'm not sure if it's not The Dreaming after all. After her first two records, Kate had just freed herself from the dominating influence of EMI and didn't yet have her own Fairlight or studio. She had discovered the sampler while working on Never For Ever and used it with much more curiosity on The Dreaming. Otherwise, she lived on dope, chocolate, potato chips and red wine and explored what you can do with a studio when you're your own producer. That's why she built her own studio on her parents' property. I think she found her real voice on The Dreaming.

Although, to avoid all misunderstandings, it should be said clearly that Hounds of Love is still an outstanding album and pretty much unrivaled in the pop landscape.

Leah Kardos is a music lecturer at Kingston University in London. So she knows her stuff and can correctly classify what she is writing about (unfortunately, this is not a given in the 33 1/3 series anymore). The book is very logically structured; after a few words about the Kate Bush phenomenon, her exceptional position in the music business and the predecessors of this album, Kardos discusses the record track by track. She goes into the lyrical content as well as the instruments used, the origin of some of the samples (such as the famous "It's in the trees -- it's coming!" at the beginning of track 2), the musicians and the production in the studio.

The main instrument is of course the Fairlight. This, and with it the sampling technology, was the latest thing at the time the album was produced, and Kate was one of the first musicians to use this machine consistently. This is exactly what triggers my above-mentioned doubts today, because this typical, somewhat "breathy" Fairlight sound (which is created by the quite low sampling rate) that dominates the entire first side of the album, simply seems a bit outdated today. Even more it is interesting to see which sounds do not come from the Fairlight, but are played by musicians - and they are once again hand-picked. You come across some aha effects that I had never noticed before, such as the fact that the drums (or rather the drum machine) do not use any metal (cymbals and hi-hat). There is also information about the in places very esoteric background of some tracks, such as "Cloudbusting". But with Kate, that is no surprise, her lyrics have always had a spin in this direction. And that is why we love her.

The album Hounds of Love is divided into two parts that have nothing to do with each other. The whole of side 2 is dominated by the song cycle The Ninth Wave, which is both more transparent in terms of instrumentation and more coherent in terms of content than side 1. Here, too, is given detailed information about the content of the individual songs as well as the components used. I had already figured out where the rescue helicopter came from (from the Pink Floyd album The Wall), but what the spooky male choir was all about and what they were actually singing was new to me - I always thought it was a traditional song, but it isn't. The fact that the cycle is occasionally a little overloaded with effects and overproduced is also mentioned.

Kardos' view of the album is characterized by great sympathy for both the work itself and for Kate Bush, but her high level of knowledge does not always make it an easy reading. If you read a sentence about "Mother Stands for Comfort" like

"The verse decends from Am7 to Fmaj9, the temporarily pauses on a hamstrung resolution of Am7 over an E bass. In the reciprocal phrase, it makes a hopeful more to D9 (suggesting dorian mode), then a melancholy pivot to b♭aug4/D, affecting a twisted phrygian modal cadence back to the tonic (Am7) to go around again",

then I'm not sure whether this will be comprehensible to the majority of readers. But you can't have everything -- if you want it thorough, then that's the only way; if you want it simpler, it will remain more superficial.

Kardos then goes on to discuss in just as much detail the live version of the Ninth Wave that Kate performed in 2014 at London's Eventim Apollo (the former Hammersmith Odeon, where Kate finished her first and so far only tour in 1979). The whole thing was supposed to be a film, but that didn't happen. And all the concerts had to take place in the same arena because very complex sound technology was needed. When the 14 concerts were announced and, due to the reactions, immediately expanded to 22, the tickets for all evenings were gone within half an hour. One of the performances was filmed, but has not yet been released, neither theatrically nor on DVD. The event is only documented on the 3-CD set Before the Dawn. Kate Bush is a family business anyway. Her family was somehow friends with David Gilmour, who then recommended her to his house label EMI -- and when Mr. Pink Floyd recommends someone, you don't say no. And without Kate's son (Bertie), Before the Dawn would not have happened -- so here again, it's a family affair.

At the end, there are a few lines about the reactions and opinions of other female artists (from Tori Amos to Björk to Cat Power) about the impact of Kate Bush. This chapter, full of praise, for my taste, simply hits a bit too hard on the women's movement point (and that is not to diminish Kate Bush's pioneering work). This is not directly connected to this book; I've never found it particularly interesting what artist A thinks about artist B. Andy Warhol was good because Andy Warhol was good, not because Schulze or Lehmann saw themselves as influenced by him. Every work of art has to stand on its own. And the work of Kate Bush does. When Tori Amos says, "the Ninth Wave turned me inside out ... It changed my life. I left the man I was living with because of this record" -- then it seems to me that the relationship wasn't particularly stable even before that ...

But the rest of the book is absolutely worth reading.

 

Leah Kardos:
Hounds of Love
Bloomsbury, 33 1/3, New York, London, Dublin 2024
ISBN 979-8-7651-0699-0

 

(This post was first published on flowworker.org.)


1 comment:

  1. Danke für den informativen blogtext. Unabhängig von Deinen Ausführungen hatte ich sofort die Stücke und den Sound im Kopf. Vom letzten Auftritt gibt es ja eine Doppel cd. Irgendwie gefallen mir aber die alten cd Aufnahmen besser.

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