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Monday, December 12, 2022

Manuel Göttsching 1952 - 2022

 


Bye bye, Manuel ...

You will be missed.


Here are 4 minutes from NPR Radio, USA.

Saturday, December 10, 2022

Das Großvaterprinzip

Dieses Prinzip funktioniert so: Der Anfang einer Geschichte muss stimmen und für die Zuschauer/-hörer nachvollziehbar, im günstigen Fall überprüfbar sein und mit ihrem Wissen übereinstimmen. Personen und Schauplätze müssen wiedererkennbar sein, idealerweise wirklich, zumindest aber als Idee. Nun kommt aber die Phantasie hinzu. Sie liefert den Grund, aus dem die Geschichte überhaupt erzählt wird, und dazu reichen Tatsachen allein nicht aus. Die Geschichte geht weiter, steigert sich, ist eigentlich bereits eine Lüge, aber bleibt immer der Wahrheit so ähnlich, dass man weiter dranbleibt, ohne das Gefühl zu haben, dass man hochgenommen wird.

Der Regisseur und Autor Edgar Reitz hat dieses Prinzip von seinem Großvater gelernt, der ein begnadeter Geschichtenerzähler gewesen sein muss. Das Großvaterprinzip zieht sich nicht nur durch Reitz' Filme, sondern wie ein roter Faden auch durch Filmzeit, Lebenszeit, Edgar Reitz' Erinnerungen, die er sich und uns als Klotz von 670 Seiten zu seinem 90. Geburtstag spendiert hat.

 


Ich will mal nicht unterstellen, dass Reitz das Großvaterprinzip auch auf seine Erinnerungen angewandt hat, obwohl man ja weiß, dass nirgendwo so viel gelogen wird wie in Autobiografien, oder in Tagbüchern, die bereits mit Sicht auf eine spätere Veröffentlichung verfasst worden sind. Reitz war Dokumentar- und Werbefilmer und gehörte zu den Protagonisten des Slogans "Papas Kino ist tot", der die Oberhausener Kurzfilmtage 1962 in dauerhafte Erinnerung brachte. Er gehörte zu den Begründern des "Autorenfilms", dessen Idee war, dass die Arbeitsvorgänge des Drehbuchschreibens, der Regie und der Produzententätigkeit in eine Hand gehören sollten. Dass das nicht immer funktioniert, wurde schnell offensichtlich, weil dazu jeweils unterschiedliche Talente gehören, die keineswegs notwendigerweise immer zusammen auftreten. Aber die Bewegung enstand, und Reitz war ein Teil davon. Interessant ist die Reaktion der damals etablierten Autoren -- Walser, Grass, Bachmann & Co. -- auf deren Auftreten: Arroganz und Wut wäre noch freundlich ausgedrückt. Sie sahen Film nicht als Kunstform, sondern noch als Jahrmarktsvergnügen an. Mit solcherart Bräsigkeit hatten Reitz, Kluge, Fassbinder etc. immer wieder zu tun.

Hauptsächlich wurde Reitz aber durch seine monumentale Heimat-Trilogie bekannt. Die Arbeit daran nimmt denn auch den größeren Teil des Buches ein. Jeder, der die drei Filmreihen gesehen hat (ich mag sie nicht als "Serien" bezeichnen, obwohl sie das faktisch sind), hat natürlich zumindest geahnt, dass Reitz da viel Autobiografisches eingebaut hat. Die Autobiografie legt nun offen, wie viel das tatsächlich ist -- man nimmt es einerseits mit Erstaunen, aber ebenso auch mit leisem Erschrecken wahr. Aber genau das ist in der Tat das Großvaterprinzip. Es ist das, was diese Filme bei aller gelegentlichen Verdrehtheit packend und glaubwürdig macht. Bei Reitz kommen die genannten Talente tatsächlich zusammen: Er ist nicht nur ein hervorragender Regisseur, nicht nur ein guter Produzent, der für seine Projekte die richtigen Leute findet, sondern er ist auch ein großartiger Geschichtenerzähler, der seine Storys zu Papier zu bringen weiß. Langeweile tritt in dem Buch nur dann auf, wenn sich Reitz allzu offensichtlich selbst auf die Schulter klopft -- ein bekanntes Autobiografienphänomen, aber hier ist es auszuhalten.

Die Arbeit an der Trilogie ist eine Abenteuergeschichte. Insbesondere schüttelt man den Kopf über das Verhalten gewisser Fernsehverantwortlicher, denen es gelungen ist, die Heimat-Filme durch ungeschickte Platzierung im Programm (Die Zweite Heimat) und Kürzungsforderungen, die einem die Haare zu Berge treiben (Fernsehfassung von Heimat 3) in den Sand zu setzen -- und dann noch Reitz öffentlich die Schuld am angeblichen "Misserfolg" in die Schuhe zu schieben, während die Filme von der Presse wie vom Publikum weltweit enthusiastisch bejubelt wurden. Nun ja, schon Tucholsky sah diese Redakteursspezies als Leute, die auf ihren Stühlchen sitzen und in erster Linie Angst haben -- Leute, die nicht ansatzweise könnten, was Autoren, Regisseure und Schauspieler leisten, aber über die Macht verfügen, den Daumen zu heben oder zu senken und deshalb glauben, sie seien von auch künstlerisch von Bedeutung. Es ehrt Reitz, dass er sich verkneift, die Betreffenden mit ihrem Namen zu nennen. (Ich will es hier auch nicht tun, aber jeder, der die deutsche Fernsehlandschaft der 1980er und 1990er Jahre kennt, weiß, wer gemeint ist.) Umso mehr staunt man über die unendliche Geduld, mit der Reitz an seinem Werk gearbeitet hat. Und weshalb er den Nachzügler Die andere Heimat vorrangig als Kinoprojekt ohne Fernsehhilfe gemacht hat.

Filmzeit, Lebenszeit ist exzellent geschrieben, und auch, wenn man einige Dinge vielleicht so genau dann doch nicht wissen wollte, jede Leseminute wert. Danke, Großvater.

Monday, December 5, 2022

Meine Top-Platten 2022

 

 

1. Daniel Lanois: Player, Piano
2. Klaus Schulze: Deus Arrakis
3. Brian Eno: Foreverandevernomore
4. Esbjörn Svensson: Home.S
5. Björk: Fossora
6. Michael Wollny Trio: Ghosts
7. Stromae: Multitude
8. Wolfert Brederode, Matangi Quartet, Joost Lijbaart: Ruins & Remains
9. Steve Reich: Reich/Richter
10. Creedence Clearwater Revival: At Royal Albert Hall, April 14, 1970

Auch gut:
Weyes Blood: And In The Darkness, Hearts Aglow
Roger Eno: The Turning Year
Gong: Pulsing Signals
Jean-Michel Jarre: Oxymore
Geir Sundstol: The Studio Intim Sessions, Vol. 1

 

Wiederentdeckt:

 

Anouar Brahem: Blue Maqams (2017)
Redbone: Very Best (1991)
Yukihiro Takahashi: Neuromancer (1981)
V.A.: Festival Express (Film, 1970)

Die Doppel-DVD "rockumentiert" die Tournee etlicher Gruppen durch Kanada, die 1970 stattfand: Grateful Dead, Janis Joplin, The Band, aber auch Acts, die heute so gut wie unbekannt sind, etwa Buddy Guy, die Flying Burrito Bros, Ian & Sylvia's Great Speckled Bird, Mountain, Delaney & Bonnie & Friends. Das ist fast interessanter noch als der Woodstock-Film, wie erleben hier nicht nur die Konzerte, sondern auch die Zugfahrt von einem Festivalort zum jeweils nächsten. Dazu gibt es heutige Statements von einigen der beteiligten Musiker, auch dem Veranstalter.

Redbone habe ich kürzlich durch Zufall wiedergehört -- "The Witch Queen Of New Orleans" haben wir vermutlich noch alle im Ohr, aber das war durchaus nicht alles, was die Jungs draufhatten.

Yukihiro Takahashi war der Drummer des Yellow Magic Orchestra und konnte es an Präzision mit Jaki Liebezeit aufnehmen. Neuromancer ist ziemlich dicht am YMO-Sound, aber kein Abklatsch.

Und Anouar Brahems Spiel ist einfach ein Genuss.

 

Re-Issues:

 

 

 

Ash Ra Tempel & Timothy Leary: Seven Up (1972)
Ash Ra Tempel: Join Inn (1973)
The Beatles: Revolver (Super Deluxe Edition)

Ob man bei den Beatles nun wirklich alle fünf CDs kennen muss, darüber lässt sich streiten. Die neue Abmischung ist es aber wert. Man hört tatsächlich Details heraus, die vorher kaum aufgefallen sind, zudem ist die Platte nun auch im Kopfhörer abhörbar, was bei der ursprünglichen Stereomischung schwer zu ertragen war.

Die beiden Ash Ra Tempels sind 50th-Anniversary-Editions (ja, so lange ist das schon wieder her), unter Manuel Göttschings Aufsicht neu vom Originalmaster geschnitten, und sie katapultieren einen direkt ins Jahr 1972 zurück. Entstanden ist Seven Up in einem Studio in Bern mit Timothy Leary, der aus Algier kommend in die Schweiz geflüchtet war. Der Titel bezieht sich sowohl auf Learys Lieblingsbrause wie auch auf eine von ihm entwickelte Mindmap, die die sieben Ebenen des Bewusstseins beschreiben sollte. Seine Idee war, dass dies musikalisch vielleicht eher möglich sein könnte als schriftlich. Join Inn ist die letzte Zusammenarbeit der Gruppe mit Klaus Schulze, den sie während der Sessions zu Walter Wegmüllers Album Tarot wiedertrafen. Das Treffen führte zu einer Endlosimprovisation der drei, "Freak 'n' Roll" genannt, ein Ausschnitt daraus füllt die gesamte Seite 1. Schulze rührt hier sehr emsig in den Trommeln -- zum letzten Mal. Die Seite 2, betitelt "Jenseits" wird von Schulzes Keyboardspiel dominiert, zu dessen Klängen Rosi Müller in latent wirren Wortfetzen die Geschichte des Treffens mit Leary erzählt. Beide Platten zusammen bilden ein dichtes Spiegelbild dessen, was in jenen Jahren "Krautrock" darstellte. Leary hat in seiner Autobiographie kein Wort über die Produktionen verloren, Manuel Göttsching fand zu seinem wirklich markanten, an ein akustisches Mobile erinnernden Gitarrenstil erst 1975 mit seinen Inventions For Electric Guitar. Die Platten erinnern aber auch an die Anfänge Klaus Schulzes, der dieses Jahr verstorben ist und mit Deus Arrakis ein wirklich verdammt starkes Abschiedswerk hinterlassen hat -- so schließt sich ein Kreis.

Saturday, December 3, 2022

Radiotipp: Asmus Tietchens

Ein Radiotipp: Anlässlich des 75. Geburtstages des Hamburger Klangkünstlers und Komponisten Asmus Tietchens hat der ORF ein einstündiges Portrait gesendet. Eine Sendung von Heinrich Deisl, und trotz des etwas eigenwilligen Fotos sehr hörenswert.

Hier zu hören.

(Und ja, ich weiss, ich habe vor langer Zeit einmal damit begonnen, Tietchens‘ Veröffentlichungen chronologisch vorzustellen. Es geht weiter.)