Mit diesem Lied auf den Lippen kam zwischen 1968 und 2001 im amerikanischen Fernsehen Mister Rogers von der Arbeit nach Hause (wir erfahren nie, welchen Job er hatte, aber seinem Aufzug nach wird es wohl ein white-collar job
gewesen sein), hängte sein Jackett in den Schrank, zog einen farbigen
Freizeitsweater über und nahm Platz, um die Business-Schuhe gegen
bequeme Sportschuhe zu wechseln. Diese Geste des Schuhwechsels ist so
typisch und so bekannt, dass sowohl das Heinz History Center in
Pittsburgh ihn so in der Originaldekoration zeigt …
… wie auch die Mister-Rogers-Statue, die in Pittsburgh vom südlichen
Ufer des Allegheny Rivers auf den Point Park blickt, dort, wo der
Allegheny und der Monongahela zusammenfließen und den Ohio River bilden:
Won’t you be my Neighbor? ist auch der Titel eines
Dokumentarfilms, der zur Zeit aus Anlass des 90. Geburtstages von Mr.
Rogers durch die amerikanischen Kinos läuft. Im Normalfall reicht
bereits die Erwähnung des Titels oder des Namens, um Amerikaner, soweit
sie mit dieser seiner Show
aufgewachsen sind, zu Tränen zu rühren. Und das ist nicht übertrieben.
Fred McFeely Rogers (1928-2003), studierter Komponist, Pianist und
geweihter presbyterianischer Priester (der allerdings nie eine Messe
las), fand das, was das amerikanische kommerzielle Fernsehen
Vorschulkindern vorsetzte, einfach schrecklich. In den frühen 1960er
Jahren entwickelte er deshalb eine 15-minütige Kindersendung namens Misterogers,
die eine Zeitlang im kanadischen CBC zu sehen war, dann aber
eingestellt wurde. Er setzte seine Arbeit fort in seinem Geburtsort
Pittsburgh beim Public-TV-Sender WQED. In einfachster Kulisse, mit
Handpuppen und einer kleinen Schar ständiger Darsteller, entstand so Mister Rogers‘ Neighborhood. Schon nach kurzer Zeit übernahmen alle Public-TV-Sender der USA die Show in ihr Programm, wo sie dann von 1968 bis 2001 blieb.
Fred Rogers setzte dabei bewusst auf einen Gegenpol zur Sesame Street,
die in schneller Schnitt- und Wiederholungsfrequenz das von Kindern
heißgeliebte Werbefernsehen kopierte — mit Erfolg, wie man weiß. Rogers
war der Meinung, man müsse, um einen Draht zu Kindern zu entwickeln,
keine albernen Hüte aufsetzen, nicht betont „kindlich“ reden, nicht
permanent schreien oder Witze reißen und auch keine Supergestalt sein.
Kennzeichen seiner Show waren relative Gemächlichkeit, Ruhe, unbedingte
Aufrichtigkeit, eine Reihe von Ritualen (wie dem eingangs
geschilderten), vor allem aber die völlige Freiheit von Werbung und
Product Placement.
Mister Rogers verstand es stets, eine gewisse Distanz
zu halten: er zog zwar Freizeitkleidung an, aber die Krawatte blieb.
Nie wurde er „Uncle Fred“ oder etwas dergleichen, er blieb immer „Mister
Rogers“ — im deutschen Fernsehen würde das bedeuten: Er ließ sich
siezen. Zwischen der „realen“ Kulissenwelt und der Welt der Puppen
verkehrte ein Straßenbahnwagen. Dort traf man dann auf Gestalten wie
King Friday XIII und seine Frau, Daniel Tiger oder X the Owl — zehn
Charaktere insgesamt sprach Rogers selbst. Mit ihnen konnte er Emotionen
aufbauen. Dazwischen gab es kurze Sach-Einspieler über etwa die
Herstellung von Himbeereis, oder wie man einen Kran aufbaut, wo
Zeitungen herkommen, und so weiter. Im Normalfall wurde die Sendung
relativ kurz vor der Ausstrahlung produziert, so dass aktuelle
Vorkommnisse einbezogen werden konnten.
Man muss es sehen und hören, wie dieser Mann mit
Kindern sprach, mit ihnen umging, ihnen Dinge erklärte, wie er sie ernst
nahm, ohne sie zu überfordern. Man muss es sehen (und die Dokumentation
zeigt es), wie er — zum Beispiel — erklärt, was der Begriff assassination
meint (das Attentat auf Robert Kennedy war gerade passiert und der
Begriff ging durch alle Medien), wie er (live im Studio!) vor Kindern
auf die Challenger-Katastrophe reagiert oder was 9/11 zu bedeuten hatte. Wer im deutschen Kinderfernsehen hätte das hinbekommen? Ich weiß keinen.
Man muss sich klarmachen, dass noch in den Spätsechzigern manche
Hotelbesitzer ihren Swimmingpool desinfizierten, wenn Schwarze darin
gebadet hatten. Erst dann kann man verstehen, welchen explosiven
Hintergrund eine scheinbar ganz harmlose Szene wie diese hatte:
Der Polizistendarsteller übrigens hatte irgendwann sein reales
Coming-Out. Das führte zur Scheidung seiner Ehe, was natürlich Futter
für die Klatschpresse war. Mister Rogers konnte auch das in seiner
Sendung kindgerecht auffangen, und der Schauspieler blieb im Team.
Und es gibt jenen legendären Auftritt Rogers‘ vor dem United States
Subcommittee on Communications, das 1969 über die Vergabe von 20
Millionen Dollar an das öffentliche Fernsehsystem PBS zu entscheiden
hatte. Nachdem etliche Fachleute ihren Standpunkt dargelegt hatten und
das Komitee nicht zu überzeugen vermochten, rezitierte Fred Rogers
schlicht einen Text aus seiner Sendung — eigentlich einen Liedtext, den
er aber sprach. Was den bis dahin äußerst widerständigen Chairman
schließlich zu der Bemerkung brachte: „I think it’s wonderful. Looks
like you just earned the $20 million.“ — So zu sehen in der Doku.
Mister Rogers‘ Neighborhood ist in Deutschland völlig
unbekannt. Auch mir als Medienmensch war die Sendung nie begegnet. Da
sie mit der Person Fred Rogers stand und fiel, wäre es wahrscheinlich
unmöglich gewesen, sie in einer sinnvollen Weise einzudeutschen (wie es
mit der Sesamstraße ja durchaus gelungen ist). Ich wüsste auch
keine Person, die Rogers‘ Stelle hätte einnehmen können — am ehesten
vielleicht noch Siebenstein, aber auch das war eigentlich etwas anderes. Das Team der Sendung mit der Maus allerdings (die wiederum hier in den USA kein Mensch kennt) hat Mister Rogers mit Sicherheit sehr genau studiert, auch wenn atmosphärisch etwas anderes dabei herausgekommen ist.
Fred Rogers starb 2003 an Magenkrebs. Noch während der Trauerfeier protestierten auf der Straße religiöse Betonköpfe gegen sein teuflisches Wirken.
Ja, ich wäre gern sein Nachbar gewesen. Sollte es die Doku wundersamerweise einmal nach Deutschland schaffen: Anschauen lohnt sich. Bitte dann vorsichtshalber ein Paket Taschentücher nicht vergessen.