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Sunday, February 5, 2012

Von morgens bis mitternachts (Deutschland 1920)




(English text HERE!)


1920, kurz nach der Uraufführung von Das Cabinet des Dr. Caligari, begannen die Dreharbeiten zu Von morgens bis mitternachts. Während allerdings Caligari ein bahnbrechender Film der expressionistischen Ära in Deutschland wurde, fiel Mitternacht über die Tischkante. Soweit wir heute wissen, fand sich kein Verleiher, und so war der Film in Deutschland, Österreich und der Schweiz nicht zu sehen. Nur eine Pressevorführung im Juni 1922 in den Regina-Lichtspielen in München ist überliefert. Die öffentliche Uraufführung fand am 3. Dezember 1922 im Hongo-za-Kino in Tokio statt, danach ging der Film verloren. Die Kopie wurde erst 1962 wiedergefunden und ging ans Nationale Filmarchiv der DDR. Seine deutsche öffentliche Premiere erlebte Von morgens bis mitternachts dadurch erst 1963 in Ost-Berlin.

Eine Parallele zwischen Caligari und Mitternacht ist sofort offensichtlich: Beide Filme arbeiten mit gemalten Kulissen.


Während dies im Fall Caligari sehr sinnvoll ist, lässt sich das von Mitternacht nicht sagen, und es ist interessant, warum das so ist.

Caligari handelt von psychiatrischen Themen; die ganze Story ist eine Art Halluzination eines Wahnsinnigen, und deshalb ist die gesamte Szenerie irreal. Die einzigen "realen" Szenen sind jene, die die Patienten im Garten und im Foyer der Anstalt zeigen - wodurch klar wird, dass dies deren reale Situation ist.

Nicht so in Mitternacht. Der Film erzählt eine sehr simple Geschichte: Ein Bankkassierer (gespielt von Ernst Deutsch, noch heute eine Bühnenlegende in Deutschland) kann der Versuchung nicht widerstehen. Er klaut das Geld aus seiner Kasse, verlässt seine Familie und versucht, das "wilde Leben" zu leben - oder jedenfalls das, was er sich darunter vorstellt. Der Film folgt diesem Versuch "von morgens bis mitternachts" durch eine Reihe von Stationen: einem Luxushotel, einem hochklassigen Herrenausstatter, einer Bar, einer Sportarena, einer Spielhölle. Klar, dass sich diese Reise alsbald in eine Flucht verwandelt.

In jeder dieser Stationen ist eine Uhr zu sehen, und jede Szene endet mit einem symbolischen Bild: Eine scheinbar verführerische Frau verwandelt sich sekundenlang in den Tod und veranlasst den Kassierer, in Panik und Entsetzen die Flucht zu ergreifen.


In der letzten Station schließlich rettet eine Soldatin der Heilsarmee den Kassierer aus einer Spielhölle und bringt ihn in ihr Gemeindehaus.


Sie überzeugt ihn davon, seine Sünden zu bekennen. Vor etlichen anderen armen Sündern tut er dies schließlich und wirft diesen am Ende das noch verbliebene gestohlene Geld vor die Füße. Die Armen raffen die Scheine an sich und rennen davon, nur die Heilsarmeesoldatin bleibt bei ihm. Als sie jedoch herausfindet, dass auf den Kassierer 5000 Mark Belohnung ausgesetzt sind, läuft sie nach draußen, um den nächstbesten Polizisten zu alarmieren.

Als die Polizei erscheint, um ihn zu verhaften, erschießt sich der Kassierer vor einem Kreuz, um sodann auf eine eigenartig verdrehte Weise die Haltung des gekreuzigten Christus anzunehmen; über ihm erscheinen die Worte "ecce homo" - "siehe, der Mensch", Pontius Pilatus' Worte.


Der Film basiert auf einem Theaterstück von Georg Kaiser von 1912, das Drehbuch schrieb Herbert Juttke, das Szenenbild entwarf Carl Hoffmann. Der Regisseur Karlheinz Martin verfilmte das Stück ohne große Veränderungen. Tatsächlich ist der Film auf einer Theaterbühne gedreht, und das sieht man vom Anfang bis zum Ende - die Schauspieler spielen direkt in die Kamera, "zum Publikum", so wie sie es von der Bühne her kennen. Es gibt nur wenige Augenblicke, die zeigen, dass der Regisseur sich klargemacht hat, dass er hier mit einem anderen Medium zu tun hatte:

Wenn der Kassierer ein Sechstage-Radrennen besucht und den Rennfahrern eine enorme Geldsumme in Aussicht stellt, um sie zu schnellerem Fahren anzutreiben, dann wird ihre zunehmende Geschwindigkeit durch ein verzerrtes Bild symbolisiert.


Eine andere schöne Idee ist zu sehen, wenn die Nachricht von seiner Flucht telegrafiert wird: Die Buchstaben sind entlang der Telegrafendrähte aufgereiht und fliegen davon.



Und hier wird eine reale Szene in ein Gemälde verwandelt:



Dies sind hervorragend gemachte Momente, die tatsächlich etwas vom wahren Geist des Expressionismus einfangen. Während Caligari diesen Geist konsequent durchhält, sind filmspezifische Ideen dieser Art in Mitternacht die Ausnahme. Alles in allem deshalb sicherlich ein interessanter Film für alle, die sich für Filmgeschichte interessieren, aber kein "großer" Film, den man unbedingt gesehen haben müsste.

Vor kurzem wurde dieser Film in einem Pittsburgher Kino mit Live-Musikbegleitung von einem Kammerorchester gezeigt. Die Vorstellung war ausverkauft. Das ist erfreulich, weil es zeigt, dass ein Interesse an Stummfilmen und Filmgeschichte tatsächlich existiert. 

Von morgens bis mitternachts gibt es auf DVD, gut restauriert vom Filmmuseum München (Enno Patalas, Gerhard Ullmann und Klaus Volkmer). Sie enthält die originalen deutschen Zwischentitel, dazu wahlweise Untertitel in englischer, französischer und spanischer Sprache. Dazu gibt es ein informatives Booklet in drei Sprachen, außerdem hat die DVD keinen Regionalcode, sie sollte deshalb überall abspielbar sein.

Die originale Filmmusik ist verloren (falls es überhaupt je eine gab), aber die DVD bietet sogar zwei neue Musiken zur Auswahl. Der eine Soundtrack ist komponiert von Yati Durant und wird von einem Kammerorchester gespielt, der andere ist eine improvisierte Musik von Christian Roderburg und dem SchlagEnsemble H/F/M, live aufgenommen auf dem Internationalen Stummfilmfestival Bonn 2008 (und es ist auch der bessere Soundtrack).


From Morning Till Midnight (Germany 1920)






(Deutscher Text HIER!)


In 1920, just when The Cabinet Of Dr. Caligari received its première, the shootings for From Morning Till Midnight (original title Von morgens bis mitternachts) started. But while Caligari became a groundbreaking movie of the German expressionistic era, Midnight failed. As far as we know today, no film distributor could be found, so there was no theatrical release in Germany, Austria or Switzerland. Only one non-public showing is known, it happened for the press in June 1922 in the "Regina" cinema in Munich. The movie received its public première on December 3, 1922, at the Hongo-za cinema in Tokyo, after that it was seen as lost for many years. The copy was rediscovered not before 1962 and was bought by the Film Archive of the GDR. So finally Von morgens bis mitternachts received a German première in 1963 in East Berlin.

One parallel between Caligari and Midnight is obvious immediately: Both films make use of expressionistically painted sets.


But while in Caligari this makes sense, it does not so in Midnight, and it's interesting to see why this is.

Caligari deals with psychiatric stuff, the whole story is a sort of hallucination of a lunatic, so most of the set is irreal. The only "real" scenes are the ones showing the two patients in the garden and the foyer of the psychiatric ward - which makes clear that this is their real situation

Nothing of this in Midnight. The film tells a pretty simple story: A bank cashier (played by the great theater actor Ernst Deutsch, still a legend in Germany) can't resist the temptation. He takes the money from his cashbox, leaves his family and tries to live what he sees as the "big life". The film follows him "from morning till midnight" through a couple of stations: a luxury hotel, a high-class fashion shop, a bar, a sports arena, a gambling den. Of course this soon turns out to be a getaway.

In any of these stations a clock is shown, and each one of the scenes end up with the same symbolic act: A seemingly seductive woman turns into death and makes the cashier taking flight in panic and horror.


Finally, in the last station, a Salvation Army soldier rescues the cashier from the shabby gambling den and brings him to her parish hall.


She convinces the cashier to confess his sins. He does so in front of several other poor sinners, finally he throws all his stolen money to their feet. They snatch up all the money and run away, only the Salvation Army woman stays with him. But when she finds out that a reward of 5000 Marks is offered for the cashier, she runs out to the street to alert the next best policeman.

When the police enters to arrest the cashier, he shoots himself in front of a cross. After this he takes in a strangely contorted way the position of Christ on the cross. Above him the words "Ecce homo" appear - "Behold the Man", the words Pontius Pilate spoke.


The film is based on a theater play by Georg Kaiser from 1912, the screenplay was written by Herbert Juttke; Carl Hoffmann designed the set. Director Karlheinz Martin transferred the story to film without much changing. The shooting took place on a theater stage, and this is obvious from the beginning to the end - the actors are playing directly into the camera, "to the audience", as they knew it from stage. There are only few moments showing that the director had a clue about the fact that he was working in a different medium:

When the cashier visits a six-day racing and offers an enormous amount of money to the bicyclists to make them riding faster, their increasing speed is symbolized by a distorted image.


Another fine idea can be seen when the news about his flight is spread by telegraph: The letters are lined up along the wires and fly away.



And here a real scene is transferred into a painting:



These moments are very well-made and capture the true spirit of expressionism. But while Caligari keeps this spirit all the time, in Midnight, film-specific ideas like these are the exception. So, all in all, this movie is surely interesting for anyone who is interested in film history, but it's not a "big" movie or a must-see.

Recently, this film was shown in a Pittsburgh cinema with live accompaniment by a chamber orchestra. The event was sold out, which is pleasant because it shows that there is interest in silents and film history. 

From Morning Till Midnight is available on DVD, nicely restored by Filmmuseum Munich (Enno Patalas, Gerhard Ullmann and Klaus Volkmer). It has the original German intertitles, subtitles in English, French and Spanish language are available. The DVD comes with an informative booklet in three languages and has no region code, so it should be playable everywhere.

The original music is lost (if there was any), but the DVD offers two different new soundtracks. One is composed by Yati Durant and played by a chamber orchestra, the second one is improvised by Christian Roderburg and SchlagEnsemble H/F/M, recorded live at the International Bonn Silent Film Festival 2008 (and it's the better one).

Saturday, February 4, 2012

Drug-free zone


I would call this "American Optimism".