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Thursday, May 8, 2025

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Es ist ein eigenartiges Erlebnis, alte DVD-Boxen wiederzuentdecken: Rote Erde war 1983 ein Prestigeprojekt der ARD. Damals war ich von dieser Serie schwer begeistert. Gelingt ihr das auch noch heute, nach mehr als 40 Jahren?

 

Die Bergarbeiter-Saga aus dem Ruhrgebiet, wie sie im Untertitel hieß, besteht aus zwei Staffeln. Zeitlich umfasst die Staffel 1 (hergestellt 1983) den Zeitraum von 1887 bis 1919, Staffel 2 (hergestellt 1990) schließt direkt daran an, von 1920 bis zu den ersten Zechenschließungen 1949. 

Ein genauer Spielort wird nie genannt, aber der Titel ist natürlich eindeutig. Die Serie ist irgendwo im Westfälischen anzusiedeln, zwischen Niederrhein und Weser. Dabei hat der Begriff "rote Erde" weder mit Klassenkampf noch, wie man vielleicht vermuten könnte, mit blutgetränkten Schlachtfeldern zu tun, sondern leitet sich wohl von "gerodeter Erde" ab. Dass man den Titel auch mit der Arbeiterbewegung des Ruhrgebietes in Verbindung bringen kann, liegt allerdings nahe und spielt in der Serie keine geringe Rolle.

Der Set war jedoch anderswo, nämlich auf dem Bavaria-Ateliergelände in München-Geiselgasteig. Dort hat man liebevoll eine Bergarbeitersiedlung nachgebaut -- Häuser, Straßen, Wohnungen, Dachböden mit Taubenschlägen, und auch die Schachtanlage selbst, letztere zu ebener Erde. Damals fiel es mir nicht auf, heute beim zweiten Sehen scheint es mir aber doch, dass es immer dieselben drei Stollen sind, die man sieht. Die wurden allerdings mit Hilfe des Lichts und aller möglichen Kameraperspektiven ziemlich gekonnt ausgereizt.

Die erste Staffel lief damals konkurrenzfrei; es gab noch kein kommerzielles Fernsehen und keine Streamingdienste in Deutschland, Binge-Watching war noch kein Thema.

 

Rote Erde II folgte dann 1990, da musste die Serie bereits gegen etablierte Kommerzsender anfunken. Das merkte man nicht nur optisch, schon die Formate unterschieden sich: Während die erste Staffel in 9 x 60 Minuten präsentiert wurde, kam die zweite in vier spielfilmlangen Teilen. Die sieben Jahre zwischen den Drehdaten und die kommerzielle Konkurrenz machten sich bemerkbar; die Filmsprache der zweiten Staffel war knapper und schneller. 

Aber auch das fällt auf: Geschrieben wurde das Ganze noch nicht von der Belegschaft eines "writer's rooms", sondern von dem versierten Hörspiel- und Drehbuchautor Peter Stripp (mit fachkundiger Beratung u.a. durch das Bochumer Bergbaumuseum), inszeniert hat die Rote Erde der TV- und Theaterregisseur Klaus Emmerich. Beide, Autor und Regisseur, waren damals schon länger im Geschäft. Nichts gegen die Idee des writer's rooms, aber es ist ein Unterschied, ob (wie heute üblich) ein Headautor für die Produktion einer Serie etliche Storyliner einsetzt, die dann Dialoge etc. ausarbeiten (ich war selbst mal so einer), oder ob die Drehbücher von Anfang bis Ende in der Hand eines Autors liegen: Da merkt man deutlich dessen individuelle Handschrift. Für eine Serie wie diese scheint mir die dadurch gewährleistete stilistische Einheitlichkeit klar die bessere Lösung zu sein.

Es spielten prominente Namen: Ralf Richter, Dominic Raacke, Sunnyi Melles, Walter Renneisen, Klaus Wennemann, Jörg Hube, Klaus J. Behrendt, Dominique Horwitz, Nina Petri, der wunderbare alte Rudolf Schündler -- das allein waren schon Empfehlungen. Und man sah eine interessante Neuentdeckung: Claude-Oliver Rudolph. Seltsam: Ich erinnerte noch, dass er mitspielte, hätte aber nicht mehr gewusst, dass er tatsächlich sogar die Hauptrolle spielte: den 17-jährigen polnischen Bauern Bruno Kruska. Von Werbern ins Ruhrgebiet gelockt will er auf der Zeche Siegfried anlegen, ohne eine Vorstellung davon zu haben, was das eigentlich heißt: Bergwerk. Bruno ist eine undurchschaubare Figur, aber er hat seine Grundsätze. Er lebt sich schnell ein, und ebenso schnell wird deutlich, dass er sich auch gegen Widerstand von niemandem vereinnahmen lassen will. Eine sehenswerte Kombination von Eigenschaften. Man lebt und altert vom Beginn der Serie bis zu seinem Tod in der zweiten Staffel mit Bruno mit; er ist Sympathieträger und gleichzeitig ein Typ, mit dem man sich nicht anlegen möchte. In einer bestimmten Situation lässt er sich sogar dazu hinreißen, aus einem Rachemotiv heraus einen Steiger in einen Blindschacht stürzen zu lassen, aus dem sich dieser nicht mehr befreien kann. Konsequenzen hat dieser Mord für Bruno nicht. -- Der Regisseur Dieter Wedel besetzte Rudolph später mehrfach mit brandgefährlichen Schlägertypen, was einerseits authentisch wirkt, aber auch seine schauspielerische Bandbreite eingrenzt.

Und nicht nur mit Bruno Kruska geht es einem so: Man möchte die Protagonisten sympathisch finden, man folgt ihren oft krummen Lebenswegen und Schicksalen, und dennoch bleiben sie merkwürdig fern; man ist gespannt, was sie als nächstes tun, und doch: Man bleibt letztlich doch eher unbeteiligt. 

Die Erzählweise der Serie würden wir heute als "horizontal" bezeichnen, damals gab es diesen Begriff noch nicht. Die Folgen bauen aufeinander auf, ihre Reihenfolge ist zwingend. So verhindern die Kumpel etwa am Ende der ersten Staffel die Sprengung des Förderturms, indem sie das Werk besetzen und sich sogar den aufmarschierenden Soldaten entgegenstellen. Am Ende der zweiten Staffel, im Jahr 1949, wird er dann doch in die Luft gejagt: Sein Einsturz wird den Protagonisten geradezu wie die ungewisse Zukunft selbst vor die Füße geknallt. 

Bemerkenswert ist auch der Dreh, die Nazizeit (an der die Serie natürlich nicht vorbeikommt) nicht als Abstraktum aufarbeiten zu wollen oder einfach nur die üblichen Flaggen wehen oder Naziuniformen durchs Bild laufen zu lassen. Stattdessen wird hier ein Ereignis unmittelbar an eine Person geknüpft: Brunos Sohn Max, der zunächst mit den Nazis sympathisiert, erlebt mit, wie ein wohl etwa 12-jähriger Junge ein Brot klaut, dabei von einem allen bekannten SS-Mann erwischt und vor versammelter Pütt-Belegschaft gehängt wird. Alle stehen da, alle sehen zu, auch Max. Etliche ballen die Fäuste, alle könnten eingreifen, keiner tut es. Dieses Erlebnis lässt Max nicht wieder los und bringt ihn am Ende zu einem Schuldeingeständnis, das ich hier nicht verraten will, das aber noch lange nachhallt.

Unterschiede zwischen damals und heute? Unser Sehverhalten hat sich verändert, und das hat Rückwirkungen auf die Filmgestaltung. Einiges, das mir damals, Anfang der 1980er, nicht mal aufgefallen ist, macht sich beim heutigen Wiederanschauen deutlich bemerkbar: Rote Erde hat erhebliche Längen, manche Szenen wurden endlos ausgewalzt, obwohl man längst begriffen hat, worum es geht. Geburten werden ebenso wie Vergewaltigungen in epischer Breite gezeigt. Viele Charaktere sind, wie schon erwähnt, arg holzschnittartig und müssen mit zwei Eigenschaften und ebensovielen Gesichtsausdrücken auskommen. Vor allem aber wird ständig gebrüllt. Das scheint eine Marotte deutscher Schauspieler und Regisseure seit je zu sein; schon Kurt Tucholsky in den 1920ern hat sich darüber amüsiert, dass deutsche Schauspieler ständig schreien. Auch in Rote Erde wird zu oft Hysterie als Stilprinzip eingesetzt, wird Aufgeregtheit mit Spannung verwechselt. Ebenso nervt es nach einer Weile, dass jeder Kneipenabend in einem sinnlosen Besäufnis mit anschließender Schlägerei endet. Natürlich sollen und müssen in einer Serie wie dieser das Elend der Arbeiter, die soziale Ungerechtigkeit, ihre erzwungene Bildungsferne, ihre meist elende Wohnsituation, die auf Befehl und Gehorsam beruhende Arbeitswelt gezeigt werden -- aber muss man sie wirklich noch zusätzlich vergröbern, indem man die Farbgebung der gesamten Serie grau, bräunlich und trübsinnig gestaltet? Und weil das noch nicht reicht, muss es immer wieder in Strömen regnen.

Dass im übrigen die gesamte Serie ziemlich linksgedreht ist, wird schnell offensichtlich -- typisch dafür ist die fast karikierende Darstellung des von Dominique Raacke gespielten Sozialdemokraten Karl Boetzkes -- ein politisch im Wind schwankendes Fähnchen, keinem Kompromiss abgeneigt. Er wird von Autor und Regisseur bereits als Figur nicht ernstgenommen, während die Bergleute in ihrer politischen Ausrichtung stets ideologisch gefestigt zu sein scheinen. Es ist diese unhinterfragte Selbstverständlichkeit, die hier stört; heute würde man das nicht mehr so machen. Differenziertere Charaktere, wie etwa der Reviersteiger und spätere Stahlwerksbesitzer Rewandowski, sind selten, und auch er bleibt ein merkwürdig einseitiger Typ, der stets latent negativ dargestellt wird, obwohl er -- wie sich bei einem Grubenbrand zeigt -- sofort weiß, wo sein Platz ist: an der Spitze des ersten Rettungstrupps nämlich. Er ist kein angenehmer Typ, aber er bleibt seinen Überzeugungen treu, und als er merkt, dass seine Überzeugungen nicht mehr gefragt sind, zieht er die klassische Konsequenz. Auch der von den Arbeitern respektierte Kaplan (von Jörg Hube gespielt) wird irgendwann einfach versetzt und taucht dann nur noch einmal wieder kurz auf, ohne dass wir je den Grund für seine Versetzung erfahren. Da wäre mehr drin gewesen. 

Über die historische Wahrheit all dieser Darstellungen kann man ohnehin streiten, Rote Erde ist keine Dokumentation und will auch keine sein. Die linke Perspektive der Serie jedenfalls galt damals als progressiv und war bei Produktionen des deutschen Buntfernsehens normal. Damals ist mir das nicht wirklich aufgefallen, heute schon. Wobei, damit das klar ist, gegen Parteinahme und Sympathie nichts einzuwenden ist, aber es wäre sicher auch ein wenig weniger aufdringlich gegangen.

Rote Erde war in gewisser Weise ein Vorläufer von Edgar Reitz' Meisterwerk, der Heimat-Trilogie, deren erste Staffel im Jahr 1984 ins Fernsehen kam. 

 

Beide Projekte haben nicht voneinander abgekupfert; das konnten sie nicht, da sie zum Teil zeitgleich gedreht wurden. Der Vergleich beider Projekte (Heimat hat sich nicht als "Serie" bezeichnet und ist auch keine) ist dennoch naheliegend und erhellend, denn er zeigt deutlich, wie unterschiedlich die Herangehensweisen waren. Während Stripp/Emmerich sehr auf ein "allgemeines Bild" setzen, auf Atmosphären, die auf der gesamten Serie liegen (um nicht zu sagen: lasten), baut Reitz (der Regisseur und Drehbuchautor war) in seiner Heimat von Anfang an viel stärker auf die Charaktere. Längen gibt es auch in Heimat, aber Reitz hat einen anderen Blick als Emmerich. Und obwohl auch hier die Weltkriege und die Nazizeit nicht ausgelassen werden, gibt es kaum Klischees, keine "Typen", fast alle Figuren sind individuell gedacht, haben ihren eigenen Kopf und eigene Lebensvorstellungen. Auch, wenn man diese nicht unbedingt immer teilt, entstehen doch Wege, Irrwege und sehr lebendige Beziehungen, mit denen man unmittelbar mitfühlt und mitlebt -- ein Effekt, der in Rote Erde praktisch nicht zustandekommt.

Kein kommerzieller Sender würde Serien wie diese beiden je auch nur ins Auge gefasst haben, auch Netflix wohl nicht, obwohl dessen Serienangebot ja zeitweilig ein Ruf wie Donnerhall vorauseilte. (Heute wird man sagen dürfen, dass auch bei Netflix nur mit Wasser gekocht wurde, und inzwischen hat man schon manchmal das Gefühl, dass auch das mittlerweile bereits verdünnt wird.) In den 1980ern waren Projekte wie diese noch möglich. Aber schon die dritte Heimat-Staffel wurde von der ARD regelrecht verhunzt, weil die Verantwortlichen es wichtiger fanden, sie für das Programmschema passend zu machen, statt ihr den Raum zu geben, den sie braucht. So kam es zu dem Effekt, dass nur die DVD-Version die Intentionen des Regisseurs wiedergab, die TV-Ausstrahlung wurde zum Flop. Und das war leider irgendwie sehr typisch.

 

 

Zu guter Letzt: Was mich 1983 vor den Fernseher gelockt hat, in die Rote Erde hineinzuschauen, das war gar nicht der Film, sondern zunächst mal die Musik. Die nämlich war, so hatte ich gelesen, von Irmin Schmidt (den Lesern dieses Blogs muss ich sicher nicht erklären, wer das ist). Es war diese wunderbar melancholische  Titelmusik, die mich sofort erwischt und zum Dranbleiben animiert hat. Sie hat nichts von ihrem Reiz eingebüßt. 

Irmin Schmidt, behaupte ich mal, gehört zu den besten Filmkomponisten im deutschen Sprachraum; er arbeitete auch vor dieser Serie bereits an anderen Serien mit Klaus Emmerich zusammen. (Einen Kommentar von Emmerich findet man in dem Buch "All Gates Open -- The Story of Can" von Rob Young auf Seite 531.) Mit seiner Filmmusikarbeit hielt Schmidt nicht zuletzt auch seine Gruppe CAN über Wasser. An seiner Musik zu den Rote-Erde-Staffeln wirkten damals klingende Namen wie Michael Karoli, John Marshall, Max Lässer, Gerd Dudek, David Johnson und Manfred Schoof mit; es gab den Soundtrack damals, in der Prä-CD-Ära, als LP. Zum Glück habe ich die noch; der Score ist später weder als CD noch in den Streamingdiensten vollständig wiederveröffentlicht worden; lediglich Schmidts erste Filmmusik-Anthologie enthält ein paar Titel. Was sehr schade ist, denn einige der Musiken gehen auch ohne die dazugehörigen Bilder unter die Haut -- etwa die "Trauermusik" aus der ersten Staffel, oder "Es geht ein Schnitter" aus der zweiten: Michael Karoli überlagert in letzterem ein sehr moll-lastiges E-Piano- und Bratschenmotiv mit einer langen Gitarrenrückkopplung, die einem buchstäblich die Seele zerschneidet. Dabei gehört schon die Titelmusik zu jener Sorte von Musiken, mit denen man morgens aufwacht, ohne zu wissen, wo sie herkommt. Schmidt findet in seinen Musiken eine perfekte Balance zwischen dem zur fiktionalen Zeit des Films vorhandenen einfachen Instrumentarium und moderner heutiger Elektronik und Verfremdungseffekten. So wird die Musik glaubwürdig, ohne in falsche Volkstümlichkeit zu fallen.

Um die Eingangsfrage zu beantworten, ob es sich lohnt, sich die Serie heute noch anzuschauen: Ja, eindeutig ja, trotz aller Einwände und Relativierungen. Man muss übrigens die DVD-Boxen gar nicht kaufen -- alle Rote-Erde-Folgen stehen hier auf Youtube.

 

*

 

It's a strange experience rediscovering old DVD box sets: "Rote Erde" was a prestige project of the ARD (Germany's public TV) in 1983. I was absolutely thrilled by this series back then. How does ist look today, more than 40 years later? 

 

Rote Erde ("Red Earth"), the miners' saga from the Ruhr region, as it was subtitled, consists of two seasons. Season 1 (produced in 1983) covers the period from 1887 to 1919, while Season 2 (produced in 1990) follows directly on from that, from 1920 until the first mine closures in 1949.

The exact setting is never specified, but the title is, of course, talking. The series has to be set somewhere in Westphalia, between the Lower Rhine and the River Weser. The term "red earth" has nothing to do with class struggle or, as one might suspect, with blood-soaked battlefields, but is probably derived from "gerodete Erde" (cleared earth"). That the title could also be associated with the labor movement in the Ruhr region is obvious, and plays a significant role in the series.

The set, however, was elsewhere, namely on the Bavaria studio grounds in Munich-Geiselgasteig. There, they lovingly recreated a mining settlement—houses, streets, apartments, attics with dovecotes, and even the mine itself, the latter at ground level. I didn't notice it at the time, but now, on second viewing, it seems to me that the three tunnels are always the same. However, they were quite skillfully exploited with the help of lighting and lots of different camera angles.

The first season ran without competition back then; there was no commercial television in Germany (that came not before 1984) and of course no streaming service, and binge-watching wasn't yet a thing.

 

Rote Erde II followed in 1990, by which time the series was already competing with some established commercial broadcasters. This was noticeable not only visually, but also in the formats: While the first season was presented in nine parts with a duration of 60 minutes, the second season came in four feature-length parts. The seven years between filming dates and the commercial competition were noticeable; the film language of the second season was more concise and faster.

But also this is noticeable: the entire series was not yet written by the staff of a "writer's room," but by the experienced radio play and screenwriter Peter Stripp (with expert advice from, among others, the Bochum Mining Museum), and Rote Erde was directed by TV and theater director Klaus Emmerich. Both writer and director had already been in the business for some time. Nothing to say against the idea of ​​a writer's room, but there's a difference between a head writer utilizing several storyliners for the production of a series (as is common today), who then develop dialogue, and so on (I was one of those guys myself once for a daily soap), and a writer's script from start to finish: You can clearly see their individual style. For my taste, a series like this needs the stylistic consistency of one writer.

Prominent German names were cast: Ralf Richter, Dominic Raacke, Sunnyi Melles, Walter Renneisen, Klaus Wennemann, Jörg Hube, Klaus J Behrendt, Dominique Horwitz, Nina Petri, and the wonderful old Rudolf Schündler—those alone were recommendations. And there was an interesting new discovery: Claude-Oliver Rudolph. Strange: I remembered that he was in the cast, but I completely forgot that he actually played the lead role: the 17-year-old Polish farmer Bruno Kruska. Lured to the Ruhr region by recruiters, he wants to work at the Siegfried coal mining plant without having any idea what that actually means: a mine. Bruno is an inscrutable figure, but he has his principles. He settles in quickly, and it becomes clear just as quickly that he is unwilling to be taken in by anyone, even in the face of resistance. This is a combination of characteristics worth seeing. You live and age with Bruno from the beginning of the series until his death in the second season; he is a sympathetic figure and at the same time a guy you don't want to mess with. In one situation, he even allows himself to be carried away, out of revenge, by having an overman fall into a staple pit from which he can't escape. This is murder, but has no consequences for Bruno. -- TV director Dieter Wedel later cast Rudolph several times with extremely dangerous thugs, which on the one hand seems authentic, but also limits his acting range.

It's not just Bruno Kruska who gives you a strange feeling. You want to sympathize with the protagonists, you follow their often twisted lives and fates, and yet they remain strangely distant; you're curious to see what they'll do next, and yet ultimately you remain rather uninvolved.

We would describe the series' narrative style today as "horizontal," but back then, that term didn't exist. The episodes build on each other, their order is imperative. For example, at the end of the first season, the miners prevent the mine headframe from being blown up by occupying the mine and even confronting the approaching soldiers. At the end of the second season, in 1949, it is blown up after all: its collapse is thrown at the protagonists' feet like the uncertain future itself.

Also remarkable is the twist of not wanting to treat the Nazi era (which the series, of course, cannot avoid) as an abstraction, or simply letting the usual swastica flags fly or Nazi uniforms parade across the screen. Instead, one event is directly linked to one person: Bruno's son Max, who initially sympathizes with the Nazis, witnesses a boy, probably around 12 years old, stealing a loaf of bread, being caught by a well-known SS man and hanged in front of the assembled pit workers. Everyone stands there, everyone watches, including Max. Several clench their fists; everyone could intervene, but no one does. This experience sticks with Max and ultimately leads him to an admission of guilt, which I won't reveal here, but which will resonate for a long time.

Differences between then and now? Our viewing habits have changed, and this has repercussions for filmmaking. Some things that I didn't even notice back then, in the early 1980s, are clearly noticeable when I rewatch it today: Rote Erde is considerably long, some scenes were drawn out endlessly, even though you've long since understood what they're about. Births, like rapes, are depicted on an epic scale. Many characters, as already mentioned, are very simplistic and have to make do with two characteristics and just as many facial expressions. Above all, there's constant shouting. This seems to have been a quirk of German actors and directors since times immemorial; even Kurt Tucholsky in the 1920s was amused by the fact that German actors were constantly shouting. In Rote Erde, too, hysteria is too often used as a stylistic principle, confusing excitement with suspense. It also becomes annoying after a while that every night at the bar ends in a senseless drunken bout followed by a brawl. Of course, a series like this should and must depict the misery of the workers, the social injustice, their enforced lack of education, their mostly miserable living conditions, and the working world based on command and obedience—but do they really need to be further exaggerated by making the entire series' color scheme gray, brownish, and gloomy? And because that's not enough, it has to rain heavily again and again.

It quickly becomes apparent that the entire series is quite left-leaning – typical of this is the almost caricatured portrayal of the Social Democrat Karl Boetzkes, played by Dominique Raacke – a politically swaying flag, never averse to compromise. He is not taken seriously as a character by the writer and director, while the miners always seem ideologically entrenched in their political leanings. It is this unquestioned matter-of-factness that is disturbing here; one would not do it this way today anymore. More nuanced characters, such as the district overman and later steel mill owner Rewandowski, are rare, but even he, too, remains a strangely one-sided character, always portrayed in a latently negative way, even though – as becomes apparent during a mine fire – he immediately knows his place: at the head of the first rescue team. He is not a pleasant character, but he remains true to his convictions, and when he realizes that his convictions are no longer in demand, he draws the classic conclusion. Even the chaplain (played by Jörg Hube), who is respected by the workers, is simply transferred to another village at some point and then reappears only briefly, without us ever learning the reason for his transfer. This could have been a bit more clearly.

The historical truth of all these depictions is debatable anyway; Rote Erde is not a documentary and doesn't intend to be one. In any case, the series' left-wing perspective was considered progressive in the early 1980s, it was standard for German television productions. I didn't really notice it back then, but I do now. Although, to be clear, there's nothing wrong with partisanship and sympathy, it certainly could have been a little less intrusive.

Rote Erde was, in a sense, a precursor to Edgar Reitz's masterpiece, the Heimat trilogy, the first season of which aired in 1984.



The two projects didn't copy each other; they couldn't have, as they were partly filmed concurrently. Comparing the two projects (Heimat didn't call itself a "series" and rightly so) is nevertheless obvious and illuminating, as it clearly shows how different the approaches were. While Stripp/Emmerich rely heavily on a "general picture," on atmospheres that permeate (not to say weigh on) the entire series, Edgar Reitz (who was both director and screenwriter) relies much more on the characters in Heimat from the very beginning. There are also some long stretches in Heimat, but Reitz has a different perspective than Emmerich. And although the world wars and the Nazi era can't be omitted here too, there are hardly any clichés, no "types"; almost all of the characters are conceived individually, with their own minds and their own ideas about life. Even if you don't necessarily always share these ideas, paths, wrong turns, and very lively relationships emerge that you immediately empathize with them and experience – an effect that is practically nonexistent in Rote Erde.

No commercial broadcaster would ever have even considered series like these two, not even Netflix, although its series offerings had a reputation like thunder a couple of years ago. (Seen from now, one might say that even Netflix was just cooking with water, and now one sometimes gets the feeling that even that has been thinned down.) In the 1980s, projects like these were still possible. But the third season of Heimat (2002/2003) was already completely botched by ARD because those in charge considered it more important to make it fit the programming schedule than to give it the space it needed. The result was that only the DVD version reflected the director's intentions, and the TV broadcast was a flop. And that, unfortunately, was very typical. 


Last but not least: What lured me to the television in 1983 to watch Rote Erde wasn't the film at all, it was the music. It was, I had read, composed by Irmin Schmidt (I certainly don't need to explain who that is to the readers of this blog). It was this wonderfully melancholic title music that immediately grabbed me and made me want to stay tuned. It hasn't lost any of its charm.

Irmin Schmidt, I daresay, is one of the best film composers in the German-speaking world; he had already worked with Klaus Emmerich on other series before this one. (A commentary by Emmerich can be found in the book "All Gates Open -- The Story of Can" by Rob Young on page 531.) With his film music work, Schmidt also kept his group CAN afloat. His music for the Rote Erde seasons featured prominent names like Michael Karoli, John Marshall, Max Lässer, Gerd Dudek, David Johnson, and Manfred Schoof. Back then, in the pre-CD era, the soundtrack was available on LP. Luckily, I still have it; the score was never re-released in its entirety either on CD or on streaming services; only Schmidt's first film music anthology contains a few tracks. Which is a shame, because some of the music gets under your skin even without the accompanying images—such as "Trauermusik" (Funeral Music) from the first season, or "Es geht ein Schnitter" (There Goes a Reaper) from the second. In the latter, Michael Karoli overlays a very minor-key electric piano and viola motif with a long guitar feedback that literally rips through your soul. And yet the title track itself is the kind of music you wake up to in the morning without knowing where it came from. In his music, Schmidt finds a perfect balance between the simple instrumentation available in the film's fictional time period and contemporary electronics and alienation effects. This makes the music credible without falling into false folksy territory.

To answer the initial question of whether the series is still worth watching today: Yes, definitely yes, despite all the objections and qualifications. And as it happens, you don't even have to buy the DVD box sets - all Rote Erde episodes are available here on YouTube (but no english subtitles -- sorry!). 

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Saturday, January 20, 2018

Score - A Film Music Documentary





Ein ziemlich ramponiertes Piano steht irgendwo auf einem Hügel bei Malibu. Über hunderte von Metern sind Drähte zwischen dem Piano und einigen Wassertanks in der Umgebung gespannt. Wer auf dem Klavier spielt, erlebt dadurch einen Sound, der nicht nur vom Instrument selbst stammt, sondern auch bestimmt wird durch den Hall in den Tanks, mitschwingende zeitverzögerte Resonanzen und den Wind, der den Draht ins Schwingen bringt.

Das ist die Eröffnungsszene von SCORE, einem Film über Filmmusik. Der CBS-Newsjournalist Matt Schrader startete das Projekt aus Spaß am Thema mit einer Handvoll interessierter Freunde, mittels Kickstarter sollten 40.000 Dollar beschafft werden, 120.000 kamen am Ende zusammen.

Schon die allerersten Stummfilme wurden nicht ohne Musikbegleitung gezeigt, vorrangig, um die Geräusche der Projektionsmaschine zu überdecken. Und schon wenig später, nachdem der Film aus den Jahrmarktszelten aus- und in Kinos eingezogen war, wurden phantastische Orgeln zur Begleitung gebaut. SCORE zeigt ein wunderschönes Exemplar -- was mich mit einer Träne im Knopfloch daran erinnert, dass in Downtown Pittsburgh ein altes Kino existiert, welches zu einem Einkaufszentrum umgewidmet wurde, als solches pleite gegangen ist und nun seit vielen Jahren leersteht, das ein solches Instrument noch besitzen soll:



Ob es noch funktionsfähig wäre -- wer weiß. Überprüfen kann man das leider nicht, das Gebäude ist nicht zugänglich.

Der erste voll orchestrierte Soundtrack für einen Tonfilm wird hier Max Steiner zugeschrieben: für King Kong von 1933. Das dürfte stimmen, auch wenn es orchestrale Soundtracks für Stummfilme natürlich längst vorher gab; es sei hier nur an Gottfried Huppertz' phantastische Kompositionen für Fritz Langs Nibelungen und Metropolis erinnert, die als sinfonische Werke durchaus sogar für sich stehen könnten. Bekannte und weniger bekannte Filmkoponisten -- Danny Elfman, John Williams, Howard Shore, Hans Zimmer, Alexandre Desplat u.a. -- werden interviewt; mit vermutlich viel Mühe hat man sogar eine Komponistin gefunden, die mir leider völlig unbekannte Rachel Portman. Sie bestätigen sich gegenseitig, wie einmalig und wichtig sie sind, darüber hinaus verraten sie nicht viel. Viele andere Komponisten -- Jerry Goldsmith, John Barry, Trent Reznor, Ennio Morricone, Bernard Herrman u.a. -- werden anhand markanter, meist aber leider nur sehr kurzer Ausschnitte vorgestellt und ihre spezifischen Eigenheiten analysiert.

SCORE geht anhand dieser Komponisten diverse Aspekte der Filmkomposition systematisch durch, wobei auch Filmhistoriker (u.a. Leonard Maltin), eine Musikpsychologin (Siu-Lan Tan), die Regisseure James Cameron, Steven Spielberg, George Lucas, Garry Marshall und Christopher Nolan sowie Musiker wie Quincy Jones und Moby ihren Teil zum Gesamtbild beitragen. Sehr plastisch wird am Beispiel Lord of the Rings die Funktion von Leitmotiven gezeigt (die bei mir noch immer eine Gänsehaut auslösen), dazu werden verschiedene Orchestrierungsstile, Ensemblebesetzungen, ungewöhnliche Instrumentierungen, Popmusik, elektronische Klänge, Mickey Mousing (auch wenn es hier nicht so genannt wird) demonstriert. Gelegentlich wird das allerdings ein wenig platt. Hans Zimmers Dreh etwa, den gesamten Streicherapparat des Orchesters als Rhythmusgruppe einzusetzen, ist nun wirklich nicht neu, auch wenn er ihn exzellent beherrscht. Vielleicht würde man auch gern erfahren, weshalb bei John Williams seit Star Wars anscheinend jede Musik zur Marschmusik gerinnt (Ausnahme: Schindler's List -- die ist ihm wirklich gelungen), aber das erfahren wir nicht. 

Dafür werden andere Dinge gezeigt. Etwa, dass Filmmusiken ihre Wirkung auch daraus beziehen können, dass Instrumente eingesetzt werden, die eigentlich nicht in das Genre passen, etwa eine E-Gitarre in einem Western, das wird anhand von Ennio Morricones Musik zu The Good, the Bad and the Ugly demonstriert. Wir erfahren auch, wie die Musik sogar steuern kann, welche Bildausschnitte der Zuschauer wahrnimmt und welche er ignoriert. Von Atmosphären natürlich nicht zu reden. Zimmers Schlussmusik in Inception lässt wirklich einen neuen Tag anbrechen,  E.T.'s Abschiedsmusik treibt einem selbst dann die Tränen in die Augen, wenn man den Film gar nicht kennt.

Speziell interessant ist auch eine Szene in SCORE, die zeigt, wie eine Filmmusik (ich meine, sie stammt aus Titanic, bin mir aber nicht sicher) wirken kann, wenn sie aus dem Filmkontext herausgenommen wird: In voller Lautstärke im Anschluss an Barack Obamas Amtsantrittsrede ins Publikum gedonnert erzeugt sie eine Aufbruchstimmung, die fast schon zu Tränen rührt. Was seltsamerweise in SCORE fehlt, ist der Klassiker, den jeder Gemeinschaftskundelehrer draufhat: einen bestimmten Filmausschnitt mit verschiedenen Musiken zu zeigen.

Aber auch scheinbare Nebengleise, etwa die Arbeits- und Denkweise der zumeist klassisch ausgebildeten Orchestermusiker in der Filmmusikproduktion werden vorgestellt -- fast alle diese Leute sind "sightreading musicians", sie können ohne Probe sofort vom Blatt spielen. Hans Zimmer äußert die wohl korrekte Vermutung, dass viele klassische Orchester nur noch existieren, weil sie für Filmmusiken eingesetzt werden. Nach wie vor spielen auch Arrangeure eine große Rolle, die jedes einzelne Orchesterinstrument genau kennen müssen. Auch die Aufnahmestudios werden noch immer nach ihren klanglichen Gegebenheiten ausgewählt (unter die Lupe genommen hier an den Londoner Beispielen A.I.R. und Abbey Road Studios). Und ein paar nette Anekdoten gibt es als Zugabe -- etwa jene über Alfred Newman: Er schrieb eine Fanfare, die für MGM bestimmt war, von dieser Firma aber abgelehnt wurde. Newman reichte sie dann an 20th Century Fox weiter -- und sie wurde das vermutlich bekannteste akustische Signet der Welt.

Was der Film nicht zeigt: wie Filmmusik komponiert wird. Darüber verraten die befragten Komponisten nichts. Aber wie sollten sie auch? Man kann die eigentliche Kompositionsarbeit nicht zeigen. Statt dessen wird die Bernard Herrman zugeschriebene Binse "There's only one rule: There are no rules" bemüht. Ansonsten nähert sich der Film dieser Frage durch die Interaktion mit den Regisseuren. 

Wie weit eigentlich heute Filmkomposition ins Sounddesign übergeht, und ob das eine gute Entwicklung ist, wird nicht angeschnitten. Auch das zunehmende Problem der Komponisten mit  sogenannten "Tempmusiken" kommt nicht vor; mit Musiken also, die der Regisseur von CDs "vorläufig" in den Film einbaut, um dem Komponisten zu zeigen, was er sich ungefähr vorstellt. Das Problem dabei ist, dass sich diese Musiken oft verselbständigen und der Komponist dann nur noch versuchen kann, dasselbe zu liefern, ohne zu klauen. Im guten Fall kann das allerdings auch dazu führen, dass die Tempmusik bleibt, weil sie sich als unschlagbar herausstellt -- Beispiel: Stanley Kubricks 2001.

Bleibt noch darauf hinzuweisen, dass soeben auf DVD eine SCORE Vol. 2 veröffentlicht worden ist. Die DVD enthält einige der geführten Interviews in voller Länge. Außerdem gibt es die Interviews -- in den USA jedenfalls -- auch in Buchform.

Und blöderweise geht mir, seit ich gestern SCORE gesehen habe, dieses dumme Signalmotiv aus Close Encounter of the Third Kind nicht mehr aus dem Kopf. Mit Risiken und Nebenwirkungen muss man also wohl rechnen.

(Dieser Post erschien zuerst in manafonistas.de)

Sunday, June 26, 2016

The Film Music of Howard Shore





The Film Music of Howard Shore

Pittsburgh Symphony Orchestra
Ludwig Wicki, conductor

Howard Shore, special guest
John Burlingame, interviewer

Lydia Kavina, theremin
Maksim Shcherbutyuk, boy soprano
Terry Steele, alto saxophone
Eva Rainforth, mezzo soprano
Colleen Poe, piper
Palmer Shonk, piper

Pittsburgh, Heinz Hall
June 25, 2016





Fünf Jahre lang, von 1975 bis 1980, war der kanadische Komponist Howard Shore der "musical director" der wöchentlichen US-Fernsehshow Saturday Night Live, zu deren Schöpfern er auch gehörte. Um dieselbe Zeit herum begann er auch mit dem Regisseur David Cronenberg zusammenzuarbeiten und hat seitdem die Musiken zu 15 Filmen geschrieben, darunter Crash, Naked Lunch, Ed Wood, Se7en, The Silence of the Lambs und Mrs. Doubtfire. Auch eine Oper, The Fly, hat Shore komponiert. Seine bekanntesten Musiken aber sind ganz sicher jene für die Lord of the Rings- und The Hobbit-Trilogien.

Die gab es natürlich auch alle in Ausschnitten im gestrigen "Pops"-Konzert des Pittsburgh Symphony Orchestra zu hören. Die "Pops"-Konzerte, bis zu dessen Tod im Jahr 2012 von Marvin Hamlisch geleitet, erkennt man vor allem daran, dass die Musiker Weiß statt Schwarz tragen, das Publikum auch während der Stücke durch die Gänge rennt, nach den Stücken nicht nur geklatscht, sondern auch gejohlt wird (denn wegen des Smartphones in der Hand ist Klatschen in vielen Fällen nicht mehr möglich) und die altehrwürdige Heinz Hall (benannt nach dem Ketchupfabrikanten) mit einer PA und buntem Licht aufgepeppt wird. Auch Legolas-Frisuren und Elbenohren waren vereinzelt zu sehen. Das hat immerhin noch Charme angesichts des Programms.





Offensichtlich, das wurde mir schnell deutlich, eignet sich nicht jede Filmmusik automatisch zur Konzertmusik. Auch die im ersten Teil des Abends praktizierte Methode, die Musik aus den Hobbit-Filmen zu einer vierteiligen Suite zusammenzufassen, ist nicht ideal, zumal mir die Dramaturgie innerhalb der Teile nicht immer stimmig zu sein schien und die Unterbrechungen mir auch etwas beliebig gesetzt vorkamen. Aber man muss wohl in Rechnung stellen, dass heutige Filme wie diese mit einem fast permanenten Soundteppich unterlegt sind, während Filme noch in den 70er Jahren kaum mehr als insgesamt 15 oder 20 Minuten Musik enthielten. Da fallen Suiten leicht mal auseinander.

Zudem fiel mir auf, dass Shore keine Handschrift besitzt, die man sofort erkennen würde. Filmmusiken von Künstlern wie Nino Rota, Ennio Morricone, John Williams, John Barry oder Hans Zimmer erkennt man nach wenigen Takten am Stil oder der Melodieführung. Nicht so bei Shore. Handwerklich ist er fit, Melodien sind aber eindeutig nicht seine Stärke. Dafür allerdings bieten seine Kompositionen einem Orchester die Möglichkeit, ein paar Dinge aufzufahren, die im sinfonischen Programm sonst eher selten vorkommen -- etwa Bongotrommeln, Metallklänge, Singende Säge, Donnerbleche, Regenmaschinen.

Unter der Leitung des Dirigenten Ludwig Wicki, der bewegungstechnisch permanenten Alarmzustand signalisierte, selbst wenn die Musik völlig ruhig dahinfloss, traten außerdem eine Reihe von Solisten auf -- eine Mezzosopranistin, die leider latent gewürgt klang, ein exzellenter Altsaxophonist, zwei Dudelsackpfeifer, ein Knabensopran, der spätestens in einem halben Jahr aus dieser Rolle herausgewachsen sein dürfte. Und -- für mich der Hauptgrund des Konzertbesuches -- Lydia Kavina am Theremin.





Wer mal irgendjemanden (wie etwa Jean Michel Jarre oder sich für postmodern haltende Popgruppen) live mit diesem Ding herumdilettieren gesehen (und gehört!) hat, der kann nur staunen, wie unglaublich präzise dieses Biest gespielt werden kann -- wenn man es denn kann. Und Lydia Kavina kann. Ihr Solo zur Ed-Wood-Musik gehörte zu den Höhepunkten des Abends.

Leider überschritten alle Solisten des Abends kaum mal die Dreiminutenmarke, bevor sie wieder verschwanden. Das war, seien wir ehrlich, in den meisten Fällen kein großer Verlust, im Falle Kavina aber sehr wohl. Da hätte man gern mehr gehört.

Bleibt noch anzumerken, dass Howard Shore selbst anwesend war und, mit einem Interviewer auf der Bühne sitzend, kurze Einführungen zu den jeweils gespielten Stücken gab. Auch wenn die Gespräche einen gescripteten Eindruck machten: Das immerhin war interessant.

(Dieser Beitrag erschien zuerst in manafonistas.de)

Friday, October 30, 2015

Nosferatu & Live Music



NOSFERATU -- A SYMPHONY OF HORROR
Germany 1922, directed by F.W. Murnau


Live score composed and performed by George Sabol

Pittsburgh, Carnegie Lecture Hall, October 29, 2015



(Scroll down for English version)

Halloween steht vor der Tür. Ein passender Anlass, wieder einmal Murnaus wunderbaren NOSFERATU -- EINE SYMPHONIE DES GRAUENS auszugraben. Noch immer ist dies einer der besten je gedrehten Filme überhaupt, und Vorbild für so ziemlich alle späteren Horrorfilme sowieso.

Allerdings nicht, wie gestern abend im Carnegie Museum of Art zu sehen und zu hören, mit Heavy-Metal-Begleitung. Der Pittsburgher Gitarrist George Sabol ist nicht der Erste, der sich an dieser Kombination versucht, auch die New Yorker Doomrocker Type O Negative sind damit schon abgeschmiert.

Grundsätzlich finde ich es immer begrüßenswert, künstlerisch wertvolle Stummfilme auch dadurch lebendig zu halten, dass man sie mit Livemusik begleitet, und Sabol hat das handwerklich durchaus gut hinbekommen. Er spielte zum Halbplayback live verschiedene Gitarren. Nur leider hat er sich für seine Heavy-Metal-Musik einfach den falschen Film ausgesucht. NOSFERATU ist ein leiser, subtiler Film, der bewusst auf grelle Schockeffekte verzichtet. Heavy Metal ist das genaue Gegenteil dessen. Hier zogen sich die Gegensätze nicht an, sondern ergaben Wiener Schnitzel mit Vanillesauce.

Zudem verwendete Sabol, vemutlich aus lizenzrechtlichen Gründen, eine uralte, lieblos zusammengehauene und unrestaurierte US-Version des Films voller Kratzer und Sprünge. Damit kann man dem Film nicht gerecht werden. Die Zwischentitel waren grafisch miserabel gestaltet, ließen keine Unterscheidung zwischen den verschiedenen Zwischentitelarten und den Inserts zu und waren einfach nur verwirrend, streckenweise auch allzu frei aus dem Deutschen übersetzt, etliche fehlten ganz. Der fehlenden Viragen wegen wird auch nicht immer klar, welche Szenen bei Nacht und welche bei Tag spielen. Im Originalfilm gibt es erklärende Zwischentitel, es gibt Dialogtitel und es gibt Inserts aus einer alten Chronik; letztere bildet den erzählerischen Rahmen der Geschichte. In der hier verwendeten Kopie war man sich anscheinend nicht einmal einig, ob der Meister nun eigentlich Nosferatu oder Dracula heißt (tatsächlich heißt er Graf Orlok, aber das wird gleich ganz unterschlagen); auch die Namen der Charaktere waren in die alte Stoker-Benennung zurückübersetzt worden, und es bleibt dadurch ein Rätsel, weshalb eigentlich die Leute in Bremen englische Namen tragen.

Solche veralteten Versionen sollten nicht mehr gezeigt werden, sie vermitteln ein falsches Bild des Films. Wenn also NOSFERATU, dann doch bitte eine sorgfältig rekonstruierte und restaurierte Version wie etwa jene des Filmmuseums München (zu beziehen via Transit-Film). Die hat die neueingespielte originale Orchestermusik von Hans Erdmann, die zu dem Film passt, und sie hat die Viragen, die der Film im Original mit großer Wahrscheinlichkeit hatte. (In den USA und England ist eine adäquate Fassung bei EUREKA erschienen. Sie hat die englischen, korrekt übersetzten und grafisch dem deutschen Original nachgebildeten Zwischentitel.)






Halloween is on the way. A good reason to rediscover Murnau's wonderful NOSFERATU -- A SYMPHONY OF HORROR. It's simply still one of the best movies ever made, and role model for many later horror movies anyways.

But not with Heavy Metal acompaniment, as seen and heard yesterday at the Carnegie Museum of Art. Pittsburgh guitarist George Sabol is not the first one who tried this combination, also the New York doom rockers Type O Negative failed with it already.

In general I think it's always a good thing to keep silents of high artistic value alive by live music accompaniment, and Sabol did it quite well. He played several guitars live to a pre-recorded score. The problem is: For his Heavy Metal music he simply used the wrong film. NOSFERATU is a quiet, subtle film that intentionally abstains from harsh shock effects. And that's exactly the opposite of Heavy Metal. So here the opposites didn't attract, the result was Viennese schnitzel with vanilla sauce.

Besides this, Sabol -- probably due to copyright reasons -- used an age-old, knocked-up and unrestored US version of the movie with scratches and cracks. This doesn't do any justice to the film anymore. The intertitles were graphically miserable, you couldn't recognize the different kinds of intertitles and inserts, and so they were confusing, several of them were translated all too freely from German or missing completely. Because of the missing tintings it's not even clear sometimes which scenes are set at night and which ones at daytime. In the original movie there are explaining intertitles, there are dialogue intertitles, and there are inserts from an old chronicle that establishes the whole frame of the story. In this copy it was not even clear whether the name of The Master is Nosferatu or Dracula (in fact, he's Count Orlok, but that's not even mentioned); also the names of the other characters were translated back into the old Stoker version, and so nobody knows why the people in Bremen have English names.

Dated versions like this one shouldn't be shown anymore; they convey a wrong image of the film. If NOSFERATU, then please a carefully resconstructed and restored version like the one made by Filmmuseum Munich (available via Transit Film, in the U.S. and England via Eureka). It has the newly recorded original orchestral score by Hans Erdmann that matches with the movie, and it has the tintings the film in all probability had in its premiere version, with the correctly translated intertitles which reproduce the original German design. 



Sunday, February 5, 2012

Von morgens bis mitternachts (Deutschland 1920)




(English text HERE!)


1920, kurz nach der Uraufführung von Das Cabinet des Dr. Caligari, begannen die Dreharbeiten zu Von morgens bis mitternachts. Während allerdings Caligari ein bahnbrechender Film der expressionistischen Ära in Deutschland wurde, fiel Mitternacht über die Tischkante. Soweit wir heute wissen, fand sich kein Verleiher, und so war der Film in Deutschland, Österreich und der Schweiz nicht zu sehen. Nur eine Pressevorführung im Juni 1922 in den Regina-Lichtspielen in München ist überliefert. Die öffentliche Uraufführung fand am 3. Dezember 1922 im Hongo-za-Kino in Tokio statt, danach ging der Film verloren. Die Kopie wurde erst 1962 wiedergefunden und ging ans Nationale Filmarchiv der DDR. Seine deutsche öffentliche Premiere erlebte Von morgens bis mitternachts dadurch erst 1963 in Ost-Berlin.

Eine Parallele zwischen Caligari und Mitternacht ist sofort offensichtlich: Beide Filme arbeiten mit gemalten Kulissen.


Während dies im Fall Caligari sehr sinnvoll ist, lässt sich das von Mitternacht nicht sagen, und es ist interessant, warum das so ist.

Caligari handelt von psychiatrischen Themen; die ganze Story ist eine Art Halluzination eines Wahnsinnigen, und deshalb ist die gesamte Szenerie irreal. Die einzigen "realen" Szenen sind jene, die die Patienten im Garten und im Foyer der Anstalt zeigen - wodurch klar wird, dass dies deren reale Situation ist.

Nicht so in Mitternacht. Der Film erzählt eine sehr simple Geschichte: Ein Bankkassierer (gespielt von Ernst Deutsch, noch heute eine Bühnenlegende in Deutschland) kann der Versuchung nicht widerstehen. Er klaut das Geld aus seiner Kasse, verlässt seine Familie und versucht, das "wilde Leben" zu leben - oder jedenfalls das, was er sich darunter vorstellt. Der Film folgt diesem Versuch "von morgens bis mitternachts" durch eine Reihe von Stationen: einem Luxushotel, einem hochklassigen Herrenausstatter, einer Bar, einer Sportarena, einer Spielhölle. Klar, dass sich diese Reise alsbald in eine Flucht verwandelt.

In jeder dieser Stationen ist eine Uhr zu sehen, und jede Szene endet mit einem symbolischen Bild: Eine scheinbar verführerische Frau verwandelt sich sekundenlang in den Tod und veranlasst den Kassierer, in Panik und Entsetzen die Flucht zu ergreifen.


In der letzten Station schließlich rettet eine Soldatin der Heilsarmee den Kassierer aus einer Spielhölle und bringt ihn in ihr Gemeindehaus.


Sie überzeugt ihn davon, seine Sünden zu bekennen. Vor etlichen anderen armen Sündern tut er dies schließlich und wirft diesen am Ende das noch verbliebene gestohlene Geld vor die Füße. Die Armen raffen die Scheine an sich und rennen davon, nur die Heilsarmeesoldatin bleibt bei ihm. Als sie jedoch herausfindet, dass auf den Kassierer 5000 Mark Belohnung ausgesetzt sind, läuft sie nach draußen, um den nächstbesten Polizisten zu alarmieren.

Als die Polizei erscheint, um ihn zu verhaften, erschießt sich der Kassierer vor einem Kreuz, um sodann auf eine eigenartig verdrehte Weise die Haltung des gekreuzigten Christus anzunehmen; über ihm erscheinen die Worte "ecce homo" - "siehe, der Mensch", Pontius Pilatus' Worte.


Der Film basiert auf einem Theaterstück von Georg Kaiser von 1912, das Drehbuch schrieb Herbert Juttke, das Szenenbild entwarf Carl Hoffmann. Der Regisseur Karlheinz Martin verfilmte das Stück ohne große Veränderungen. Tatsächlich ist der Film auf einer Theaterbühne gedreht, und das sieht man vom Anfang bis zum Ende - die Schauspieler spielen direkt in die Kamera, "zum Publikum", so wie sie es von der Bühne her kennen. Es gibt nur wenige Augenblicke, die zeigen, dass der Regisseur sich klargemacht hat, dass er hier mit einem anderen Medium zu tun hatte:

Wenn der Kassierer ein Sechstage-Radrennen besucht und den Rennfahrern eine enorme Geldsumme in Aussicht stellt, um sie zu schnellerem Fahren anzutreiben, dann wird ihre zunehmende Geschwindigkeit durch ein verzerrtes Bild symbolisiert.


Eine andere schöne Idee ist zu sehen, wenn die Nachricht von seiner Flucht telegrafiert wird: Die Buchstaben sind entlang der Telegrafendrähte aufgereiht und fliegen davon.



Und hier wird eine reale Szene in ein Gemälde verwandelt:



Dies sind hervorragend gemachte Momente, die tatsächlich etwas vom wahren Geist des Expressionismus einfangen. Während Caligari diesen Geist konsequent durchhält, sind filmspezifische Ideen dieser Art in Mitternacht die Ausnahme. Alles in allem deshalb sicherlich ein interessanter Film für alle, die sich für Filmgeschichte interessieren, aber kein "großer" Film, den man unbedingt gesehen haben müsste.

Vor kurzem wurde dieser Film in einem Pittsburgher Kino mit Live-Musikbegleitung von einem Kammerorchester gezeigt. Die Vorstellung war ausverkauft. Das ist erfreulich, weil es zeigt, dass ein Interesse an Stummfilmen und Filmgeschichte tatsächlich existiert. 

Von morgens bis mitternachts gibt es auf DVD, gut restauriert vom Filmmuseum München (Enno Patalas, Gerhard Ullmann und Klaus Volkmer). Sie enthält die originalen deutschen Zwischentitel, dazu wahlweise Untertitel in englischer, französischer und spanischer Sprache. Dazu gibt es ein informatives Booklet in drei Sprachen, außerdem hat die DVD keinen Regionalcode, sie sollte deshalb überall abspielbar sein.

Die originale Filmmusik ist verloren (falls es überhaupt je eine gab), aber die DVD bietet sogar zwei neue Musiken zur Auswahl. Der eine Soundtrack ist komponiert von Yati Durant und wird von einem Kammerorchester gespielt, der andere ist eine improvisierte Musik von Christian Roderburg und dem SchlagEnsemble H/F/M, live aufgenommen auf dem Internationalen Stummfilmfestival Bonn 2008 (und es ist auch der bessere Soundtrack).


Sunday, October 3, 2010

Roaring Rails (1924)

(Deutscher Text im Anschluss)

This silent movie was shown on October 1 at the Andy Warhol Museum. It was made in 1924, written by Doris Dorn and Hunt Stromberg, directed by Tom Forman, starring Harry Carey (a discovery of D.W. Griffith), Frankie Darro (he was 7 when this movie was shot, and it was already his second appearance on a screen), Edith Roberts, Wallace MacDonald and Frank Hagney.

It's one of the many movies that were cheaply made, shown then for one season with more or less success, and after that these films fell into oblivion. Most of them are lost forever; nobody cared for the movies. The copies were destroyed, they weren't seen as worth keeping, and at latest when the production companies needed storage room, even the original negatives were cleaned out.

Roaring Rails obviously survived in only one - not very well preserved - copy at the archives of the George Eastman House and has now been reconstructed and restored. The film is incomplete; one lost scene can only be described by intertitles. All in all, the reconstruction of the movie turned out well. Scratches and spots have been removed electronically; additionally, the film got virages now, following the usual standards - blue for "night", sepia for "artificial or candle light", red for the fire scenes. I'm not convinced that the original movie really had these colors, but anyway, it looks good and works well. Only the picture format seemed to be wrong; the left image border was cut off. But that may be a problem with the room at the Warhol Museum, not with the movie.

Nothing is known about a music for this movie. Probably - as most silents of the era - there was no special score written for it; every cinema pianist had to compile the music himself from music archives, or he had to follow his own feelings and knowledges. For an experienced pianist it was possible to improvise a soundtrack for most movies because usually they consisted simply from the ever-same standard situations.

Is it worth the effort then to reconstruct movies like this? As far as I'm concerned: yes. Why? Because movies like Roaring Rails give us an impression what cinema was about in the 1910s and 1920s, they deliver a lot of background information about the time and the society they were shown in. Movies like Roaring Rails were not "art", they were mainly a simple amusement for everyday people. Many of the moviegoers in the U.S. at that time were immigrants; workers who often didn't speak the language very well. Besides this they didn't have much money. The entrance fee was cheap, and the movies didn't need much language.

Seen from the producer's view this meant: American movies, in order to find their audience, had to be understandable and entertaining for people of all countries, origines, cultures, traditions, horizons and languages. Directors and screenwriters had to develop ways of storytelling as well as visual languages that could reach all of these people.

And they succeeded in this. This early filmmaking experience became the reason why Hollywood movies could be shown all over the world - they were understandable in nearly every country, and so they were successfull world-wide down to the present day.

Roaring Rails shows exactly how that works: The story is based on archaic emotions, there are no complicated relationships, it's good or bad, wrong or right, love or hate. The story is set in an ambience that has always been attractive for movies and is familiar to all audiences in the world: the railroad. The hero, on the one hand, is a bit naive, a guy like you and me, but it is clear from the first moment that he is the hero. There's the beautiful good-hearted young woman, and from the first moment of her appearence you know that finally she and the hero will be a couple. The villain is the villain; no explanations or reasons are given, he simply is, it takes only a few seconds until you hate him, and that's enough to make it work. And there's this little orphan boy who happens to get caught in the crossfire between hero, villain and two competing railroad companies. Archaic as it may be, it's all that's needed to make a touching movie that works still today.

In a certain way Roaring Rails in all its simplicity already must be seen as a sort of "latecomer" in 1924. At this time, directors like Lang, Lubitsch, Gance or Griffith had long proven that this new medium offered much more possibilities then this kind of lowbrow entertainment. But these kind of movies still existed, and they found their audience. That's why they are interesting still today.

The Warhol Museum provided a new music score for this movie, written by local composer Michael Kim and performed live by a four-piece ensemble (cello, violin, keyboard, several percussion instruments; the latter played by the composer himself). As enjoyable as this was, the music turned out to be rather monotone and repetitive after a while and had no real connection to the movie. Or let's put it this way: It showed that writing a good film score is not as easy as one may think.

And, dear Warhol team, if you take the trouble to present a treasure like this, be consequent and do it a bit more stylish. When introducing words have to be spoken (and that's a good and neccessary thing here), don't murmur them from the aisle into the rows, use the stage. If you work with live musicians, then it's not a good idea to let them introduce themselves after they took their seats already. It's the speaker's job to introduce them, then they should enter the stage and take their seats. And please, dear musicians: When the movie is over, you can stop playing. - But finally this is peanuts. Go on with evenings like this, please. It's worth it.


Dieser Stummfilm lief am 1. Oktober im Andy Warhol Museum. Er stammt aus dem Jahr 1924, wurde geschrieben von Doris Dorn und Hunt Stromberg, Regie Tom Forman; es spielen  Harry Carey (eine Entdeckung von D.W. Griffith), Frankie Darro (zum Zeitpunkt der Dreharbeiten war er gerade mal 7, trotzdem war dies bereits sein zweiter Auftritt auf einer Leinwand), Edith Roberts, Wallace MacDonald und Frank Hagney.

Es ist dies einer der vielen Filme, die billig hergestellt wurden, dann eine Saison lang mit mehr oder weniger Erfolg liefen und dann in Vergessenheit gerieten. Die meisten Filme dieser Art sind für immer verloren; niemand kümmerte sich um sie, die Kopien wurden nicht als erhaltungswürdig angesehen, also wurden sie weggeworfen, und spätestens, wenn die Produktionsfirma Lagerraum für neue Filme brauchte, wurden auch die Originalnegative vernichtet.

Roaring Rails überlebte in einer einzigen (noch dazu schlecht erhaltenen) Kopie in den Archiven des George Eastman House. Sie wurde nun rekonstruiert und restauriert. Der Film ist unvollständig, eine nicht erhalten gebliebene Szene kann nur noch per Zwischentitel beschrieben werden. Alles in allem ist die Rekonstruktion des Films aber gut gelungen. Kratzer und Flecken wurden elektronisch entfernt, zudem hat man den Film mit Viragen versehen, die dem üblichen Standard folgen - blau für "Nacht außen", sepia für "Kunst- oder Kerzenlicht", rot für die Feuerszenen. Ich bin nicht überzeugt davon, dass dieser Film solche Einfärbungen damals wirklich hatte, aber wie auch immer, die Viragen sehen gut aus und erfüllen ihren Zweck. Probleme bereitete im Warhol-Museum lediglich das Bildformat; der linke Bildrand war angeschnitten, doch mag das ein Problem des Raumes und nicht des Filmes gewesen sein.

Über eine Musik für diesen Film ist leider gar nichts bekannt. Wahrscheinlich - wie meistens bei Filmen dieser Ära - gab es gar keine eigens für ihn komponierte Musik, und so hatte jeder Kinopianist selbst eine Musik zusammenzustellen; sei es aus entsprechenden Musikarchiven, oder er folgte seinem eigenen Gefühl. Für einen versierten Kinopianisten dürfte es nicht mal ein großes Problem gewesen sein, Filme wie diesen mit mehr oder weniger improvisierter Musik zu begleiten, denn die Filme bestanden im wesentlichen immer wieder aus den gleichen Standardsituationen und -szenen.

Sind Filme wie dieser den Aufwand, den Rekonstruktion und Restaurierung bedeuten, heute wirklich noch wert? Ich für meinen Teil denke: ja. Warum? Weil Filme wie Roaring Rails uns einen Eindruck davon vermitteln, was Kino in den zehner und zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts war, und weil sie uns eine Menge Hintergrundinformationen über die Zeit und die Gesellschaft liefern, in der sie gezeigt wurden. Filme wie Roaring Rails waren ja nicht "Kunst", sie waren in erster Linie einfach Unterhaltung für alle. Viele der damaligen Kinogänger in den USA waren Einwanderer; Arbeiter, die oftmals die Sprache noch nicht richtig beherrschten. Außerdem hatten sie wenig Geld. Der Eintritt war billig, und die Filme kamen ohne viel Sprache aus.

Aus der Sicht der Filmproduzenten hieß das: Amerikanische Filme, wenn sie ihr Publikum finden sollten, mussten für Zuschauer jeder geografischen und sozialen Herkunft, jeder vorstellbaren Kultur, Tradition und Sprache verständlich und unterhaltsam sein. Regisseure und Drehbuchautoren mussten Wege finden, Geschichten zu erzählen und sie visuell umzusetzen, die alle diese Leute verstehen konnten.

Das ist ihnen gelungen. Diese ursprüngliche Erfahrung ist der Grund dafür, dass Hollywoodfilme überall auf der Welt funktioniert haben - sie wurden so gut wie überall verstanden, und deswegen sind sie erfolgreich bis auf den heutigen Tag.

Roaring Rails zeigt genau, wie das geht: Die Story basiert auf einfachen Emotionen, es gibt keine komplizierten Beziehungsgeschichten, es gibt Gut und Schlecht, Falsch und Richtig, Liebe und Hass. Die Geschichte spielt im Umfeld des Eisenbahnbaues; ein Umfeld, das optisch immer schon attraktiv für den Film war und das jedem Zuschauer vertraut ist. Der Held ist einerseits ein bisschen naiv, ein Typ wie du und ich, aber vom ersten Moment an ist klar, dass er der Held ist. Es gibt die schöne junge Frau mit dem großen Herzen, und schon im ersten Moment ihres Erscheinens auf der Leinwand weiß man: Die beiden werden ein Paar. Der Bösewicht ist der Bösewicht; es gibt keine Erklärung oder Begründung, weshalb er das ist, er ist es einfach, bereits nach ein paar Sekunden hasst man ihn. Mehr braucht die Figur nicht, um für den Film zu funktionieren. Und schlussendlich ist da der arme kleine Waisenjunge, der aus Versehen zwischen die Fronten des Helden, des Bösewichtes und zweier konkurrierender Eisenbahngesellschaften gerät. So archaisch das sein mag, diese Zutaten reichen aus, um einen noch heute anrührenden Film zu machen.

In gewisser Weise allerdings dürfte Roaring Rails in seiner Schlichtheit auch 1924 schon eine Art "Nachzügler" gewesen sein. Zu diesem Zeitpunkt hatten Regisseure wie Lang, Lubitsch, Gance oder Griffith längst unter Beweis gestellt, dass mit dem Medium Film viel mehr möglich war als diese Art einfacher Unterhaltung. Aber es gab sie noch, und sie fanden ihre Zuschauer. Deshalb sind sie auch heute noch interessant.

Das Warhol-Museum spendierte dem Film eine neue Musik, geschrieben von dem ortsansässigen Komponisten Michael Kim. Sie wurde live aufgeführt von einem vierköpfigen Ensemble (Cello, Violine, Keyboard, diverse Perkussionsinstrumente; letztere vom Komponisten selbst gespielt). So erfreulich dies auch ist, es muss doch gesagt werden, dass die Musik nach kurzer Zeit monoton und repetitiv zu werden begann und kaum mal einen wirklichen Bezug zum Film hatte. Oder, anders gesagt: Sie zeigte, dass eine gute Filmmusik schwerer zu schreiben ist als man vielleicht denken mag.

Und liebes Warhol-Team, wenn ihr euch schon die Mühe macht, ein solches Schätzchen zu präsentieren, dann seid doch bitte so konsequent, es mit ein bisschen mehr Stil zu tun. Wenn einige Einführungsworte gesagt werden sollen (was gut und richtig ist), dann werden die bitte von der Bühne aus gesprochen und nicht irgendwo aus dem Seitengang in den Saal gemurmelt. Wenn man mit Live-Musikern arbeitet, dann sollten die sich nicht selbst vorstellen müssen, nachdem sie schon auf der Bühne sitzen, sondern auch das ist Aufgabe des Ansagers. Erst danach sollten die Musiker die Bühne betreten und ihre Plätze einnehmen. Ach ja, und liebe Musiker, wenn der Film zu Ende ist, hört bitte auf zu spielen. - Aber das sind Kleinigkeiten. Bitte macht weitere Abende wie diesen - es ist den Aufwand wert.