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Wednesday, October 23, 2024

Thomas Kraft: Americana

 

 

Der Autor dieses Buches, Thomas Kraft, hat sich schon mit Radio-DJs, der Punk-Bewegung und so unterschiedlichen Persönlichkeiten wie Leonard Cohen, den Beatles oder Klaus Kreuzeder beschäftigt und ist auch sonst sehr umtriebig. Nun hat er sich ein Genre vorgenommen, das aus der US-Countrymusik entstanden ist und diese seit einigen Jahren mehr und mehr vereinnahmt: Americana.

Wenn in Deutschland heute von den USA die Rede ist, dann ist es offenbar Standard geworden, sie als mindestens "tief gespalten" darzustellen, als ein Land, in dem es bei gleichzeitiger religiöser Verblendung sozial und politisch an allen Ecken brennt, in dem Chaos, Schießereien, Rassismus und Polizeigewalt die Städte beherrschen. Drunter tun wir's nicht. 

In dieser Hinsicht lässt sich auch dieses Buch nicht lumpen: "Ein zerrissenes Land im Spiegel der Country Music" soll uns vorgestellt werden. Auf 30 Seiten Einführung über "Country und Politik" folgen konsequent nochmal rund 30 Seiten über "das zerrissene Land", wie es der Autor sieht. Und da fehlt nichts, von "Black Lives Matter" bis zu Trump, von 50.000 Obdachlosen in Los Angeles bis zu der Behauptung, in Washington sei eine weiße Durchschnittsfamilie 81-mal (!) reicher als eine schwarze. (Man überlege vielleicht kurz, wer in Washington lebt.) Seite um Seite folgt eine soziale Katastrophe der nächsten, das Elend ist himmelschreiend, die Dramaturgie dieser beiden Kapitel folgt der alten Drehbuchweisheit: "Mit einem Erdbeben beginnen und dann langsam steigern". Man ahnt ja, was der Autor will, aber irgendwann fragt sich auch der gutwilligste Leser, weshalb die Menschen, wenn doch alles so trostlos und schrecklich ist, nicht scharenweise nach Kuba oder Mexiko fliehen.  

Das Problematische an solchen US-Darstellungen ist immer, dass sie stimmen, aber trotzdem ein falsches Bild liefern. Denn obwohl das fast alles richtig ist, sind die USA noch immer eines der freiesten, offensten und kreativsten Länder der Welt. Wie kommen also solche Schlüsse zustande? 

So: Es werden deutsche Maßstäbe an die Lebens- und Denkweise der US-Amerikaner angelegt, und das geht fast zwangsläufig schief. Man meint in Deutschland immer, man wisse ja, "wie der Ami so tickt" -- aber man weiß es nicht. Die USA haben eine völlig andere kulturelle Prägung als europäische Länder -- aber wie anders, das lernt man nicht in einem oder zwei Studiensemestern oder ein paar Urlaubsreisen. Das braucht Jahre. Ich lebe seit jetzt 17 Jahren in den USA, und noch immer kann mich dieses Land täglich überraschen.

Man muss sich klarmachen, dass genau diese Widersprüche, diese sozialen und politischen Probleme der Motor sind, der die USA voranbringt. Sie lösen die Kreativität aus, weil man weiß, dass kein Politiker und keine staatliche Stelle kommen und sie lösen wird, sondern dass man sie selbst lösen muss. Während in Deutschland für jeden Gullydeckel "die Politik" zuständig ist, hält man sich hier die Politik lieber vom Leib. Dieses riesige Land, das schon innerhalb seiner eigenen Grenzen so vielfältig ist wie kaum ein anderes, ist in ständiger Veränderung und Bewegung, und das funktioniert, weil alle seit je damit zu leben gelernt haben, dass sie ein Teil dieses Prozesses sind.

Diese Anmerkungen sollen nun aber niemanden davon abhalten, Thomas Krafts Buch zu lesen. Je länger man nämlich darin liest, desto mehr wird fast beiläufig deutlich, was eigentlich die ursprüngliche Quelle der Country-Musik gewesen ist. Oder sagen wir: was eigentlich die Themen waren, die die Country-Musik geprägt haben. Weshalb sie in den USA entstanden ist, und weshalb sie nur hier entstehen konnte. Es war der Alltag, aber keineswegs der stets heile Alltag. Den gab es nie. Es waren und sind genau diese obengenannten Themen, die ihren Einfluss eingebracht haben, und trotzdem schließt es Kommerzialität nicht aus. Eine Sängerin wie etwa Loretta Lynn hat das immer gewusst, hat es nie ausgeklammert, und genau das hat ihren Erfolg ausgemacht. Das Volk, wie schon Brecht festgestellt hat, ist nämlich keineswegs so tümlich, wie man es ihm gern unterstellt.

Wenn man das im Hinterkopf behält, dann wird das vorliegende Buch von diesem Punkt an hochinteressant. In Kapitel 3, betitelt "Americana", schildert Thomas Kraft auf rund 150 Seiten die Geschichte der Country-Musik, ihre Wurzeln und ihre Entwicklung bis heute. Hier wird dann auch deutlich, weshalb diese Musik mehr als fast jede andere originär amerikanische Musikform immer ein Spiegelbild der US-Gesellschaft gewesen ist. Dabei holt der Autor weit aus, es werden nicht nur die Country-Stars im engeren Sinne vorgestellt, Leute also wie Hank Williams oder Johnny Cash, sondern auch Künstler, die aus anderen Ecken kommen, von der Creedence Clearwater Revival über Tom Petty bis zu Bob Dylan, von Willy Nelson, die Highwaymen über Doug Sahm und sein wunderbares Sir Douglas Quintet bis hin zum Tex-Mex. Auch die Arbeit einiger Produzenten wird berücksichtigt, erwähnt seien Daniel Lanois oder Owen Bradley. Da ergibt sich eine umfassende Genrebezeichnung wie "Americana" fast von selbst. Und der Witz ist, dass das alles zusammenpasst: Musikindustrie, Kommerz, die hochkommerzielle Grand Ole Opry, die Glitzeranzüge und überdimensionalen Stetsons, Johnny Cashs Folsom Prison, die Blue Ridge Mountains, der Mississippi, die nicht ausgesprochene Scheidung ("D-I-V-O-R-C-E") und die Vagabundenromantik der Eisenbahn, "this little teardrop" auf der Stimme einer tammy Wynette, einer Dolly Parton, die sich selbst auf die Schippe nimmt, indem sie sagt, es sei elend teuer, so billig auszusehen wie sie. So geht das. Es wird klar gesagt, dass manche Leute zu reich sind, aber eben auch, dass auch sie sich für all ihr Geld keine andere Coke kaufen können als du und ich.

Kleiner Schönheitsfehler: Dieses Kapitel ist zwar chronologisch, gleichzeitig aber als fortlaufende Darstellung angelegt, die von einem Namen zum nächsten springt. Da vermisst man schmerzlich ein Namensregister, das den Zugriff auf einzelne Künstlerpersonen und das Wiederfinden sehr erleichtern würde. Und klar, ein Vorhaben wie dieses Kapitel kann nicht vollständig sein, der Autor musste eine Auswahl treffen. So wird etwa die wunderbare k.d. lang, die das Countrygenre gleichermaßen lieben wie hochnehmen kann, auf gerade mal einer halben Seite abgehandelt, auch etwa Linda Ronstadts Einfluss auf das Entstehen von Bands wie den Eagles und ihr Umfeld vermisse ich.

Das ist aber zu verschmerzen, denn im letzten Teil des Buches stellt der Autor nicht weniger als 500 Alben vor, chronologisch von 1966 bis heute, viele davon mit kurzen oder ausführlichen Kommentaren. Hier findet man neben Genreklassikern auch viele Geheimtipps. Namen wie Tom Petty oder Lucinda Williams tauchen immer wieder auf, Emmylou Harris und Gram Parsons, aber eben auch The Band, The Byrds, die Allman Brothers, Lynyrd Skynyrd oder eben CCR. Fast alle dieser Platten sind mittlerweile auch in den Streamingdiensten zu finden. Eine Zusammenfassung der vielleicht 20 besten dieser Alben wäre schön gewesen, aber ohne sie kann man sich tagelang mit eigenen Forschungsarbeiten beschäftigen und lernt dabei mehr und Interessanteres kennen.

Das Buch kommt im übrigen mit vielen Fotos daher, die das Blättern zum Vergnügen machen. Ich kenne in deutscher Sprache kein vergleichbar informatives und gut lesbar geschriebenes Buch zum Thema -- unbedingte Empfehlung.

Wer dann auf den Geschmack kommt und weiterforschen möchte, sei vielleicht noch auf Ken Burns erstklassige PBS-Serie "Country Music" von 2019 hingewiesen; mehr dazu hier.

 

Thomas Kraft:
Americana -- Ein zerrissenes Land im Spiegel der Country Music
315 Seiten mit vielen Fotos
Verlag Andreas Reiffer, Meine 2024
ISBN 978-3-910335-25-7, 25 €

Thursday, October 24, 2019

Country Music (PBS)





Der Dokumentarfilmer Ken Burns hat wieder zugeschlagen. Country Music ist der schlichte Titel, der exakt beschreibt, worum es geht: Die Geschichte der Country Music in (und zwar, wie bei allen PBS-Produktionen, so gut wie ausschließlich) den USA. Die Autoren der Serie sind Ken Burns und Dayton Duncan; letzterer war bereits Co-Autor von Burns' früherer Serie Jazz.

Die Serie besteht aus acht Teilen, die zwischen 1:45 und 2:15 Stunden dauern und chronologisch der Geschichte der Country Music nebst einigen Nebenzweigen, etwa dem Bluegrass, aber auch dem Country Rock) folgen.

Countrymusik ist ganz sicher nicht jedermanns Tasse Tee, aber sie ist doch ein eigenständiger Musikzweig der beiden nördlichen Amerikas, der, im Zeitablauf betrachtet, viel über die Denkweise und das Selbstverständnis der (weißen) Amerikaner verrät -- und das macht die Sache interessant, selbst dann, wenn man der Musik nicht allzuviel abgewinnen kann. Wer sich noch an Ken Burns' zwölfteilige Serie Jazz von 2001 erinnert, kann erahnen, wie Country Music gestrickt ist: Viele kurze Musikbeispiele sind zu hören, die großen (das heißt in diesem Fall meist: die kommerziell erfolgreichen) Stars werden ausführlich portraitiert, viele kleinere Sterne und Sternchen werden beiläufig erwähnt, diverse Musiker, Radio-, Plattenfirmen- und Studioleute sowie ein Historiker kommen zu Wort. Über dem Ganzen liegt ein Kommentar, mit rustikaler Stimme gesprochen von dem Schauspieler Peter Coyote:

1. The Rub -- die Story bis 1933, Southern Gospel, Uncle Dave Macon, Fiddlin' John Carson, die Radiostation WSM und ihre Sendung "Grand Ole Opry" aus dem Ryman Auditorium in Nashville, die ersten Genrestars: Carter Family und Jimmie Rodgers.

2. Hard Times (1933-1945) -- Roy Acuff, Gene Autrey, "dustbowl refugee acts" wie Woody Guthrie, die wachsende Bedeutung von Nashville, der ASCAP-Boykott, der zur Gründung der BMI führte, und natürlich der Zweite Weltkrieg und die Position der Countryszene.

3. The Hillbilly Shakespeare (1945-53) -- Bluegrass und Honky-Tonk fließen zusammen, Hank Williams wird einer der größten Stars (obwohl sich mir aus dem Film nicht recht erschließt, weshalb).

4. I Can't Stop Loving You (1953-63) -- Rockabilly entsteht, die Karrieren von Elvis Presley und Johnny Cash starten, es bildet sich ein typischer "Nashville-Sound" heraus, hier exemplifiziert am Beispiel Patsy Cline. Kurz wird in diesem Kontext der Produzent Owen Bradley vorgestellt, der erstmals auch die Mittel der Studiotechnik einsetzt.

5. The Sons And Daughters Of America (1964-68) -- Der Bakersfield Sound mit Buck Owens entsteht, Loretta Lynn startet mit sehr lebensnahen Songs (ihre enge Freundschaft zu Patsy Cline wird seltsamerweise mit keiner Silbe erwähnt), Merle Haggard wird zum wichtigen Songschreiber, Johnny Cash kommt nach einer Phase der Selbstzerstörung triumphal zurück.

6. Will The Circle Be Unbroken? (1968-72) -- Die Countryszene reagiert auf 1968, etwa in Gestalt von Merle Haggards galligem "Okie from Muskogee" (das aber immer noch freundlicher ist als sein Gegenstück, Freddy Quinns "Wir"), George Jones und Tammy Wynette steigen auf, Singer-Songwriter wie Kris Kristofferson tauchen in Nashville auf und lenken die "klassische" Countrymusik in neue Richtungen. Neue Produzenten werden aktiv, Studios werden eröffnet, die nicht mehr im Zugriff der Major-Plattenfirmen sind.

7. Are You Sure Hank Done It This Way? (1973-83) -- "Outlaws" wie Waylon Jennings, Emmylou Harris, Gram Parsons, Townes Van Zandt und der wunderbare Willie Nelson (ich kann mich noch heute darüber ärgern, dass ich sein Konzert letztes Jahr in Pittsburgh verpasst habe) erscheinen auf der Szene und formen sie in Teilen um, während auf der anderen Seite die Countrymusik in eine Nostalgiephase auf ihre alten Stars kippt und gleichzeitig immer mehr zur Hitparadenware wird, exemplifiziert am Beispiel Dolly Parton. Johnny Cash wird zu seiner eigenen Legende, während sein kommerzieller Erfolg mehr und mehr einbricht, bis ihn Columbia schließlich feuert.

8. Don't Get Above Your Raisin'" (1984-96) -- Das Genre wandelt sich von "Country" zu "Americana". Leute wie Ricky Skaggs oder Dwight Yoakam führen zurück zu den Wurzeln, andererseits erscheinen Superstars wie Garth Brooks, die gleichzeitig in den Country- und Pop-Charts an der Spitze stehen und Stadien füllen. Die Serie endet außerordentlich tränenreich mit dem Tod Johnny Cashs und seinen letzten, von Rick Rubin produzierten "American Recordings".

Es ist kennzeichnend für die weitere Entwicklung des Genres, dass die Serie im Jahr 1996 endet -- es zerfällt danach. Die Folgen sind streckenweise sehr länglich, manche der Zeitzeugen-Kommentare sind nichtssagend. Auf der anderen Seite gibt es Schlüsselszenen und -- manchmal -- Sternstunden: Wenn etwa in der Radiosendung "Grand Ole Opry" der durch Schallplatten bereits recht beliebte Sänger Charlie Pride angekündigt wird, bricht das Publikum in Begeisterungsstürme aus -- die dann innerhalb weniger Sekunden ersterben, als der Sänger auf der Bühne erscheint und klar wird, dass der Mann schwarz ist. Das ist Amerika. Es ist aber ebenso Amerika, dass Charlie Pride das Publikum dann letztlich doch überzeugt. (Mit solchen Widersprüchen lernt man hier als Zugezogener zu leben.) In einer anderen Folge wird auf den Start des Autors und späteren Radioshow-Hosts Garrison Keillor ("A Prairie Home Companion") hingewiesen, jedoch seltsamerweise nie auf seine hocherfolgreiche, politisch durchweg eher liberale Sendung. 

Ken Burns' Sicht auf die Dinge ist stets latent konservativ, wie man das auch schon in Jazz feststellen konnte. Emmylou Harris etwa kommt hier zwar recht ausführlich zu Wort, wird aber weitgehend auf ihre Anfänge im Country reduziert. Dass sie dieses Feld irgendwann hinter sich gelassen hat, nicht zuletzt durch ihre Zusammenarbeit mit Daniel Lanois, kommt nicht vor. Auch eine Sängerin wie k.d. lang, die das Country-Genre gleichermaßen liebt wie hochnimmt, wird nur kurz erwähnt. Im Zusammenhang mit Gram Parsons werden auch The Byrds erwähnt (Sweetheart of the Rodeo), bis zur Marshall Tucker Band oder den Eagles traut man sich dann aber doch nicht vor. Von einer durchaus countryaffinen Band wie der Creedence Clearwater Revival mal nicht zu reden, obwohl selbst Willie Nelson CCR-Songs gecovert hat. Die Qualität eines Songs wird oft mit seiner Chartsplazierung gleichgesetzt, das zumeist konservative Welt- und Familienbild der Countrysongs (und ihrer Gemeinde) wird nicht hinterfragt.

Viel, viel Arbeit. Man mag sich kaum vorstellen, wieviele Stunden die Macher in den Archiven verbracht haben und wieviele Meilen sie zwecks Interviews durch die Lande gereist sind. Das Ganze gibt es als DVD-Box, auf Blue-ray, es gibt begleitend zur Serie eine 5-CD-Box und ein Buch, als Gesamtpaket für 170 Dollar. Bisschen viel für meinen Geschmack,, das muss man nicht alles haben, aber wenn Country Music im Fernsehen läuft: Ansehen lohnt sich.

(Dieser Post erschien zuerst in manafonistas.de)