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Tuesday, July 8, 2025

Jacques Tati

 

(English: please scroll down) 

Jahrelang war er schon ziemlich vergessen: Jacques TatiKein Wunder, denn seine großen Erfolge lagen in den 1950er- und 1960er Jahren. Aber irgendwann, Mitte der 1970er war es wohl, da entdeckten ihn die Arthouse-Kinos wieder. In Hamburg, wenn ich mich richtig erinnere, war es das Magazin-Kino in Winterhude, das neben den Filmen der Marx-Brothers (die ebenfalls komplett vergessen waren) Filme von Tati wieder ins Programm hob, und kinoverrückt, wie mein Freundeskreis und ich damals waren, konnten wir uns das nicht entgehen lassen. Und daraus wurde eine lebenslange Liebe. 

Tatis Humor ist nicht für jeden das Richtige. Man benötigt eine spezielle Antenne dafür, sonst wird es nichts. Ich kenne Leute, die keineswegs zum Lachen in den Keller gehen und dennoch mit Tati nichts anzufangen wissen. 

Im Prinzip hat Tati in seinem Leben nur fünf Kinofilme gemacht. Ihre Charakteristik -- neben technischer Perfektion -- ist durchweg, dass sie eigentlich keine Handlung haben, sondern perlschnurartig von einer Situation zur nächsten springen. Die Personen erleben keine Entwicklung, die Filme fangen irgendwo an und hören irgendwo auf, wobei ihr Witz meist darauf beruht, dass man sich mit keiner der Figuren identifiziert. Tati versetzt den Zuschauer in die Rolle des neutralen Beobachters. Das ist wie in einem Straßencafé zu sitzen und einfach den Passanten zuzuschauen. Wobei in Tatis Filmen manchmal sogar mehrere Gags gleichzeitig und unabhängig voneinander zu sehen sind. Dass das so ist, bemerkt man in manchen Fällen erst beim zweiten Anschauen.

Die zweite Charakteristik seiner Filme ist die massive Tonbearbeitung. Tati hat oft mehr Zeit in die Nachbearbeitung des Filmtons gesteckt als in die eigentlichen Dreharbeiten; fast kein Geräusch in seinen Filmen ist "echt", sie alle sind nachsynchronisiert und erzeugen oft erst die eigentliche Komik. 

Tatis Weg zum Film war der Sport. Ein Foto zeigt Tatis Vater Georges-Emmanuel Tatischeff beim Tennis. Das renommierte elterliche Bilderrahmengeschäft, das er eigentlich übernehmen sollte, interessierte den jungen Jacques allerdings nur mäßig, ihn faszinierten die Aktionen und Bewegungsabläufe des Tennisspiels. Daraus entwickelte er eine Reihe von gleichermaßen witzigen wie präzis beobachteten Sportpantomimen, die er noch um Box- und Reitsport erweiterte. Sie wiesen Jacques den Weg. 

 

Anstatt also den Bilderrahmenladen weiterzuführen, verließ er das Elternhaus und begab sich auf den sehr steinigen Weg in eine unsichere Karriere. Ihm blieben weder Misserfolge noch (sehr viel später) eine völlige Pleite erspart, kurzfristig landete er sogar mal in der Obdachlosigkeit, doch mit Sportpantomimen auf Varietébühnen und in Music Halls sah er dann wieder Land. Nebenher verkürzte er der besseren Merkbarkeit wegen seinen russischen Namen. Und er entdeckte das Medium Film, das noch so neu war, dass es in alle Richtungen Möglichkeiten bot. Sein erster Kurzfilm erschien 1932 und hieß (konsequent) Oscar, champion de tennis. Der Film ist verschollen. 1936 kam dann Fred Orain ins Spiel (Cady Films), der Tatis Produzent wurde, und mit ihm wurde die Sache professioneller. 

Jour de fête (Tatis Schützenfest) von 1949 war mein Erstkontakt mit Tatis Werk (wobei das, was das Magazin-Kino zeigte, wohl die von ihm selbst umgearbeitete Version von 1964 gewesen sein müsste, denn ich erinnere mich an den leitmotivisch durch den Film führenden Maler, der in der Urfassung noch gar nicht vorkam).

 

Die Zuschauer erwarteten, dass dessen Hauptfigur, der Dorfbriefträger François, nun serienartig in weiteren Filmen auftauchen würde, aber Tati sah klar, dass diese Figur nicht entwicklungsfähig wäre. François konnte nichts anderes sein als eben dies: ein Briefträger, der zufällig auf dem Jahrmarkt einen persiflierenden Film über das amerikanische Postzustellwesen sieht und daraufhin in einen hochkomischen Geschwindigkeitsrausch verfällt, letztlich aber doch bleibt, was er ist: Briefträger. Nur als solchen lernen wir ihn kennen. Weder scheint er ein Zuhause zu haben noch eine Familie.

 

In den 1970ern ist es Tatis Tochter Sophie gelungen, den Film in seiner Farbfassung zu restaurieren. Er wurde damals in einem Farbsystem gedreht, das sich als nicht funktionsfähig herausstellte; glücklicher- und vorsichtigerweise jedoch hatte Tati parallel auch immer eine Kamera mit Schwarzweißmaterial mitlaufen lassen. Leider enthält die restaurierte Farbfassung einige Eingriffe in den Ton, die nicht sehr geglückt sind. Aber man kann wohl nicht alles haben.  

Für seinen nächsten Film entwickelte Tati eine Figur, die als eine Art Projektionsfläche durch das Geschehen führt: Monsieur Hulot, eine Gestalt mit Hütchen, latent Hochwasser signalisierender Hose, gestreiften Socken, Pfeife, Regenmantel und ein eingerollter Regenschirm. Er spricht (in allen seinen Filmen) kein Wort außer "Hulot", ist manierentechnisch nicht unbedingt vom Feinsten, fährt ein ständig fehlzündendes Auto und lässt keinen Straßenhund ungestreichelt. Er gerät von einer Situation in die nächste, ihm oder durch ihn passieren alle möglichen Dinge, und doch bleibt er selbst dabei als Figur stets neutral, er kommt nirgendwo her und geht nirgendwo hin. Sein Witz beruht meist darauf, dass er langsamer oder schneller als seine Umwelt ist, nur selten aber synchron mit ihr.

Um diese Figur herum gestrickt erschien 1953, produziert wiederum von Fred Orains Cady-Films Le Vacances de Monsieur Hulot (Die Ferien des Monsieur Hulot) -- und wurde ein weiterer Welterfolg.  

  

Erstmals entfaltet sich Tatis beobachtende und akustische Komik hier auf ganzer Linie, aber auch Szenen, die deutlich auf seiner pantomimischen Erfahrung basieren, sind enthalten. Gelegentlich gibt es Szenen mit vollem Körpereinsatz, etwa jene, in der Hulot von einem sich spannenden Abschleppseil ins Wasser geschleudert wird, oder bei einem versehentlich ausgelösten Feuerwerk (bei dessen Dreh er sich heftige Verbrennungen zuzog).

Tati hat sich stets nur äußerst ungern in seine Vorstellungen hineinreden lassen. Typisch für ihn allerdings auch: Nur keine Idee umkommen lassen. Tauchten schon in Jour de fête Szenen auf, die aus seinem Kurzfilm L'École des facteurs (Die Schule der Briefträger, 1947) stammen, so lässt er in Les Vacances seine Tennispantomime wieder aufleben. Auch in späteren Filmen griff Tati alte Ideen wieder auf. 

Eine andere von Tati heißgeliebte Idee war es, Menschen bei völlig sinnloser Arbeit zu zeigen -- man denke etwa an Tatis nächstem Film, Mon Oncle von 1958, in dem immer wieder ein Straßenkehrer dabei gezeigt wird, wie er einen Kehrichthaufen von einer Straßenseite zur anderen fegt und die Arbeit dann im letzten Moment doch unterbricht, weil er dringend mit irgendwem ein Schwätzchen halten muss. Der Film lotet den Widerspruch aus, der sich aus menschlichen Lebensvorstellungen und dem (vorrangig technischen) Fortschritt ergibt. Ins "alte, romantische Paris" seiner Nachbarschaft ist Hulot hier vollständig integriert, er fremdelt aber heftig mit der modernen Lebensweise der Familie seines Schwagers, den Arpels. Umso mehr liebt ihn deren Sohn Gérard, Hulots Neffe.

 

Der Job, den Arpel Hulot hier andient, ist ebenso sinnlos wie der pedalbetriebene Rasenmäher einer Nachbarin, der sich trotz gewaltiger Tretanstrengung nur sehr langsam vorwärtsbewegen lässt.

 

Auch das seltsam verbaute Treppenhaus in dem Haus, in dem Hulot wohnt, passt in diese Richtung, denn es hat keinerlei Logik. 

 

Es ist kennzeichnend für Tatis Komik, dass Monsieur Arpel am Ende des Films Hulot als Vertreter nach Nordafrika schickt, womit Hulot als "Störfaktor" in der modernen Welt der Arpels nicht mehr vorhanden ist -- aber er geht nicht ganz, es bleibt etwas von ihm zurück: Noch am Flughafen verändert sich plötzlich Arpels Verhalten Gérard gegenüber, mit einemmal hat er Spaß daran, mit seinem Sohn einen Streich auszuhecken. Dass der Film das "alte Paris" und seine skurrilen Bewohner dabei auf verschiedenen Ebenen überromantisiert, mag man Tati nicht übelnehmen. Mon Oncle (My Uncle in der englischen Version) wurde 1959 mit einem Oscar für den besten ausländischen Film ausgezeichnet, und er blieb Tatis größter Erfolg.

Von Fred Orain hat sich Tati danach getrennt und mit der Specta-Film eine eigene Produktionsfirma gegründet, um die volle Autonomie über seine weiteren Projekte zu gewinnen. Doch das sollte ihm heftig auf die Füßefallen. 

 

Playtime, nach fast sieben Jahren Vorbereitungszeit 1967 fertiggestellt, wurde Tatis bester Film, ein Geniestreich und gleichzeitig, wie sich herausstellen sollte, ein Albtraum. Denn Tati war hier nichts zu teuer und nichts zu gründlich ausgetüftelt, um nicht realisiert zu werden; angefangen beim 70-Millimeter-Bildformat, dem Mehrkanalton und der wunderbar-pathetischen Orchestermusik, bis hin zu "Tativille", einer Hochhauslandschaft, die Tati vor den Toren von Paris errichten ließ. Sie sollte als Kulisse dienen und massiv genug sein, um später tatsächlich an Firmen und Geschäfte vermietet werden zu können (so ließ sie sich nicht verwirklichen, aber auch eine Nummer kleiner war sie immer noch gigantisch).

 

Eine Handlung im eigentlichen Sinn gibt es auch in Playtime wieder nicht. Auch Monsieur Hulot tritt hier nur noch als Randfigur auf, die auf der Suche nach einem Geschäftspartner inmitten einer großen Zahl von Touristen von einer Situation in die nächste gerät, dabei aber selbst immer seltsam unbeteiligt bleibt. Ton und Beobachtung sind die tragenden Elemente des Films, der "Modernität" persifliert -- das Paris, das man kennt, erscheint nur noch gelegentlich als Spiegelung in Glastüren, 

in einem neueröffneten Restaurant gibt die Neoninstallation über dem Eingang ständig ein höchst ungemütliches Geräusch von sich, 


das darin enthaltene Symbol, das auch an allen Stühlen angebracht ist, drückt sich bei den Gästen in die Kleidung, und letztlich bleibt der Bodenbelag an den Schuhen der Gäste kleben und die Dekoration bricht zusammen. Ein altgedienter Portier in einem Bürohaus verzweifelt an einer elektronischen Schalttafel, 


auf einer Verkaufsveranstaltung werden antikisierende Mülleimer vorgestellt

 

und schallschluckende Türen demonstriert, die man lautlos zuknallen kann. Legendär eine lange Nacht-Einstellung, in der von außen zwei Familien durchs Fenster beobachtet werden, die, obwohl in zwei verschiedenen Wohnungen lebend, scheinbar aufeinander reagieren.

 

Und es gibt im Film eine junge amerikanische Touristin (Barbara), der Hulot einen kleinen Strauß Maiglöckchen schenkt. Am Ende des Films sitzt sie in einem Reisebus und betrachtet die am Fenster vorbeihuschenden modernen Straßenlaternen  

 

-- und man nimmt sie als Maiglöckchen wahr.

 

Solche Dinge konnte nur Tati zaubern, niemand sonst.

Playtime wurde ein gigantischer Flop. Es gab kaum Kinos, die den Mehrkanalton präsentieren konnten, die Zuschauer verstanden die handlungslose Komik nicht, und sie vermissten den Monsieur Hulot, den sie kannten und der hier wirklich nur noch eine Nebenrolle spielt.

Tati riss mit Playtime nicht nur sich selbst, sondern mit zum Teil sehr schrägen Methoden auch andere Beteiligte (wie etwa die deutsche Atlas-Film) in die Pleite, aber es half nichts, am Ende musste er sogar das Originalnegativ versteigern, doch selbst das brachte nicht mehr viel.  

Ich will hier nicht Tatis ganze Geschichte wiedergeben. Er musste nach diesem Reinfall wieder mit kleinen Brötchen beginnen, aber er gab nicht auf. Sein letzter Kinofilm war Trafic, der nach unendlich langen Verhandlungen und unter zum Teil sehr schwierigen Bedingungen 1971 in die Kinos kam.


Diese Persiflage auf den modernen Autoverkehr ist deutlich stärker auf Bodenhaftung hin produziert, Monsieur Hulot spielt wieder eine tragende Rolle, er hat hier sogar einen Beruf (er ist technischer Zeichner), und am Ende deutet sich sogar so etwas wie eine Romanze an, die allerdings nicht ausgespielt wird.

Ein letztes Mal trat Tati 1974 in dem Film Parade in Erscheinung, einer Produktion des schwedischen Fernsehens -- eine Hommage an die Varieté- und Zirkuslandschaft, in der Tati noch einmal seine Sportpantomimen unterbringen konnte. Danach hörte man nichts mehr von ihm; er verstarb 1982 in Paris an einer Lungenembolie. Er hinterließ ein Drehbuch namens Confusion, das nie realisiert wurde.

Wie viele Komiker war auch Tati als Privatperson eher unkomisch, er konnte sogar sehr grob und egoistisch sein. Schon in den 1960ern wurde er als einer der bedeutendsten Komiker der Kinogeschichte angesehen, seine liebevolle Art der Filmkomik war und blieb einzigartig. Und doch gab es lange Zeit mehr Fachliteratur über ihn als Filme von ihm; nur eine relativ knappe Biografie war zu haben ("The Films of Jacques Tati" von Brent Maddock, 1977), die sich aber, wie schon der Titel verrät, eher mit den Filmen als mit seinem Leben befasst. 

Eine solche umfassende Biografie hat erst 1999 David Bellos, Romanist an der Princeton University, vorgelegt. Die ist nun, übersetzt von Angelika Arend, endlich auch auf deutsch erschienen:

 

Alles, was in diesem Post zu lesen ist, kann man in diesem gelegentlich zwar ein wenig steif, gleichwohl aber gut lesbar geschriebenen Buch auf 540 Seiten nachlesen. Ein paar Ergänzungen würde man sich gewünscht haben, auch habe ich den Eindruck, dass Jour de fête im Buch ein wenig überrepräsentiert ist. Bellos hat außerdem in einer Art Anhang die Lebensgeschichte von Helga hinzugefügt -- eine Tochter Tatis, die dieser nie anerkannt hat; eine hoch unerfreuliche Story. Aber auch das war Jacques Tati.

David Bellos:
Jacques Tati: Sein Leben und seine Kunst
Aus dem Englischen von Angelika Arend
Mitteldeutscher Verlag, Halle 2025
ISBN 978-3-96311-879-1
Das Buch gibt es auch in englischer und französischer Sprache 

Übrigens, vor Jahren gab es mal eine "tativille.fr" benannte Webpage, die wunderschön war. Leider ist sie verschwunden. Wie so vieles. Schade drum.

 


 

For many years, he was pretty much forgotten: Jacques Tati. No wonder, since his greatest successes came in the 1950s and 1960s. But at some point, probably in the mid-1970s, arthouse cinemas rediscovered him. In Hamburg, if I remember correctly, it was the "Magazin" cinema in the Winterhude neighborhood that reintroduced Tati's films to its program alongside the Marx Brothers (whose movies had also been completely forgotten). Being as cinema-mad as my circle of friends and I were back then, we couldn't pass them up. And Tati became a lifelong love affair.

Tati's humor isn't for everyone. You need a special antenna for it, otherwise it won't work. I know people who wouldn't go to the basement to laugh, yet they still don't know what to do with Tati. Essentially, Tati only made five films in his life. Their characteristic—besides technical perfection—is that they consistently lack a plot, but rather jump from one situation to the next like a string of pearls. The characters experience no development; the films begin and end somewhere, and their humor usually relies on the fact that one doesn't identify with any of the characters. Tati casts the viewer in the role of a neutral observer. It's like sitting at a sidewalk café and simply watching the passersby. In Tati's films, several gags sometimes occur simultaneously and independently of one another. In some cases, you only notice this on the second viewing.

A second characteristic of his films is the extensive sound editing. Tati often invested more time in post-production of the film sound than in the actual shooting; almost no sound in his films is "real"; they are all dubbed and often create the true comedy.

Tati's path to filmmaking was through sport. A photo shows Tati's father, Georges-Emmanuel Tatischeff, playing tennis. However, the renowned picture-frame business his parents were supposed to take over held only moderate interest in the young Jacques; he was fascinated by the actions and movements of tennis. From this, he developed a series of equally witty and precisely observed sports pantomimes, which he expanded to include boxing and equestrian sports. These showed Jacques the way to go.


So instead of continuing to run the picture-frame business, he left home and embarked on the very rocky road to an uncertain career. He was spared neither failures nor (much later) complete bankruptcy; he even briefly ended up homeless, but he eventually found his feet again with sports pantomimes on variety stages and in music halls. Along the way, he shortened his Russian name for easier memorability. And he discovered the medium of film, which was still so new that it offered possibilities in all directions. His first short film was released in 1932 and was called (what else could it be) Oscar, champion de tennis. The film is lost. In 1936, Fred Orain (Cady Films) came into play and became Tati's producer, and with him the whole thing became more professional. 

Jour de fête (The Big Day) from 1949 was my first contact with Tati (although what the Magazine cinema showed must have been the 1964 version he himself had reworked, because I remember the painter who was the leitmotif throughout the film, but who didn't even appear in the original version).


Audiences expected that its main character, the village postman François, would appear in a series of subsequent films, but Tati clearly saw that this character was not capable of further development. François could be nothing other than this: a postman who happens to see a satirical film about the American postal service at the fair and subsequently falls into a hilarious frenzy of speed, but ultimately remains what he is: a postman. It is only as such that we get to know him. He seems to have neither a home nor a family.


In the 1970s, Tati's daughter Sophie managed to restore the original color version. It was shot in a color system that turned out to be dysfunctional; fortunately and prudently, however, Tati had also been running a camera with black-and-white footage in parallel. Unfortunately, the restored color version contains some less-than-perfect sound modifications. But you can't have everything.

For his next film, Tati therefore developed a character who guides the action as a kind of projection screen: Monsieur Hulot, a figure with a hat, trousers that signal a latent flood, striped socks, a pipe, a raincoat, and a rolled-up umbrella. He doesn't speak a word (in any of his films) except "Hulot," has not the best manners, drives a constantly misfiring car, and leaves no stray dog ​​unpatted. He stumbles from one situation to the next; all sorts of things happen to him or through him, and yet he himself remains neutral as a character, coming from nowhere and going nowhere. His humor is usually based on being slower or faster than his surroundings, but rarely in sync with them.

Le Vacances de Monsieur Hulot (Monsieur Hulot's Holiday), which was produced around this character in 1953 and again by Fred Orain's Cady Films, was released and became another worldwide success.


For the first time, Tati's observational and aural comedy unfolds here in full force, but scenes that are clearly based on his pantomime experience are also included. Occasionally, there are scenes involving full body movement, such as the one in which Hulot is thrown into the water by a taut tow rope, or the one in which a firework is accidentally set off (which caused him severe burns).

Tati was always extremely reluctant to let others interfere with his ideas. Typical of him, however, was his unwavering commitment to never letting an idea go to waste. While scenes from his short film L'École des facteurs (The Postmen's School, 1947) already appeared in Jour de fête, he revives his tennis pantomime in Les Vacances. Tati also revisited old ideas in later films.

Another idea beloved by Tati was to show people performing completely pointless work—think, for example, of Tati's next film, Mon Oncle (My Uncle) from 1958, in which a street sweeper is repeatedly shown sweeping a pile of garbage from one side of the street to the other, only to interrupt his work at the last moment because he urgently needs to have a chat with someone. The film explores the contradiction that arises between human ideas about life and (primarily technological) progress. Here, Hulot is fully integrated into the "old, romantic Paris" of his neighborhood, but he feels very alienated from the modern lifestyle of his brother-in-law's family, the Arpels. Their son Gérard, Hulot’s nephew, loves him all the more.


The job Arpel offers Hulot here is as pointless as a neighbor's pedal-powered lawnmower, which moves very slowly despite tremendous pedaling effort.


The oddly constructed staircase in the house where Hulot lives also fits in this scheme, as it makes no sense whatsoever.


It is characteristic of Tati's comedy that Monsieur Arpel sends Hulot as a salesman to North Africa at the end of the film, and thus Hulot exists no longer as a "disruptive factor" in the Arpels' modern world—but he doesn't vanish completely, something of him remains: While still at the airport, Arpel's behavior toward Gérard changes; he suddenly enjoys playing a prank with his son. One can't hold it against Tati that the film over-romanticizes "old Paris" and its quirky inhabitants on various levels. Mon Oncle won an Oscar for Best Foreign Language Film in 1959 and remained Tati's greatest success.

Tati subsequently separated from Fred Orain and founded his own production company, Specta-Film, in order to gain complete autonomy over his future projects. But this would come back to haunt him.


Playtime, completed in 1967 after almost seven years of preparation, was Tati's best film, a stroke of genius and, as it turned out, a nightmare. Nothing was too expensive or too thoroughly planned for Tati to not be realized; from the 70mm picture format and multi-channel sound and the wonderfully pathetic orchestral music to "Tativille," a high-rise landscape that Tati built outside Paris. It was intended to serve as the film set and be massive enough to later be rented out to companies and businesses (it couldn't be realized this way, but even sized a bit smaller, it was still gigantic).


Playtime, too, lacks a plot in the true sense of the word. Monsieur Hulot appears only as a peripheral figure, venturing from one situation to the next in search of a business partner amidst a large crowd of tourists, yet always remaining strangely detached. Sound and observation are the key elements of the film, which satirizes "modernity" – the Paris we know only occasionally appears as a reflection in glass doors;


in a newly opened restaurant, the neon installation above the entrance constantly emits a most unpleasant noise;

 

the symbol contained within it, which is also attached to all the chairs, presses into the diners' guests clothing, and ultimately, the flooring sticks to the guests' shoes, and finally the decor falls from the ceiling. A veteran doorman in an office building despairs over an electronic control panel;


at a sales event, antique-looking trash cans are presented


 and sound-absorbing doors that can be slammed shut in silence are demonstrated. A legendary long night shot is this one in which two families are observed through the windows from outside, seemingly react to each other despite living in two different apartments:

 

And there's a young American tourist (Barbara) in the film, to whom Hulot gives a small bouquet of lilies of the valley. At the end of the film, she's sitting in a tour bus, watching the modern streetlights flash by the window 


– and you perceive them as lilies of the valley:

 


Only Tati could do magic like that, no one else.
 

Playtime was a colossal flop. There were hardly any theaters capable of multi-channel sound, audiences didn't understand the plotless comedy, and they missed the Monsieur Hulot as they knew him. He really only plays a supporting role here.

With Playtime, Tati not only bankrupted himself, but also, with some fraudulent business methods, other participants (such as the German Atlas Film). But it all didn't help; in the end, he even had to auction off the original negative, but even that didn't bring in much.

I don't want to recount Tati's entire story here. After this flop, he had to start from scratch again, but he didn't give up. His last theatrical movie was Trafic, which was released in 1971 after endless negotiations and under sometimes very difficult conditions.


This satire on modern car traffic is produced with a much more down-to-earth approach. Monsieur Hulot now plays a leading role again, he even has a job (he's a draftsman), and at the end, something resembling a romance is hinted at, although it never fully unfolds.

Tati appeared for the last time in 1974 in the TV film Parade, a Swedish television production—a homage to the vaudeville and circus world, where Tati was once again able to showcase his sports pantomimes. After that, nothing was heard from him; he died of a pulmonary embolism in Paris in 1982. He left behind a screenplay entitled Confusion, which was never realized.

Like many comedians, Tati was rather unfunny in private; he could even be very rude and selfish. As early as the 1960s, he was considered one of the most important comedians in cinema history; his affectionate approach to film comedy was and remains unique. Yet for a long time, there was more literature about him than films made by him; only a relatively brief biography was available ("The Films of Jacques Tati" by Brent Maddock, 1977), which, as the title suggests, focuses more on the films than on his life.

Such a comprehensive biography was first published in 1999 by David Bellos, a Romance studies professor at Princeton University. It has now finally been published in German, translated by Angelika Arend:


Everything contained in this post can be found in this 540-page book, which, while occasionally a bit stiff, is nevertheless highly readable. A few additions would have been welcome, and I also have the impression that Jour de fête is a bit overrepresented in the book. Bellos also included the life story of Helga in a kind of appendix—a daughter of Tati, whom Tati never acknowledged; a highly unpleasant story. But that, too, was Jacques Tati.

David Bellos:
Jacques Tati: His Life and Art
Translated from English by Angelika Arend
Mitteldeutscher Verlag, Halle 2025
ISBN 978-3-96311-879-1
The book is also available in French.


By the way, years ago there was a website called "tativille.fr" that was wonderful. Unfortunately, it has disappeared. Like so many things. It's a pity.

 

Tuesday, June 17, 2025

Ab September:

 


Mal gefeiert als Genie, mal belächelt als Exzentriker: Der Musikproduzent Joe Meek sprengte musikalische Grenzen und schuf in den frühen 1960ern einen Sound, der bis heute nachhallt.

Mit seinem Superhit „Telstar“ brachte er als erster Brite einen Song an die Spitze der US-Charts. Seine Experimentierfreudigkeit und sein Glaube an das Übernatürliche führten zu innovativen Klängen, die ihm Kultstatus einbrachten. Doch hinter dem Erfolg verbarg sich eine tragische Figur: Meek kämpfte mit psychischen Problemen, einer Tablettensucht und dem polizeilichen Schwulenregister. Seine Besessenheit und sein exzessiver Arbeitsstil endeten 1967 in einem tödlichen Drama.

Dies ist die erste Joe-Meek-Biografie in deutscher Sprache. 

Ab 1. September überall, wo es Bücher gibt.
Oder schon jetzt hier vorbestellen. 

Wednesday, May 28, 2025

Der Hüsch

Am 6. Mai hätte Hanns Dieter Hüsch seinen 100. Geburtstag feiern können. Möglicherweise hat er das ja auch, wer weiß, wo. Als Christenmensch wird er da seine eigenen Vorstellungen gehabt haben, und wie er mehrfach erwähnte, hat er den lieben Gott ja gelegentlich getroffen -- mit dem Fahrrad in Dinslaken. Klar, wie denn sonst.

Ein "Kalenderblatt" im Deutschlandfunk machte mich auf seinen 100. aufmerksam. Der wäre mir sonst entgangen -- seltsam genug, denn dieser Künstler, der mit "Kabarettist" nur sehr unvollständig beschrieben ist, hat mich durchs Leben begleitet wie sonst wohl nur Kurt Tucholsky, Kraftwerk, Jefferson Airplane und Creedence Clearwater Revival. 

Etliche Jazzmusiker der 1960er und 1970er waren politisch denkende Personen und hatten keine Probleme damit, ihre Meinung klar zu äußern. Allerdings blieb diese dann meist eher im kleinen Kreis. Kombinationen aus Kabarett und Jazz waren eine seltene Angelegenheit. Einer machte aber den Schritt, mit Jazzmusikern zu arbeiten, und das war der Kabarettist, Autor, Liedermacher, Radiomoderator und die Väter der Klamotte zum Leben erweckende Hanns Dieter Hüsch. Er spielte die LP Typisch Hüsch ein; meine erste Platte von ihm.

 


 

Mit Jazzern aus der ersten Reihe – Peter Baumeister, Gerd Dudek, Pierre Favre, George Gruntz, Volker Kriegel, Günter Lenz und Eberhard Weber – war dies eine Mischung aus Liedern, gesprochenem Wort, freien musikalischen Kontrapunkten, Gedichten und improvisierter Musik. Philosophische Fragen wechselten sich ab mit Themen wie Vietnam, Kriegsdienstverweigerung, Folter, Fragen an die Väter, das Leben als Minderheit, Alleswisser, die Bedeutung von Solidarität, Kirche, selbst Umweltverschmutzung war bereits ein Thema. Typisch Hüsch ist noch heute ein reinigender Regen für den Kopf.

Die Platte bescherte Hüsch allerdings eine Menge Ärger, und er erlebte das nicht zum ersten Mal – das war in der Tat typisch für ihn. Hüsch war nie jemand, der mit der Masse lief. Viele seiner Kollegen und das (weitgehend studentische) Publikum sahen das Album als „nicht links genug“ an, sie warfen ihm vor, er kratze an den ideologischen Grundfesten der Studentenbewegung, und überhaupt hätte er ein ganz anderes Album machen müssen. 

All dies war nichts Neues für Hüsch. Er war seit 1946 Kabarettist, sowohl solo als auch mit einer Gruppe namens "Arche Nova", und er verfügte über ausreichend Routine, um mit Publikumsreaktionen aller Art umgehen zu können. Im Jahr 1968 auf der Burg Waldeck kam es allerdings deutlich heftiger: Dort wurde er nach nur zwei Songs von der Bühne gebuht. Das Publikum wollte beinharte Agitation, nicht Humor, Ironie und gelegentliche Selbstzweifel: „Ich musste ja dann mein ‚Konzert‘ abbrechen, mich auf ein Stühlchen setzen und Rede und Antwort stehen, und jeder kleine Politkacker wollte von mir wissen, warum ich immer so unterhaltend sei und mein poetisches Vermögen nicht mehr in den Dienst von Fortschritt und Aufklärung stelle, und ich sei ja doch mehr ein spätbürgerlicher Formalist und kein revolutionärer Volkstribun.“ Franz-Josef Degenhardts Lied „Zwischentöne sind bloß Krampf im Klassenkampf“ kam bei diesem Publikum besser an, aber das konnte nie Hüschs Motto sein.

Nach Typisch Hüsch verließ Hüsch das Pläne-Label, seine Familie und Deutschland – einesteils wegen der Angriffe auf ihn, die sich in der Folge auch in anderen Städten fortgesetzt hatten, zum anderen aber auch, weil er sich in die Schweizer Schauspielerin Silvia Jost verliebt hatte. Ein daraus resultierendes gemeinsames Programm der beiden hieß Faux Pas de Deux (1974), aus dem Hüschs traumhaft-verträumtes „Abendlied“ stammt. Er griff dieses Stück auch in späteren Programmen immer wieder einmal auf.

In St. Gallen schrieb Hüsch sein wohl komplexestes, surrealstes, verstörendstes, bitterstes und gleichzeitig poetischstes Bühnenprogramm, Enthauptungen, das nach seiner Uraufführung in Basel im Jahr 1971 als Doppel-LP auf dem Intercord-Label erschien. 

 


 

Der Titel kann auf die Art und Weise bezogen werden, wie sich Hüsch in Deutschland behandelt fühlte, ebenso aber auch als das abstrakte Gegenteil von Behauptungen – vielleicht steckt ein bisschen Zen darin.

Drei Jahre später kehrte Hüsch nach Mainz zu seiner Frau und seiner Tochter zurück, die ihn wieder aufnahmen. Dass sein Verhalten den beiden gegenüber kein Heldenstück gewesen war, hat er in seiner Autobiografie ("Du kommst auch drin vor", erschienen 1990) und so manchem Text verarbeitet.

 


 

Für sein erstes Bühnenprogramm nach der Rückkehr spielte ihm die Hamburger Jazzrockband Altona einige Backings ein. Sie sind auf dem resultierenden Doppelalbum zu hören (Nachtvorstellung, 1975, in nicht sehr geglücktem Kunstkopf-Stereo im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg mitgeschnitten). 



 

Mir ist die Platte schon deshalb nicht egal, weil ich selbst unter den Klatschern im Publikum saß; das erste Mal, dass ich Hüsch live erlebte. Es folgten etliche weitere Male, bis zu seinem letzten Bühnenprogramm "Wir sehen uns wieder", 1997 in der Hamburger Musikhalle. 

 


 

Hüsch spielte für den Rest seines Lebens hauptsächlich Soloprogramme, oft an bis zu 250 Abenden im Jahr. Wenn es überhaupt ein Programm gibt, das er als "sein wichtigstes" ansehen würde, dann dürfte es Das neue Programm von 1981 gewesen sein -- "für Frau und Tochter, Freunde und Feinde", wie der Untertitel lautete. 

Unter Stehlampen sitzen wir
Und warten auf das Kopfnicken
Der Katastrophe.

-- die Schlusszeilen aus dem Eingangslied.

 


 

Obwohl er ein durchaus passabler Pianist war, wurde eine kleine Philicorda-Orgel zu seinem Markenzeichen („Mein Bühnenbild“, wie er zu sagen pflegte). Dieses Instrument konnte er nicht nur für Klangakzente und liegende Akkorde einsetzen, es diente ihm auch als Tisch für seine Manuskriptblätter, von denen er seine Texte locker abzulesen pflegte. Am Ende besaß er fünf dieser Orgeln, die strategisch über Deutschland verteilt waren.

Hüschs Platteneinspielungen gingen von Wortplatten ohne Publikum über Livemitschnitte bis hin zu einer von Kai Rautenberg arrangierten Bigband-Platte (Abendlieder; 1976), die es (wie die meisten seiner frühen Platten) leider nie auf eine CD geschafft hat.

 

 

Dabei blieb er dem Jazz immer treu, auch die Philicorda-Klangakzente und -Akkorde sind meist alterierte Jazzakkorde. Hüsch konnte in seinen Bühnenprogrammen witzig, verrückt, versponnen, manchmal albern, aber auch philosophisch, satirisch und politisch sein, wobei Politiker mit Namensnennung eine seltene Erscheinung waren („Mein Kabarett ist mir zu schade dafür“). Hüsch hatte einen messerscharfen Blick für die Kleinigkeiten des Alltags, aber nie wurde Brüllkomik daraus. Er besaß Charisma; er erschien auf der Bühne und hatte den Saal. Er konnte die Zuschauer mit erlesenem Quatsch zum Lachen bringen, sie mit einer einzigen Wendung, mit einer einzigen Zeile zu Tränen rühren und sie im nächsten Augenblick wieder auffangen. Der Spiegel schrieb über ihn: „Hüschs Genius, sein Ansehen und Erfolg beim Publikum bestand darin, dass er von Beginn an seinen Texten eine besondere, auf Gefühl bezogene Rhythmik und eine intensive, teils spontane Interaktion gab, also all die Elemente, welche man auch in der Jazzmusik spürt. Er grenzte sich und sein Werk damit schon früh von anderen Kabarettisten ab und konnte diesen eigenen Stil in der Folge weiterentwickeln.“

Musik spielte in und für Hüschs Programmen immer eine wichtige Rolle. Seine Kollegin Magdalena Thora (heute unter dem Namen Leni Stern als Jazzgitarristin unterwegs) aus der TV-Serie "Goldener Sonntag" (wenn die lief, durfte mich niemand anrufen) gab ihm eines schönen Tages den Tipp, sich einmal die Musik Steve Reichs anzuhören. Die faszinierte ihn dann derartig, dass er Reichs Musikstrukturen buchstäblich zu komplexen Minimal-Texten verarbeitete, die eine ähnliche Wirkung wie die Musik hatten; besonders deutlich etwa in „Hagenbuch und seine Freunde“ von 1981. Der erste dieser „Hagenbuch“-Texte war entstanden, während im Hintergrund Steve Reichs „Six Pianos“ lief, und irgendwie übertrug sich der Aufbau dieses Stücks auf den Text. Für die ohne Publikum im Studio eingespielte LP Hagenbuch hat jetzt zugegeben (1978) gab er Konstantin Wecker den Auftrag, sieben Reich nachempfundene Klaviermusiken zu schreiben, die als Brücke zwischen den Geschichten dienen.

 

 

Zwischen 1979 und 1983 ging Hüsch mit „Hagenbuch“ und der Lars Reichow Bigband auch auf Tournee. „Insoweit Hüsch Kabarettist ist, mag es nicht überraschen, dass er auch mit der Musik operiert, ohne die Kabarett ja nicht denkbar ist. … Aber was noch interessanter ist: Er geht über die bekannten Formen hinaus, erweitert sie, sprengt sie bis in die Bereiche des Experiments mit Klängen der Moderne und Techniken der Collage“, schreibt der Konzertbeobachter Gerd Lisken über diese Auftritte. 

In den heutigen Kabarettsendungen im Fernsehen wird man Beiträge wie die von Hüsch nicht mehr finden. In den Siebzigern gab es eine Reihe wie die "ZDF-Matinee", in der am Sonntagvormittag manchmal recht bemerkenswerte Dinge gesendet wurden, die heute unvorstellbar wären, etwa einen vollen Auftritt von John McLaughlins Mahavishnu Orchestra. 1978 sendete das ZDF in dieser Reihe live aus der Mainzer Universität Hüschs sehr abstrakte Collage Und das Herz schlägt wie ein blinder Passagier. Ich sah es zu Hause. Was wir Zuschauer natürlich nicht wissen konnten: Während der Pause erhielt die Uni einen Anruf aus dem Krankenhaus, dass Hüschs Frau Marianne verstorben war. Alle hinter der Bühne waren zunächst ratlos, ob man ihm das mitteilen sollte. Man kam schließlich überein, dass man das nicht verheimlichen könne, er würde es sonst ohnehin merken. Hüsch, angesichts der Live-Situation, zog den zweiten Teil des Programms durch. -- "Freunde, die Welt hat kein Dach über dem Kopf" (auch das eine Zeile aus einem seiner Texte).

 


 

Den Lungenkrebs hatte Hüsch gerade überstanden, da erwischte ihn im November 2001 ein Schlaganfall, von dem er sich nicht mehr erholte. Hanns Dieter Hüsch, „der Mann, der den Jazz in Worte fasste“ (Spiegel), verstarb im Jahr 2005.

Beim Herumgooglen nach der obenerwähnten "Kalenderblatt"-Sendung übrigens stieß ich auf ein Buch:

 

 

Herausgegeben von Malte Leyhausen versammelt der Band rund fünfzig Erinnerungen von prominenten und weniger prominenten Mitmenschen an Hanns Dieter Hüsch, unter anderem von Lioba Albus, Jürgen Becker, Henryk M. Broder, Matthias Brodowy, Katja Ebstein, Okko Herlyn, Franz Hohler, Margot Käßmann, Jürgen Kessler, Renate Künast, Manfred Lütz, Jochen Malmsheimer, Harald Martenstein, Manfred Maurenbrecher, Arnulf Rating, Lars Reichow, Mathias Richling, Nikolaus Schneider, Georg Schwikart, Kai Magnus Sting und vielen anderen. Viele dieser Texte sind lesenswert, auch wenn mir das Buch im letzten Viertel ein wenig zu evangelisch wird. Aber auch das war Hanns Dieter Hüsch. Und wenn der Jubilar den lieben Gott schon in Dinslaken getroffen hat, dann kann man das wohl hinnehmen.

Malte Leyhausen (Hg.):
Hanns Dieter Hüsch zum 100. Geburtstag
Erinnerungen von Freunden und Bewunderern
Mit Illustrationen von Jürgen Pankarz
Hamburg 2025, ISBN 978-3-7693-2783-0
274 Seiten 

 

Hüschs Platz ist verwaist und wird es wohl bleiben. Und mein Lieblingszitat von ihm ist und bleibt:

 

Wenn man bedenkt, dass das Ganze nichts auf sich hat.

 

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