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Tuesday, December 4, 2018

Kommentar zu einem Facebook-Post

Der Autor Eric T. Hansen, in Deutschland lebender Amerikaner und zeitweiliger "Zeit"-Kolumnist, hat vor ein paar Tagen unter der Überschrift "Bin ich anti-deutsch?" einen Artikel auf seiner Facebook-Seite gepostet -- nachzulesen hier. Dazu habe ich einen kleinen Kommentar geschrieben, den ich einfach mal unverändert in meinen Blog übernehme:

Ich stimme etlichen Punkten in Deinem Post zu. Ich will das jetzt nicht alles ausführen, aber einen Aspekt würde ich gern in die Debatte werfen: Für mich zeigt sich hier geradezu klassisch ein Mentalitätsunterschied zwischen Deutschen und Amerikanern.

Ich lebe jetzt seit über zehn Jahren in Pittsburgh (komme ursprünglich aus Hamburg), und ich habe eine Weile gebraucht, bis ich begriffen hatte, dass die Amerikaner einen anderen Politikbegriff haben als die Deutschen. Amerikaner finden ihre Politiker nicht übermäßig wichtig. Die werden gewählt, sollen ihren Job machen und ansonsten nicht weiter auffallen. Im Alltag sind sie eigentlich kaum jemals ein Thema, und die Politiker selbst wissen zwar, dass sie durchaus unter Beobachtung stehen (u.a. der Presse), haben aber anscheinend nicht das Bedürfnis, sich ständig in die Öffentlichkeit zu drängen. Sie wissen, dass das allgemeine Interesse daran eher mäßig wäre.

Das ist in Deutschland anders. Da wird geradezu verlangt, dass Politiker für alles, jeden Konflikt, jeden Gullideckel und jeden Fernsehfilm, verantwortlich sind und sich zu allem und jedem öffentlich zu positionieren und zu jeder Lappalie eine Einschätzung in die hingehaltenen Mikrofone zu blasen haben -- und die tun das dann auch. Das zwingt natürlich geradezu zu Sprechblasen. Die werden dann gründlichst von den Medien hin- und hergewendet. Das Ganze dient nicht der Information oder dazu, zu einer Lösung zu kommen, sondern es soll Erregung erzeugen, immer mit dem unausgesprochenen Versprechen, dass es morgen eine Fortsetzung geben wird. Da der Deutsche als solcher (wenn ich das mal so sagen darf) zudem die Tendenz hat, jeden für dumm, korrupt oder unfähig zu halten, der anderer Meinung ist als man selbst, entsteht dieses Lagerdenken, das im anderen keinen Gesprächspartner, sondern einen Feind sieht und im Extremfall auch zu Gewaltausbrüchen führt. Letztere werden dann gern höchst sentimental gerechtfertigt (ich sage nur "Hambi").

Genau diese Sichtweise auf Politik wenden die Deutschen auch auf andere Länder an, und so eben auch auf die USA. Deswegen wird jeder noch so dämliche Tweet von Trump in Deutschland auf die Goldwaage gelegt und sich darüber aufgeregt, und deswegen wird ein Präsidentenauto mit Flaschen beworfen. Aber eben nicht nur: Die Deutschen richten das ja genauso auch gegen sich selbst. Da wird wegen eines G20-Gipfels der eigene Stadtteile verwüstet, und eben auch die eigenen Politiker oder die eigene Polizei zu Volldeppen oder (wahlweise) zum Feindbild erklärt. Und eine demokratisch gewählte Kanzlerin wird von Demonstranten auch gern mal an den Galgen gewünscht.

Vielleicht ist das sogar ein europäisches Phänomen. Wir erleben ja in Frankreich gerade ähnliches, und selten habe ich so viele Darstellungen von Merkel als Hitler gesehen wie in der italienischen und griechischen Presse. In der amerikanischen Presse wird Deutschland (aber auch Europa als Ganzes) manchmal recht merkwürdig dargestellt, aber solche Entgleisungen habe ich noch nicht beobachtet. Ich bin hier auch noch nie für bescheuert erklärt oder für die deutsche Politik in Anspruch genommen worden, weil ich aus Deutschland bin.

Wenn es um die Frage geht, wie man soziale Konflikte halbwegs friedlich lösen kann, da haben alle Seiten noch einiges zu lernen.

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