Ami Bergs neuer Dokumentarfilm über Janis Joplin, Janis: Little Girl Blue,
hatte vor zwei Tagen seine amerikanische Fernsehpremiere und steht für
die nächsten paar Wochen online bei PBS (leider vermutlich nicht
ausserhalb der USA).
Um es vorwegzunehmen: Viel Neues bietet
der Film nicht. Aber damit war wohl auch kaum zu rechnen. Es gibt nur
wenige US-Stars, deren Werk und Nachlass so systematisch in kleinen
Portionen in Büchern, Booklets und Zeitschriftenartikeln, auf immer
wieder neuen CD-Kollektionen und neuerdings auch auf der Musicalbühne
verhackstückt worden ist wie das Janis Joplins. Und noch immer hält die
familieneigene Stiftung den Daumen auf allem, was von Interesse sein
könnte. Wer die Janis-Biografien von Alice Echols, Myra Friedman,
Ingeborg Schober und Janis‘ Schwester Laura Joplin gelesen hat, kennt
die meisten der verfügbaren Informationen und Quellen, weiß aber auch,
wie unklar und weitläufig interpretierbar sie sind. Besonders die
Biografien Echols und Friedmans tragen allzu deutlich die Spuren des
Versuchs, Janis für die politischen oder weltanschaulichen Vorlieben der
Autorinnen zu vereinnahmen. Janis, behaupte ich, würde sich das
energisch verbeten haben.
Diesen Fehler immerhin macht der Film
nicht. Er verlässt nur kaum je das amerikanische Fernsehlevel, er bleibt
also stets dicht an der Oberfläche. Dabei hätte er mit einer Laufdauer
von 105 Minuten Zeit genug gehabt, auch mal weiter in die Tiefe zu
gehen.
Neben viel Archivmaterial, das man längst kennt (Studio,
Woodstock, Monterey, Festival Express), gibt es auch relativ neue
Interviewschnipsel mit ihren Bandmates Peter Albin, Dave Getz und dem
(inzwischen verstorbenen) Sam Andrew, mit Bob Weir von Grateful Dead,
Country Joe McDonald, Kris Kristofferson, Fernsehmann Dick Cavett, dem
damaligen CBS-Boss Clive Davis sowie dem Filmemacher DA Pennebaker. Auch
Freunde, Liebhaber und Verwandte tauchen auf; manchmal haben sie sogar
etwas Interessantes zu sagen. Viel hat Janis auch von ihrem Produzenten
Paul Rothchild gelernt, doch der war leider nicht mehr zu interviewen.
Meist wird Janis getreu ihrem
Klischeebild als emotionsgesteuertes Powerpaket dargestellt, das ständig
von ihrem eigenen Überschwang davongetragen wurde. Dass ihr Gesang in
Wahrheit sehr genau ausgetüftelt und bis in kleinste Verzweigungen ihrer
stimmlichen Möglichkeiten erforscht, ausprobiert und einstudiert war –
kein Wort davon in diesem Film. Dass Big Brother & The Holding
Company eine passable Band war, soll nicht bezweifelt werden. Für Janis
war sie ein guter Start. Dennoch musste Janis die Band verlassen, weil
sie auf die Dauer dort mit ihrem Ausnahmetalent verhungert wäre. Meiner
Ansicht nach eine konsequente und richtige Entscheidung. Der Film jedoch
stellt sie als Fehlentscheidung dar, weil Janis mit der Band auch so
etwas wie ihre Familie und damit ihren emotionalen Rückhalt aufgab. Man
kann das so sehen, und sicher ist das ein Teil des emotionalen Chaos,
das Janis wohl eigen war.
Weshalb dann die von Janis selbst
zusammengestellte Kozmic Blues Band nicht funktionierte, macht der Film
immerhin ansatzweise klar: Weil die Band aus Musikprofis bestand, die
alles spielen konnten, was man von ihnen wollte, denen man aber genau
sagen musste, was sie spielen sollten. Diese Führungsrolle war nicht
Janis‘ Ding. Dass noch dazu die damals soultypischen Bläsersätze ihre
Stimme erdrückten, muss sie selbst gemerkt haben. Wie Janis dann an die
überwiegend kanadischen Musiker ihrer Full Tilt Boogie Band kam (ihrer
zweifellos besten), wird leider gar nicht erklärt. Auch ihr Spiel mit der Kunstfigur „Pearl“, die sie sich – vermutlich für die Bühne –
ausgedacht hatte, bleibt unerwähnt und ungeklärt. (Nein, „Pearl“ war
nicht, wie immer wieder behauptet wird, Janis‘ Spitzname.)
In einigen Interviewausschnitten mit
Janis kommt bei aller Oberflächlichkeit des Films trotzdem durch, dass
sie eine hochintelligente Person war. Mit ihr konnte man über Musik und
Kunst ebenso fundiert wie über politische oder soziologische Fragen
diskutieren, sie hatte die amerikanischen Systemtheoretiker ebenso
gelesen, wie sie Adorno oder Sartre an Bord hatte. Die Präzision und
Überlegtheit, mit der sie Fragen beantwortet, ist oftmals bemerkenswert.
Sie kannte Odetta und Billie Holiday bis ins Detail, ebenso aber auch
Strawinsky oder Ligeti. Zeitlebens muss diese Frau darunter gelitten
haben, dass das keiner von ihr hören wollte, ja, mehr noch: dass keiner
ihr diese Kenntnisse überhaupt zutraute. Der Film geht auf diesen Aspekt
kaum ein. Deswegen bleibt es letztlich auch rätselhaft, weshalb sie
weder vom Alkohol noch vom Heroin dauerhaft loskam – der Film erklärt
den Drogenkonsum durchweg mit jugendlichem Rebellentum, der emotionalen
Leere nach den Auftritten und der Einsamkeit in den Hotelzimmern.
Sicherlich nicht verkehrt, aber mir ein bisschen zu dünn als Erklärung.
Alles in allem ist Janis: Little Girl Blue
kein schlechter Portraitfilm über eine sehr vielschichtige
Persönlichkeit. Wer wenig über Janis Joplin weiß, erfährt hier einiges
zum Einstieg. Aber man hätte mehr daraus machen können.
(Diese Besprechung wurde zuerst veröffentlicht auf manafonistas.de)
No English translation this time - sorry!
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