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Saturday, May 3, 2014

Museum of Broadcast Communications, Chicago - und mehr [deutsche Version]


(In English language HERE!)

Auf dem oberen Treppenabsatz, unübersehbar schon vom Eingang aus, grüßt den Besucher der Media Tower:



Ein Werk von Mark Patsfall, gewidmet der Erinnerung an den Medienkunstpionier Nam June Paik:



Der Besucher schreitet alsdann durch jenes Originaltor, durch das Oprah Winfrey ihr Studio betreten haben soll. Das ist nett, aber wie ein Gast in ihrer Show fühlt man sich deshalb noch lange nicht (und vielleicht ist das ganz gut so).



Das Museum of Broadcast Communications (MBC) in Chicago hat auf seinen zwei Etagen deutlich Interessanteres zu bieten, wenn auch Dekorationsstücke dieser Art einen großen Teil der Exponate ausmachen.

Die obere Etage ist dem Fernsehen gewidmet. Neben vielen Videos sind originale Studiodekorationen zu sehen, desgleichen Technik der frühen Jahre:









Oder auch die seinerzeit aktuellen Fernsehhelden als Briefmarkenset:



Die Krönung allerdings ist dies hier:



Eine Folie, die, vor dem Bildschirm befestigt, wie von Zauberhand den Schwarzweißfernseher zum "Farbfernseher" macht: oben himmelblau, unten grasgrün und in der Mitte irgendwie irgendwie - so pleasing to the eye! (In Deutschland gab es dieses Produkt seinerzeit beim noch heute sagenumwobenen Tina-Versand, dessen ganzseitige Wimmelanzeigen sich zumeist auf den hinteren Seiten der Fernsehzeitschriften herumtrieben. Dort gab es wahre Wunderdinge - etwa eine Hand-Nähmaschine, eine Röntgenbrille, ja, sogar einen Vibrator (mit dem sich, dem Foto nach zu urteilen, Frauen die Wangen massieren sollten). Der Versand ist längst pleite, aber ich bin sicher, dass sich alle Leser meiner Altersgruppe mit Schmunzeln an dessen Anzeigen erinnern.)



Eine Etage tiefer geht es ums Radio - ein abstraktes Medium, das immer davon gelebt hat, dass es nicht zu sehen ist. Was also, so fragt man sich als Besucher, kann ein Radiomuseum außer alten Radiogeräten zeigen? Mehr als man denkt, das aber eher indirekt.

Die alten Geräte fehlen natürlich auch hier nicht. Mein spezieller Liebling ist dieses RCA-Gerät, das wohl mal zur stilvollen Wiedergabe mexikanischer Mariachi-Klänge designt wurde:



Oder hier: ein wunderbares altes Originalmikrofon, wobei mich speziell das Logo fasziniert - radio as radio can be. Man kann den Klang der Stimmen förmlich hören.



Zum Liebhaben auch dieses Mini-Glockenspiel - zu Zeiten nämlich, aus denen das obige Mikro stammt, wurden die Stationskennungen noch live mit der Hand gespielt:




Den größten Teil der Ausstellungsfläche aber nimmt die National Radio Hall of Fame ein. Und wenn man zunächst befürchten mag, das sei einfach nur eine große Sammlung mehr oder weniger geglückter Portraitfotos, so wird einem hier, je weiter man sich in die Bildunterschriften vertieft, immer deutlicher, wie stark sich die amerikanische von der deutschen Auffassung unterscheidet, wie und was Radio zu sein habe. Und hört man in die dazu angebotenen Originalausschnitte hinein, dann wird es wirklich interessant. Es wird einem nämlich klar, weshalb in den USA und in Deutschland das Radio so völlig unterschiedliche Wege gegangen ist.

Rundfunk hat in den USA von Anfang an ohne behördliche Einmischung stattgefunden, und das merkt man sofort. Im November 1920 startete ein Angestellter von Westinghouse Electric in Pittsburgh die erste Radiostation der USA: KDKA. Zu den ersten Programmbeiträgen gehörte Musik aus dem Phonografen, gesponsort vom Kaufhaus Horne's, das Radiogeräte zum Selbstbau anbot. Man hat einfach angefangen. Niemand wäre auch nur eine Sekunde lang auf die Idee gekommen, sich das zunächst mal von irgendeiner staatlichen Stelle genehmigen zu lassen, keiner hat gefragt, ob und wieviel Werbung erlaubt ist. (KDKA existiert übrigens noch heute, nun als lokale News-Station der CBS-Gruppe.)

Obwohl der Rundfunk in Deutschland von einer Schallplattenfirma gestartet wurde ("Vox"), mithin also keine staatliche Gründung war, so hat man ihn doch von Anfang an unter staatliche Aufsicht gestellt und ihn hauptsächlich als Bildungs- und Erziehungsinstrument sowie als Vermittler politischer Informationen begriffen. In den USA dagegen, das macht die Portraitgalerie im MBC schnell klar, war Radio von Anfang an kommerziell. Es diente der Unterhaltung und wurde wesentlich von "radio personalities" und ihren Shows geprägt. Deren Namen kennt man oft noch heute, und sie waren der Hauptgrund, dass überhaupt eingeschaltet wurde.




Die Komikerin Minnie Pearl etwa war das Faktotum der "Grand Ole Opry", einer Country-Show, die seit 1925 wöchentlich von WSM live aus Nashville, TN, gesendet wird. Unvergessen ihr Gruß "How - deee!", ebenso das $1.98-Preisetikett, das stets an ihrem Hut baumelte. Letzteres konnte zwar im Radio keiner sehen, aber es sprach sich herum, denn die Show fand immer vor Publikum statt. Orson Welles muss nicht extra vorgestellt werden, das von ihm inszenierte Live-Hörspiel "War Of The Worlds" (ausgestrahlt an Halloween 1938) ist zur Radiolegende geworden, wenngleich die angeblich von der Sendung verursachte Massenpanik in Wahrheit wohl doch nicht ganz so gewaltig war. Und was "The Jack Benny Program" war (eine Comedyserie, gesendet von 1932 bis 1955 von NBC, später CBS), das kann einem noch heute fast jeder amerikanische Schüler erklären.

Diese Art der Radioshow ist ein originäres Stück amerikanischer Medienkulturgeschichte. In dieser Form gab es das in Deutschland so gut wie nicht. Vielleicht noch am ehesten mit ihr vergleichbar dürfte der von November 1934 bis Ende 1939 fast 150 Folgen lang ausgestrahlte "Frohe Samstagnachmittag vom Reichssender Köln" gewesen sein, moderiert von "den drei frohen Gesellen" Karl Wilhelmi, Rudi Rauher und Hans Salcher:


Das war Musik und volkstümlicher Humor, live deutschlandweit gesendet. Die Sendereihe erfreute sich so großer Beliebtheit, dass der Einzelhandelsverband gegen die Sendezeit protestierte, weil sie die Kunden vom Einkaufen abhielt. Zudem wurden schon bald die Eintrittskarten auf dem Schwarzmarkt gehandelt. Um die Nachfrage zu legal befriedigen, zog man vom kleinen Kölner Reichshallen-Theater in die 4000 Zuschauer fassende Messehalle um. Als auch sie nicht mehr reichte, musste es die Dortmunder Westfalenhalle sein, die 15.000 Zuschauern Platz bot.

Schon 1935 war der "Frohe Samstagnachmittag" im Sinne der Naziherrscher musikalisch "bereinigt" (oder wie es damals in aller Klarheit hieß: niggerjazz- und judenfrei gemacht) worden. Mit Kriegsbeginn ging die Sendung ziemlich nahtlos in das "Wunschkonzert des Winterhilfswerkes" über. Dieses wiederum wurde sehr bald zu einer beinharten Propagandashow, zu der die Nazis alle Prominenz aufboten, die verfügbar war - wie hier die Ufa-Stars Hans Brausewetter, Heinz Rühmann und Josef Sieber:


Und je offensichtlicher wurde, dass der Krieg nicht zu gewinnen war, desto rührseliger wurde die Show. Bis auch das nichts mehr half und die deutschen Sendeanlagen abgeschaltet wurden, weil angreifende Flieger sie zur Peilung hätten nutzen können.

Nach 1945 war - wie in Deutschland damals üblich - plötzlich alles nicht mehr wahr gewesen. Weil eine große Zahl von Hörern den NWDR in Köln um eine Fortsetzung oder doch wenigstens eine Wiederholung des "Frohen Samstagnachmittags" gebeten hatte, kam der Sender dem Wunsch schließlich nach und wiederholte eine erhalten gebliebene Ausgabe. Das Ergebnis: Viele Hörer hielten die Sendung für eine Fälschung - dieser Quatsch könne doch damals unmöglich gesendet worden sein. Niemand wollte mehr glauben, dass es diese Show wirklich so gegeben hatte. (1)

Nach diesem Flop wollte sich an Massenveranstaltungen dieser Art lange kein Sender mehr die Finger verbrennen. Die Alliierten organisierten den gesamten Rundfunk neu. Aber einfach nur der Unterhaltung dienen durfte er auch jetzt nicht, nicht einmal in den amerikanischen Besatzungszonen. "Radio personalities" im amerikanischen Sinne? Fehlanzeige.

Zu den wenigen Ausnahmen gehörte der "Frankfurter Wecker", der der Morningshow eines Senders in Los Angeles nachempfunden war. Ab 1952 wurde die Sendung sechsmal wöchentlich von 7 bis 9 Uhr live vor Publikum aus dem Frankfurter Funkhaus gesendet. Zu hören gab es neben Schlagerstars und dem Rundfunkorchester des Hessischen Rundfunks vor allem zwei Conferenciers, die dann später, in den 60er Jahren, zu Fernsehlegenden werden sollten: Peter Frankenfeld (Markenzeichen: das karierte Jackett) und Hans-Joachim Kulenkampff, kurz "Kuli" genannt.



Die knappste (und treffendste) Kurzcharakterisierung der beiden, die mir je zu Ohren gekommen ist: Frankenfeld erzählte Witze, Kulenkampff hatte Humor.

Später gesellten sich als Moderatoren Stars wie Heinz Erhardt, Otto Höpfner und Heinz Schenk hinzu; die letzteren beiden kamen später ebenfalls zu Fernsehruhm als Moderatoren der äppelwoiseligen Operetten- und Volksmusikshow "Zum Blauen Bock". Der  "Frankfurter Wecker" erreichte eine solche Beliebtheit, dass er zeitweilig auch von Radio Bremen und dem NDR übernommen wurde. 1967 wurde die Sendung - gegen massiven Hörerprotest - eingestellt und durch eine weniger aufwendige Studiosendung ersetzt.

Nicht, dass es im bundesdeutschen Radio keine Persönlichkeiten gegeben hätte. Es gab sie. Und manche hatten sogar einen durchaus programmprägenden Stil. Hans Rosenthal und seine diversen Sendungen im RIAS Berlin ist hier zu erwähnen. Oder "Peters Bastelstunde", eine Nonsens-Show mit dem oben bereits erwähnten Peter Frankenfeld. Oder auch Henning Venskes Sonnabendvormittagsmoderationen im NDR. Gleichwohl aber blieb dessen Sendung immer "NDR 2 von 9 bis halb eins"; niemand hätte sich einfallen lassen, sie die "Henning Venske Show" zu betiteln. 

Mit amerikanischen Radioshows war keine dieser Sendungen vergleichbar. Das einzige mir noch erinnerliche Gegenbeispiel aus dem NDR war die "Jay Tuck Show", in der sich in den 70er Jahren der amerikanische "Tagesthemen"-Redakteur Jay Tuck zu nachtschlafener Zeit mit schrägem Humor und wilder Musik austobte - einmal monatlich 30 Minuten lang und ohne Publikum. Die Musik kam vom Plattenspieler, und live war das Ganze auch nicht, aber immerhin, der Tonfall stimmte.

Und während man in süddeutschen Gefilden immerhin noch AFN (American Forces Network) hatte, das ein Gefühl für amerikanisches Radioverständnis vermittelte, konnte man als Norddeutscher wirkliche "radio personalities" nur im englischen Programm von Radio Luxembourg erleben (siehe dazu meinen Blogeintrag vom 10. Juli 2011).



Sicherlich hat das alles nicht nur politischen Hintergrund, es dürfte auch einfach eine Mentalitätsfrage sein. Es sei ausdrücklich festgehalten, dass in Deutschland andere, durchaus eigenständige Sendeformate entwickelt worden sind, wie man sie sich wiederum in den USA bis heute nicht vorstellen kann. Aber das wäre ein neuer Blogeintrag; vielleicht schreibe ich ihn mal.

Wer mehr über amerikanische Radioshows wissen möchte, dem sei der Film A Prairie Home Companion ans Herz gelegt (USA 2006, Regie: Robert Altman, Drehbuch: Garrison Keillor, deutscher Titel Robert Altman's Last Radio Show - bitte aber dann nicht die deutsche Synchronfassung auswählen, sondern die Originalfassung!). Die Radioshow dieses Namens gibt es seit 1974, präsentiert von Garrison Keillor (links im Bild).


(Foto: Wikimedia Commons/Jonathunder)

Der Film tut so, als dokumentiere er vor und hinter den Kulissen die letzte Ausgabe der Show, weil das Theater abgebrochen werden soll. In Wahrheit existiert die Show nach wie vor, zu hören jeden Sonnabend zwei Stunden lang live aus dem Fitzgerald Theater in Saint Paul, MN. Sie ist inzwischen zur freundlich-nostalgischen Persiflage einer klassischen amerikanischen Radioshow geworden, mit Band, Gastmusikern, Sprechern und Geräuschemachern, und die Art, wie Keillor moderiert, singt und live die (Fake-) Werbung spricht, ist nicht nur liebenswert, sondern vermittelt sehr anschaulich das Gefühl, was das ist (oder war): amerikanisches Radio. Zu hören auch online.

Viel Vergnügen. Vergessen Sie dann bitte nicht, Ihre Antenne zu erden. 

Und Museum of Broadcast Communications: Thanks for the memories.

(1): vgl. Heinz Schröter: Unterhaltung für Millionen - Vom Wunschkonzert zur Schlagerparade. Düsseldorf 1973, S. 89


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