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Saturday, December 19, 2015

Harmonia - live 1975


(Scroll down for English version)

Im Fernsehen läuft an diesem Abend Sie kamen von jenseits des Weltraums. Im Kulturzentrum „Fabrik“ in Hamburg-Altona spielt Harmonia. Diese Band kommt nicht von jenseits des Weltraums, sondern aus dem Dörfchen Forst im Weserbergland, aber das ist für die meisten Hamburger so ziemlich dasselbe. Und auch, wenn der Name eher an einen volkstümlichen Gesangverein denken lässt: Die Musik von Harmonia ist utopischer als der Film.

Harmonia gehört zu jenen Bands, die vor ihren Auftritten nicht genau wissen, was sie spielen werden. Das kann zu endlosem Genudel führen, es kann aber auch hypnotische Momente erzeugen, wie sie nur aus dem freien Zusammenspiel heraus entstehen können. An diesem Abend des Jahres 1975 funktioniert es.

Weil die Gestalt des alten Fabrikgebäudes es anbietet, spielt die Band auf zwei Ebenen. Links vor der Bühne Michael Rother mit seiner leopardenfellgemusterten Fender Mustang, die vormals dem Kraftwerker Florian Schneider gehört hat. Rechts Hans-Joachim Roedelius an seinem Elektronikturm. Oben auf der Bühne das Markenzeichen der Band, der Sonnenschirm mit den bunten Glühbirnchen. Unter dem Schirm Dieter Moebius, auch er gebietet über eine Elektronikburg. Und ein Schlagzeug steht auf der Bühne. Das kommt aber erst in der zweiten Hälfte des Abends zum Einsatz. DeLuxe, die zweite LP der Band, ist gerade erschienen, und auf ihr trommelt als Gast Guru Guru-Schlagzeuger Mani Neumeier. Der kann an diesem Abend nicht dabeisein, Lutz Oldemeier nimmt seine Stelle ein. Oldemeier kommt eigentlich aus einer anderen musikalischen Ecke, von den Jazzrockern Aera und Missus Beastly, aber seine Spielweise fügt sich auch in die Musik von Harmonia ein. Der Dämpfung wegen ist sein Schlagzeug mit weißen Tüchern abgedeckt. Ein alter Trick, den auch Ringo Starr schon draufhatte. Harmonia nämlich spielt leise – so leise, dass das ungedämpfte Instrument unangenehm aus dem Klangbild herausfallen würde. Einzig im Schlussstück des regulären Teils zieht die Band ihre Lautstärke für ein paar Augenblicke kräftig an.

In der Zugabe spielt Harmonia dann wieder etwas Leises: „Es war einmal“ vom Cluster-Album Sowiesoso. Wie immer zu fortgeschrittener Stunde in der „Fabrik“ vermischen sich die Klänge der Musik zunehmend mit dem Klirren der auf dem Boden abgestellten Biergläser, die von umherwandernden Zuschauern umgestoßen werden.

Eine vom Publikum geforderte weitere Zugabe gibt es nicht, statt dessen ruft Roedelius zur allgemeinen Erheiterung in den Raum: „Macht ihr doch mal was!“ Aus den Hauslautsprechern tönt Lou Reeds Transformer, die Platte, die hier allabendlich signalisiert: Wir möchten jetzt Feierabend machen.

Es sind nicht viele Zuschauer da an diesem Abend, vielleicht 50 oder 60. Immerhin ein paar mehr als die legendären 16, die auf dem Album Live 1974 das Publikum bilden. Und auch, wenn ich mich nach den vier Jahrzehnten, die das alles jetzt her ist, an viele Details nicht mehr erinnern kann: Das Konzert als Ganzes ist mir bis heute im Gedächtnis geblieben. Es gibt nicht viele Konzerte, von denen ich das sagen könnte.

(Gesendet in "Klanghorizonte", 
Deutschlandfunk, 19. Dezember 2015)



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Tonight, They Came From Beyond Space is shown on German TV. In the communication center "Fabrik" in Hamburg's neighborhood of Altona, Harmonia plays. This band does not come from beyond space but from a tiny little village named Forst in the Weserbergland area in Lower Saxony, but for most citizens of Hamburg this is no big difference anyways. And may the name remind to a folksy choral society: The music of Harmonia for sure is more utopian than the movie.

Harmonia is one of those bands who don't know exactly what they will play when they take the stage. Sometimes this results in endless ramblings, but it can also lead to hypnotic moments that can only be produced by free interaction. On this evening in 1975 it works. 

Because the shape of the old factory building suggests it, the band plays on two levels. On the left side in front of the stage there's Michael Rother with his leopard-spotted Fender Mustang that formerly was owned by Kraftwerk member Florian Schneider. On the right side Hans-Joachim Roedelius at his tower of electronic devices. Onstage there's the trademark of the band, the parasol with several colored light bulbs. Under this parasol, Dieter Moebius reigns over a castle of electronics. And a drum kit is put up on the stage, but it will be used not before the second half of the evening starts. DeLuxe, the second album of Harmonia, has just been released, and guest musician Mani Neumeier plays the drums on it. As he can't join the band this evening, Lutz Oldemeier takes his place. Actually, Oldemeier comes from a different musical area, from jazz rockers Aera and Missus Beastly, but his style fits well into the music of Harmonia. For cushioning reasons his kit is covered with white cloth. An old trick, even Ringo Starr already knew how to make use of it. It's done because Harmonia plays on a low volume -- so low that the sound of the uncovered drums would too much step out of the line. Only at the final of their last regular track the band pumps up the volume for a couple of moments.

The encore is soft again: "Es war einmal", from the Cluster album Sowiesoso. As always when it gets later at the "Fabrik", the sounds of the music mingle more and more with the sounds of smashing beer glasses, tipped over by spectators walking around. 

The audience wants a second encore, but instead of playing another track, Roedelius, to the amused pleasure of the audience, shouts out: "I think it's your turn now!" Over the in-house PA system, Lou Reed's Transformer starts, the record that signals on every evening: We would like to clock off now.

There are not many spectators at the "Fabrik" this evening, maybe 50 or 60. At least a couple more than the legendary 16 that were the audience on Harmonia's Live 1974 album. And even if there are many details I can't remember anymore after the four decades this is ago now: The concert as a whole still sticks in my mind. There are not too many concerts I could say that about.

(broadcasted in "Klanghorizonte",
Deutschlandfunk, December 19, 2015)

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