I have to admit I was not really waiting for this Del Rey version of that hymn of 1971.
However, here it is. And well, as long as Lana doesn't cover Denver's haircut …
I think this fulfills the chronicler's duty.
Ein einziges Mal habe ich sie live erleben dürfen: The Manhattan Transfer, irgendwann Ende der 1970er Jahre im Audimax in Hamburg, begleitet von Peter Herbolzheimers Rhythm Combination & Brass -- ich spüre die Vibrationen heute noch. Natürlich war auch "Birdland" dabei, etwa so wie hier 1982 mit Weather Report.
Vorgestern, am 15. Dezember, haben die Manhattan Transfer in der Disney Hall in Los Angeles ihr letztes Konzert gespielt -- das 50th Anniversary Concert, mit dem Diva Jazz Orchestra. Leider ohne mich.
Triss Ethan Curless -- Janis Siegel -- Cheryl Bentyne -- Alan Paul. Am Piano ihr 50-Jahre-Begleiter und musikalischer Leiter Yaron Gershovsky.
Um mit einem anderen bekannten Quartett zu sprechen: Thank you for the music!
Nikolaus, Zeit für meine Jahresbilanz.
Insgesamt empfand ich 2023 als eher schwachen Jahrgang, aber ein paar bemerkenswerte Veröffentlichungen gab es dann doch. Ich war lange unentschlossen, wer auf der Eins und wer auf der Zwei landen würde, und auch die beiden Enos und Mette Henriette könnten umgekehrt stehen. Nicht zu vergessen: Wir mussten uns in diesem Jahr von Ryuichi Sakamoto verabschieden.
Potenziell hatte ich noch die folgenden Alben auf der Liste:
J.S. Bach: Goldberg-Variationen (Vikingur Ólafsson, piano — gute Alternative zu Gould)
Depeche Mode: Memento Mori
Peter Gabriel: i/o (die hat noch Wachstumspotenzial, ich habe sie erst einmal gehört)
Wolfgang Haffner: Silent World
Rediscovered:
(zwei Japaner, aber das ist wohl Zufall)
Pizzicato Five: Happy End Of The World (1997)
Yellow Magic Orchestra: Technodelic (1981)
Und natürlich Burt Bacharach -- er soll unvergessen bleiben.
Wenn man der Kritik glaubt, dann muss Daniel Kehlmann mit Lichtspiel mindestens den besten Roman seit der Erfindung des aufklappbaren Regenschirms vorgelegt haben. Er ist auch, das sei vorweggenommen, wirklich gut. Trotzdem: Tyll (2017) fand ich besser. Aber das ist eine Frage von Nuancen.
Es geht in dem Roman um den österreichischen Regisseur Georg Wilhelm "G.W." Pabst (1885-1967), der zu den bedeutendsten des frühen deutschen Films gehört: Die freudlose Gasse (1925), Geheimnisse einer Seele (1926), Die Liebe der Jeanne Ney (1927), Die Büchse der Pandora (1929), Die weiße Hölle vom Piz Palü (1929, Co-Regie mit Arnold Fanck) -- ich will sie nicht alle aufzählen; im Prinzip sind alle Filme Pabsts vor 1933 sehenswert, insbesondere deshalb, weil er anders als seine heute berühmteren Kollegen Fritz Lang, F.W. Murnau und Robert Wiene nicht so sehr den Spuren des Expressionismus folgte, sondern der Neuen Sachlichkeit. Dabei entwickelte er eine beeindruckende Filmsprache, wobei seine ganz große Spezialität im Schnitt, in der Montage lag.
Pabst galt als "rot". Er war deshalb gut beraten, Deutschland zu verlassen, als die Nazis ans Ruder kamen. In Hollywood aber hatte er Pech: Er inszenierte einen Flop, und das verzieh man ihm nicht. Er bekam keine zweite Chance, sondern hätte als Regieassistent seine Leben fristen müssen. Das war nun deutlich unter seiner Ehre. Seine wirkliche Tragik aber begann erst, als er mit Frau und Sohn nach Wien zurückkehrte, wo er einen Sanatoriumsplatz für seine demente Mutter finden wollte. Dort nämlich überraschte ihn der Beginn des Zweiten Weltkrieges -- und er konnte das Deutsche Reich nicht mehr verlassen.
Kehlmann schildert in geradezu filmisch gedachten Schnitt- und Szenensequenzen, wie Pabst sich "arrangiert", wie er eigentlich gegen seinen Willen beginnt, sich von den Nazis einspannen zu lassen. Seine Unterredung mit Goebbels (der namentlich nie genannt wird) gehört zu den Schlüsselpassagen des Romans -- unendlich lange Korridore, ein unfassbar riesiges Büro mit einem Schreibtisch ganz am Ende, vor dem man auf dem Weg durch den Raum immer kleiner wird, und "der Minister" ist einerseits die Höflichkeit selbst, lässt aber keine Sekunde einen Zweifel daran, dass er auch anders kann. Und vor allem daran, dass Pabst Kriegsgefangener und als solcher von des Ministers Gnade abhängig ist. Eine Szene, die einem kalt den Rücken herunterläuft. Eine besondere Hintertreppe tut sich dadurch auf, dass Pabst die Tatsache, Kriegsgefangener zu sein, auch als Entschuldigung dafür einsetzt (sich selbst und anderen gegenüber), sich auf die Nazis überhaupt eingelassen zu haben. Man würde sich nicht wundern, wenn "der Minister" das genau so einkalkuliert hätte.
Auch Trude, Pabsts Frau und Drehbuchautorin, wird mithilfe eines Lesekreises in die NS-Szene geholt, der die Schundromane eines Herrn Karrasch in den Himmel hebt. Dessen Schmachtfetzen Die Sternengeige muss Pabst schließlich verfilmen, und darüber wird ihm klar, dass die Statisten, die er herumschubst, KZ-Häftlinge sind. Sein letzter Film, Der Fall Molander (1945), den er selbst für seinen besten hält, geht verloren. Und weil das alles noch nicht reicht, wird auch Pabsts Sohn, eigentlich ein amerikanischer Junge, ein Anhänger der HJ.
Ich will hier nicht die ganze Geschichte erzählen. Sie beruht auf Recherche, ist aber um Eigenerfindungen des Autors erweitert, wie das in letzter Zeit ein wenig in Mode geraten zu sein scheint. Viele Zeitgenossen und Kollegen Pabsts tauchen auf, teils als Gesprächsthemen und Klatschobjekte, teils real, darunter Schauspieler wie Heinz Rühmann, Paul Wegener und Werner Krauss, auch eine Leni Riefenstahl, die so widerlich ist, dass man fast Mitleid bekommt. Aber auch die klassischen Mitläufer fehlen ebenso wenig wie die, die mit Begeisterung dabei sind und später von nichts gewusst haben wollen.
Der Ton des Romans ist vielseitig, den jeweiligen Szenen und Perspektiven angepasst. Kehlmann kann sowas, das hat er schon in Tyll gezeigt. Hier allerdings treten gelegentlich Längen auf, einiges ist mir schlicht rätselhaft-verworren geblieben, manches kommt mir ein wenig gewollt atemlos vor. Ein gutes Buch also auf jeden Fall, aber der annoncierte Jahrhundertroman ist es nicht. Immerhin aber ein echter Pageturner, und ich tippe mal, auf eine Verfilmung werden wir nicht lange warten müssen.
I have to admit I was not really waiting for this Del Rey version of that hymn of 1971.
However, here it is. And well, as long as Lana doesn't cover Denver's haircut …
I think this fulfills the chronicler's duty.
You might think there is no space rock anymore. But this album makes clear already with its opener, "Tiny Galaxies", that there is. However, it is a rather friendly introduction to the cosmic thunderstorm that follows later.
None of this has much to do with Daevid Allen's former Pot Head Pixies and their flying teapots anymore. The group still plays this repertoire live (and yes, as their live album Pulsing Signals from 2022 shows, they know how to do it), but it turns out that guitarist and singer Kavus Torabi has increasingly taken over the direction. And he and his men (Dave Sturt, bass; Cheb Nettles, drums; Fabio Golfetti, guitar, vocals; Ian East, sax; there are no keyboards on this album) are now closer to Zappa than to Allen.
Seen in the light of things, this can hardly be any different, and it consistently continues a development that was already indicated on the previous albums. Musically, the boys are in top shape, but the mentality is different than that of the (already diverse) original Gong line-ups. Daevid Allen's friendly, crazy humor always ensured a certain lightness there, and even when sometimes he wrote quite angry lyrics, Gong always was a group that carried the listener to high heights in a partly rocking, partly jazzy way, but also always carried them back set down gently. Kavus doesn't have that sense of humor, and his voice also brings in a different character than Daevid's always slightly ironic tone -- which doesn't mean that this record is a deadly serious affair or has anything dogged about it. But it has a lot more raw power and rather blows the listener away than carrying him.
I'm not sure yet whether Unending Ascending will reach a place in my annual top list; you need more than one listening session to fully get what happens here. In any case, in terms of craftsmanship, the whole thing is played excellently, occasionally uses earlier stylistic elements, obviously loves odd time signatures, follows no fashion or trend, is superbly produced and, despite sometimes somewhat long and strenuous passages, all in all absolutely worth listening to.
Those who are among the first to order the record will also receive a numbered print, drawn and hand-signed by Kavus. It's pretty spacey too.
Da liegt er nun vor mir, der 900-Seiten-Klotz -- bewältigt, jedenfalls, was das Lesen betrifft. Vor einigen Monaten hatte ich hier mit großer Begeisterung auf Gabriele Tergits Käsebier erobert den Kurfürstendamm hingewiesen. Da wurde Effingers natürlich zum Pflichtprogramm -- obwohl man auf dem Cover bereits vom "Literarischen Quartett" mit "Sogstoff! Lesen! Wirklich!" angeblökt wird und mir die Buchrückseite in Großbuchstaben "Drei jüdische Familien und das Berlin zwischen den Weltkriegen: Die sensationelle Wiederentdeckung eines Jahrhundertromans" entgegenschleudert. Da ist ja wirklich alles drin, was momentan Kasse verspricht.
Effingers hat solche an Kinoreklame erinnernde PR nicht nötig. Das kann man schon daran sehen, dass die Autorin mit dem Manuskript durch mehr als 20 Verlage ziehen musste, um das Werk endlich publiziert zu bekommen -- sowas muss nicht, aber kann manchmal ein Qualitätssiegel sein, und hier ist es eines. Immer wieder wird in Rezensionen hervorgehoben, als Vergleich könne überhaupt nur Thomas Manns Buddenbrooks herangezogen werden.
Damit liegt die Latte wirklich sehr hoch. Aber der Vergleich liegt nahe, denn beides sind über mehrere Generationen reichende Familienchroniken, noch dazu von vergleichbarem Umfang. Wir erleben die Achterbahnfahrten der verzweigten jüdischen Familien Effinger, Goldschmidt und Oppner über vier Generationen hinweg, zwischen 1878 und 1948. Wir lesen von Bankgründungen, dem Aufbau einer Autofabrik, den wunderbaren, riesigen Familiensitzen mit 180 Zimmern, aber auch dem Leben in der Provinz, den Todesfällen, den Geburten. Was Gabriele Tergit schon im Käsebier meisterhaft beherrschte, das wiederholt sie hier: Dialoge, Gespräche, die den Eindruck vermitteln, sie müsse unter dem Tisch gesessen und gelauscht haben. Während es ihr im Käsebier allerdings gelungen ist, mit solchen Dialogszenen die Handlung voranzutreiben, ziehen sie sich hier manchmal arg in die Länge. Immer wieder sitzen wir am Familienesstisch, in Cafés oder auf geschäftlichen Empfängen, die Gespräche nehmen kein Ende, und irgendwann weißt du nicht mehr, wer überhaupt spricht. Aber unwichtig ist das alles nicht, denn dabei erfahren wir, was bei wohlhabenden Familien so alles passiert, und vor allem, wie sich das im Laufe der Jahre ändert.
Während noch zu Beginn ein wesentliches Thema ist, dass die Tochter schon 20 und immer noch nicht verheiratet ist (oder vielmehr: dass sie noch immer nicht geheiratet wurde -- man achte auf den feinsinnigen Unterschied; Tergit liebt so etwas), einer der Söhne nach England zieht, dort großen Erfolg hat und fast zum Lord wird, bis --- aber das sei hier nicht verraten. Ein anderer Sohn unterschlägt Geld im väterlichen Bankhaus -- und wird zur Strafe nach Amerika geschickt, wie man das so macht, um den Skandal zu vermeiden. Ein weiterer Sohn (namens James) lebt von Papas Geld und ist nicht nur unverschämt gutaussehend und der Liebling aller Frauen, sondern er ist überhaupt so etwas wie der Gustav Gans der Familie. Die allerdings wirft ihm Nichtstun vor -- denn sein Studium der Kunstgeschichte wird unter Geschäftsleuten nicht für voll genommen. Tergit gönnt ihm einen frühen Tod.
Frauen und das Studium, auch das ist ein wesentliches Thema des Buches, denn, wie gesagt: als die eigentliche Bestimmung der Frau wird in den Familien die Heirat gesehen, und das Studium bestenfalls als ein Weg dorthin. Der Erste Weltkrieg schlägt tiefe Wunden. Der Papa bringt seine Bank immer mehr in Schwierigkeiten, weil er eisern an seinen zunehmend veraltenden Geschäftsmethoden festhält. Schon 1920 im Münchener Zirkus-Krone-Bau hält ein junger Mann einen Vortrag, in dem er mit Hilfe von Statisten im Publikum erklärt, weshalb "der Jude" an allem schuld ist, und er schlägt sein Publikum damit in den Bann -- man muss nicht erwähnen, wer der Mann ist, man friert beim Lesen. Die Hyperinflation der 1920er Jahre wirft alles durcheinander, ruiniert vieles und zwingt zum Umdenken, und das fällt schwer. Dass plötzlich etwa Familien in den Stammsitz der Effingers eingewiesen werden, sorgt für Verstörung und Verbitterung -- wie soll man denn jetzt seine Empfänge abhalten?
Das alles sind nur kleine Blitzlichter aus einem riesigen Handlungspanorama, an dem es im Prinzip nur eines zu kritisieren gibt: Das Buch ist einfach zu lang. Darin unterscheidet sich Tergit dann doch von Thomas Mann: Während ich beim Lesen zunehmend die Übersicht verlor, wer wer ist und zu wem gehört, wer wo lebt und was macht, ist bei den Buddenbrooks immer klar, wo in der Handlung man sich befindet. Auch sind nicht alle Zeitsprünge ohne weiteres nachvollziehbar. (Dafür muss man sich bei Mann erstmal durch die ersten mindestens 50 Seiten kämpfen, weil da wirklich jeder Knick in jedem Sofakissen beschrieben wird, während man bei Tergit sofort in der Geschichte "drin" ist.)
Gabriele Tergit hat einen trockenen, sehr markanten Humor, sie trifft die unterschiedlichen "Töne" der verschiedenen Epochen, sie verfügt über die Fähigkeit, Komik in der Tragik zu entdecken, ohne ihre Protagonisten jemals vorzuführen. Welche Katastrophen auch passieren, nie versinkt sie in Mitleid, sondern bleibt Chronistin, und das macht es um so eindrücklicher. Sie wiederholt, was sie auch schon im Käsebier gemacht hat: Sie schildert sachlich, aber mit unbestechlichem Blick, wie sich in der Zeit der Weimarer Republik der Antisemitismus einschleicht, eher witzelnd zunächst, dann aber auf Resonanz treffend. Immer offener, immer abgefeimter wird er zum Judenhass und zum Alltag. Und die Familien werden immer mehr isoliert und drangsaliert -- und schließlich abgeholt. Tergit übertreibt hier keine Sekunde; wer Victor Klemperers Tagebücher gelesen hat, weiß, wie das funktionierte, und sie selbst und ihre Familie hat es ja am eigenen Leib erlebt.
Man wundert sich schlussendlich nicht über die Schwierigkeiten, die Tergit mit den Verlagen hatte. Das wollte in den 1950ern einfach keiner hören. Als das Buch schließlich erschienen war, nahmen keine 40 Buchhandlungen es ins Programm auf.
Und es hilft nichts, man muss es aussprechen, auch wenn es einen würgt: Vieles in Effingers klingt verdammt aktuell. Im letzten Viertel des Buches drängte sich mir immer häufiger Georg Kreislers resignierte Stimme aus seinem Chanson "Weg zur Arbeit" in den Hinterkopf: Es hat sich nichts geändert.
Kronos Quartet
Five Decades
November 13, 2023
Pittsburgh Playhouse/PNC Theatre
Das Kronos Quartet existiert seit 50 Jahren und feiert dieses Ereignis mit einer Tournee unter dem Titel Five Decades. Ich kenne und schätze dieses Ensemble seit den wohl frühen 1980ern, live gesehen hatte ich es bisher aber nie, obwohl die Gruppe bestimmt auch irgendwann mal in Hamburg war. Die Besetzung des Quartetts war über die Jahrzehnte weitgehend stabil -- David Harrington (Violine), John Sherba (Violine), Hank Dutt (Viola) waren immer dabei, lediglich das Cello wechselte ein paarmal, derzeit ist Paul Wiancko der Cellist. Über das Können der vier muss man kein Wort verlieren, über ihre Offenheit gegenüber fast jeder Stilrichtung ebenfalls nicht -- Staunen genügt. Dass Kronos elektronisch verstärkt spielt, mag für Puristen ein Stein des Anstoßes sein, da aber in viele der Stücke auch voraufgezeichnete Zuspielungen eingeblendet werden, ist das notwendig.
Kronos ist angetreten mit dem Anspruch, ausschließlich Werke des 20. Jahrhunderts zu spielen, inzwischen ist auch das 21. dazugekommen. Dabei greift das Ensemble nicht nur vorhandene Werke auf, sondern gibt auch selbst Kompositionen in Auftrag -- um die tausend sind es bis heute. Zeitweilig hat sich dabei eine Kompositionsweise herauskristallisiert (fast könnte man von einer Masche sprechen, aber das wäre bösartig), die Werke von meist um die 20 Minuten Dauer hervorbringt, die unmittelbar auf die Spezifika von Kronos und das CD-Format zugeschnitten sind. So hat sich das Kronos Quartet zum Jubiläum ausgedacht, 50 (!) Kompositionen in Auftrag zu geben, sie einzuspielen und sie frei zugänglich zu machen -- hier kann man sie hören; wer will, kann dort auch die Noten herunterladen.
Einige der Werke gehören zum derzeitigen Tourprogramm, wobei das aber wechselt. Wenn ich es richtig sehe, spielt Kronos jeden Abend ein anderes Programm, lediglich zwei Kompositionen scheinen fest dabei zu sein. Im PNC Theatre/Pittsburgh Playhouse (einem architektonisch gewagten, aber akustisch sehr schönen Kammermusiksaal mit wohl ca. 400 Plätzen, der zur Point Park University gehört und den ich bis dato nicht kannte) war dies das Programm:
Ein kurzes Video über die Geschichte des Quartetts
Severiano Briseño (arr. Osvaldo Golijov): El Sinaloense (The Man from Sinaloa)
Peni Candra Rini (arr. Jacob Garchik): Maduswara
George Crumb: God-music from Black Angels
Aleksandra Vrebalov: Gold Came From Space
Nicole Lizée: Death to Kosmische
Laurie Anderson (arr. Jacob Garchik): Flow
Als Zugabe gab's einen alten Reißer des Quartetts: Jimi Hendrix' Purple Haze, gefolgt von einer sehr getragenen zweiten Zugabe, deren Komponist mir akustisch leider entgangen ist.
George Crumbs Werk dürfte schon deshalb dabei gewesen sein, weil das Stück David Harrington im Radio seinerzeit so umgehauen hat, dass er beschloss, selbst ein Streichquartett ins Leben zu rufen. Es wurde also zur Urzelle von Kronos. Das Stück gibt dem Ensemble auch die Gelegenheit, seinen Spieltrieb auszulassen: Der hier gespielte Satz God Music wird von dreien der Musiker auf wassergefüllten, perfekt gestimmten Weingläsern gespielt, begleitet lediglich vom Cello. In Maduswara gab es heftige Percussion; in Death To Kosmische kamen ein Stylophone und das gute alte Omnichord wieder zu Ehren; Laurie Andersons Flow stammt aus ihrem Lolabelle-Requiem und ist ein extrem leises Stück, das auf Obertönen basiert -- da hätte man die berühmte Stecknadel fallen hören können, aber dankenswerterweise fiel keine. Vielleicht nicht ganz so originell, aber gleichwohl faszinierend ist Glorious Mahalia, in dem das Quartett ein Gespräch zwischen Mahalia Jackson und dem Schriftsteller Studs Terkel musikalisch kommentiert bzw. ein solistisch vorgetragenes Spiritual begleitet.
Schön, nun auch das Kronos Quartet einmal in Aktion gesehen zu haben. Obwohl es ständig tourt, gibt es die Gelegenheit nicht allzu oft.
Er sei ein Extremist der Desillusionierung, sagt Peter Sloterdijk über sich. In diesem Punkt lässt er sich auch in diesem 80-seitigen Büchelchen nicht lumpen. Das Buch besteht in der ersten Hälfte aus einem Vortrag, den Sloterdijk im Oktober 2022 so bei einem Public-Science-Festival in Luzern gehalten hat. Der Vortrag geht in der zweiten Hälfte des Buchs weiter, ist aber um einige (manchmal recht freidrehende) Passagen erweitert.
Die wenig überraschende Grundidee des Buches besteht darin, dass der "Stoffwechsel des Menschen mit der Natur" wesentlich von der Nutzung des Feuers bestimmt wurde, was kein großes Problem darstellte, solange es sich um "1 zu 1"-Feuer handelte, also etwa brennende Bäume, die nur einmal verbrannt werden konnten. Bedenklich wurde die Sache, als die Menschen in Brand zu setzen begannen, was Sloterdijk "die unterirdischen Wälder" nennt -- die in Erdöl, Kohle in all ihren Ausformungen, Torf etc. konzentrierte Energie. Deren Nutzung, so der Autor, sei heute, im Angesicht der Klimakatastrophe, zu unserem großen Verhängnis geworden. Prometheus würde sich heute wünschen, uns die Gabe des Feuers verweigert zu haben.
Das ist nun nicht so wahnsinnig überraschend, wenngleich wie immer sehr weit ausholend und mit viel historischem Background vorgetragen. Interessant sind aber einige Nebengleise, die Sloterdijk hier eröffnet -- manchmal in Nebensätzen, manchmal sogar in Fußnoten. So zitiert er etwa Georg Herweghs Zeilen "Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will" herbei, um am Beispiel der "Modernisierungstragödie" in der Textilwirtschaft, als die Märkte mit Produkten der Maschinenwebstühle die Handweberei in Weltgegenden von Indien bis Schlesien verdrängten", einen Denkfehler des marxistischen Arbeitsbegriffs aufzuzeigen: Denn in der Tat sind die Arbeiter sehr wohl in der Lage, die Arbeitsprozesse zum Stoppen zu bringen, doch sind sie -- anders als von Marx postuliert -- niemals diejenigen gewesen, die die Räder in Gang gehalten haben. Das, so Sloterdijk, hat seit dem Beginn der Industrialisierung in Wirklichkeit das Feuer der brennenden unterirdischen Wälder besorgt, beziehungsweise die aus ihm gewonnene Energie.
In einer anderen, durchaus überraschenden, These kritisiert Sloterdijk den Versuch (ebenfalls marxistischer) Theoretiker, moderne Ingenieursintelligenz einfach durch ihre Kennzeichnung als "geistige Arbeit" der "proletarischen Sphäre anzugliedern". Die Tätigkeit des Erfindens lasse sich ebenso wie die künstlerische nicht in den Bereich der "Arbeit überhaupt" einschließen.
Das sind schon interessante Thesen, die einige Überlegungen auslösen. Dass sich Sloterdijk dabei in zunehmend alarmierendem Tonfall der geistigen Welt Bruno Latours und dessen "Gaia"-Konzept nähert, liegt einerseits nahe und überrascht andererseits doch. Und darauf, dass mögliche Auswege aufgezeigt werden, wartet man in diesem Buch vergeblich. Patentrezepte gibt's nicht. Hätte ich auch nicht erwartet.
(Diese Rezension erschien zuerst in manafonistas.de)
The current exhib at the Warhol Museum: The Scepter Studio Sessions, the recording of The Velvet Underground & Nico.
Mainly what you can see there are some films and photos, but there are also the original tapes -- as it has to be they are monophonic. Plus some tape boxes and two original sheets with guitar chords by Lou Reed.
Of course there's the cover in several states of yellow and pink,
and some kitsch for fans:
The exhibition in Pittsburgh goes on until mid-September.
Da liegt dieser Klotz nun also vor mir: Ferne Ziele, ein Coffeetable-Buch mit fast 800 Seiten. Man muss es tatsächlich vor sich auf den Tisch legen, das Buch ist zu schwergewichtig, um es über längere Zeit zum Lesen in der Hand zu halten.
Schwergewichtig ist dieses Werk aber nicht nur physisch. Bernd Kistenmacher, geb. 1960, gehört zur "Zweiten Generation" der Musiker, die gemeinhin der "Berliner Schule für elektronische Musik" zugerechnet werden. Die Erste Generation kennen wir noch alle: Tangerine Dream, Klaus Schulze, Manuel Göttsching, Ash Ra Tempel, Agitation Free, Mythos und ein paar weitere. Auch Bernds eigene Karriere reicht schon weit zurück, man kennt ihn nicht nur als Musiker, sondern auch als Labelbetreiber, als Instrumententester für Fachzeitschriften und auch als Videoblogger. Im Dezember 2020 enthüllte er eine von ihm und dem Filmkomponisten Hans Zimmer gestiftete Gedenktafel für das Berliner "Beat-Studio", in dem die "Berliner Schule" ihren Ursprung hatte.
Ferne Ziele ist Kistenmachers erstes Buch, und was für eines! Jahre der Recherche und der Interviews finden hier ihren Niederschlag. Nach ein paar autobiografischen Seiten über Bernds Kindheit und Jugend im damaligen West-Berlin beschreibt er, wie seine Liebe zur elektronischen Musik erwachte -- mit Kraftwerks "Ruckzuck", na klar, und später dann Klaus Schulzes "Floating" von der LP Moondawn, unglaublicherweise gespielt im SFB (vom NDR kannten wir sowas in der norddeutschen Tiefebene nicht) -- und dann war nichts mehr zu retten, Bernd war verloren.
Gut so. Denn diese Liebe gab und gibt ihm die Möglichkeit, alle möglichen Leute, die zur Berliner Schule beigetragen haben, zu kennen und zu befragen -- nicht weniger als 16 an der Zahl. Es wird die Geschichte des Beat-Studios geschildert, das unter der Federführung des Schweizer Komponisten Thomas Kessler im Keller einer Berliner Schule den Start dieser Sparte elektronischer Musik erst möglich machte. Die Rundfunkleute Winfrid Trenkler, Olaf Leitner und Walter Bachauer werden portraitiert. Man erfährt, was ein Synthesizer damals war, woher sie kamen, welche Ingenieure und Techniker daran mitgewirkt haben, diese Instrumente zu verändern, bühnentauglich zu machen oder weiterzuentwickeln, Toningenieure, die ihre Kunst einsetzten, das Ganze in hörbares Vinyl zu bannen -- Dieter Dierks, Eberhard Panne, Wolfgang Palm seien hier nur als drei Beispiele genannt.
Das alles liest sich sehr lebendig, wenngleich man sich insbesondere bei den Interviews gelegentlich eine redigierende Hand gewünscht hätte. Das ist aber auch schon so ziemlich alles, was es an Ferne Ziele auszusetzen gibt. Ich kenne kein vergleichbares Werk.
Das Buch sollte prinzipiell in jeder Buchhandlung zu bekommen sein, in jedem Fall aber HIER bei Bernd Kistenmacher selbst.
Bernd Kistenmacher:
Ferne Ziele – Geschichten über die Berliner Schule für elektronische Musik
788 Seiten
ISBN 978-3-00-075096-0
Kleine Offenlegung: Das Buch enthält ein Kapitel, das aus meinem Buch Der Sound der Jahre übernommen ist. Ich bin an den Verkäufen von Ferne Ziele aber nicht beteiligt.
Was hätten wir in den 1970ern in der norddeutschen Tiefebene nur ohne sie gemacht, diese Stationen, die uns frische Musik aus dem Äther ins Röhrenradio bliesen: das englische Programm von Radio Luxembourg ("The Station of Your Stars"), BFBS, Radio Caroline, Radio Veronica, Radio North Sea International -- die letzteren drei Piratensender, die von Schiffen in der Nordsee sendeten. Über sie gab es gelegentlich Reportagen im "Stern", in der "HörZu" oder in Musikmagazinen, meist unter Überschriften wie "Bei Sturm wackelt der Plattenspieler" oder "Die DJs müssen seefest sein". Selbstverständlich dachten wir damals, die DJs tricksten die Behörden aus, indem ihre Dampfer außerhalb der Dreimeilenzone ankerten und sie selbst säßen wirklich an Bord dieser Schiffe. Die Vorstellung hatte etwas wunderbar Romantisches.
Aber nein, in Wirklichkeit waren an Bord nur die Sendeanlagen; die Shows wurden in Studios in Hilversum oder London hergestellt und per Tonband geliefert. An Bord der Schiffe saßen nur ein oder zwei Techniker, für die das ein schrecklich langweiliger Job gewesen sein muss. Jede Woche wurden sie per Schiff mit Lebensmitteln, neuen Tonbändern und ein paar Pornoheften versorgt. Selbst das englische Programm von Radio Luxembourg, das natürlich kein Piratenprogramm war, wurde in London aufgezeichnet und täglich per Sportflugzeug nach Luxemburg geflogen. Deren Programmansage war mir als ungefähr 13-jährigem Schüler mit durchschnittlichem Schulenglisch immer ein Rätsel, weil ich deren "Two-O-Eight" (die Frequenz, 208 Meter) stets als "two or late" misshörte und mir keinen Reim darauf machen konnte.
Die BBC war oft gegen ihren Willen an den Piratensendungen beteiligt. Um nämlich für die Hörer attraktiver zu sein, hatten einige dieser Sender die Idee, auch Nachrichten ins Programm zu nehmen. Da saß dann wirklich eine Art Redakteur an Bord, hörte zur vollen Stunde die Nachrichten der BBC ab, schrieb sie ein wenig um und las sie zur halben Stunde über den eigenen Sender. Die BBC testete das gelegentlich, indem sie eine falsche Zahl in ihre Nachrichten einbaute -- die dann prompt von den Piraten nachgeplappert wurde.
Der Hauptärger in den 1960er Jahren bestand allerdings darin, dass die BBC nur drei Programmsparten anbot: Leichte Musik, Ernste Musik und Wort. Das Hörerpublikum, das gerne auch Rockmusik hören wollte, wanderte in Scharen zu den Piratensendern ab. Irgendwann wurde das der BBC zu dumm, und 1967 beschloss sie die Gründung von
Mit neuer Gesetzgebung konnten zumindest die Piratenstationen, die sich in leerstehenden Militärgebäuden in der Themsemündung niedergelassen hatten, gestoppt werden. Die Sendeschiffe außerhalb der Dreimeilenzone nicht, aber die BBC hatte die klare Ansage gemacht, deren Hörer zur BBC zurückzuholen -- und sie warb deren DJs ab. Und so begann die streckenweise recht abenteuerliche Geschichte von Radio 1.
Die kann man jetzt nachlesen; Robert Sellers hat sie aufgeschrieben. Da liest man erstaunliche Dinge, zum Beispiel die Schwierigkeiten der DJs, sich mit den Gewohnheiten der BBC anzufreunden -- freies Reden gab es nicht, Texte hatten vom Manuskript abgelesen zu werden, der Producer teilte Sprechzeiten zwischen den Musikstücken zu (meist genau 30 Sekunden), und die Sprecher der BBC hatten Schlips und Dinnerjacket zu tragen (Frauen waren eh eine seltene Spezies im Funkhaus). Weil es noch keine Hausausweise gab, scheiterten die manchmal wild aussehenden DJs (viele, etwa John Peel, werden im Buch portraitiert) immer mal wieder am Pförtner, zumal die Sendungen nicht aus dem Hauptgebäude der BBC kamen, sondern Radio 1 ein eigenes Gebäude hatte, das Egton House. Nach einer Weile wurden die DJs zu Stars und Superstars, das begriffen dann auch die Pförtner.
Die Musikergewerkschaft kämpfte mit harten Bandagen: Sie nahm lange Zeit nicht zur Kenntnis, dass die Hörer die Platten der Rolling Stones oder der Beatles hören wollten -- nicht die vom BBC-Orchester gespielten Coverversionen, worauf die Gewerkschaft aber bestand. Überhaupt sahen sie Schallplatten als natürliche Feinde der von ihnen vertretenen Musiker an, und so gab es endlose Auseinandersetzungen um die sogenannte "needle time", die Zeitfenster also, in denen Platten gesendet werden durften. Irgendwann konnte man der Gewerkschaft klarmachen, dass auch Platten von Musikern eingespielt wurden, nicht von irgendwelchen Geistern.
Man staunt darüber, dass Radio 1, obwohl es sehr schnell das beliebteste BBC-Programm wurde, bis 1993 nur in mono über die Mittelwelle zu empfangen war (was mir insofern recht war, als man damit Radio 1 auch in Hamburg hören konnte, wenn die Atmosphäre nicht allzu verknistert war). Erst dann schaufelte die BBC etliche un- oder anders genutzte UKW-Frequenzen frei und schaltete Radio 1 auf. Erst 1993 gab es die ersten Sendungen von CDs in Stereo. Auch war bis 1990 strikt um 2 Uhr nachts Sendeschluss. Es musste erst die Berichterstattung über den Golfkrieg kommen. Die sollte rund um die Uhr laufen, und das behielt man nach dem Ende des Krieges klammheimlich bei. Die Schicht von 4 bis 6 Uhr morgens galt lange Zeit als "graveyard shift", bis die Hörerforschung dahinterkam, dass selbst um diese Zeit ein sehr buntes Hörerspektrum erreicht wurde, allerdings andere Hörer als später am Tag oder am Abend.
Ein interessantes Buch, wenn man sich ein bisschen für Radiogeschichte interessiert. Gelegentlich ein bisschen zu sehr auf Anekdoten hin geschrieben, aber das macht wenig; unterhaltsam ist es eh.
Robert Sellers:
The Remarkable Tale of Radio 1
The History of the Nation's Favourite Station 1967-95
Omnibus Press, ISBN 9-781913-17212-1
Der Komponist Johannes Brahms, wäre ihm nicht der Leberkrebs dazwischengekommen, hätte vor einigen Tagen seinen 190. Geburtstag feiern können. Was mich daran erinnerte, dass Michael Naura und Wolfgang Schlüter ein Stück eingespielt haben, das sich lose improvisierend an eines der "Abendlieder" des Geburtstagskindes anlehnt.
Country Children heißt dieses Album, aufgenommen 1977 von Dietram Köster bei Radio Bremen, erschienen 1980 auf dem wohl eigens für das Trio Naura/Schlüter/Rühmkorf geschaffene Imprint-Label ECM-SP. Die LP erlebte nur eine einzige Auflage; auf eine CD oder in einen Streamingdienst hat es die Platte nie geschafft -- vielleicht, weil Manfred Eicher an der Produktion nicht selbst beteiligt war.
Michael Naura ist nicht Chick Corea und Wolfgang Schlüter ist nicht Gary Burton. Genau das spielen die beiden hier aus. Schlüter spielt Vibraphon und gelegentlich Marimba, er dreht Pirouetten und riskiert gelegentlich gewagte Sprünge auf dem Fundament, das Naura mit ruhigen, meist fließenden Klavierakkorden bildet. Fast alle Stücke könnte man sich auch als Begleitung für Peter Rühmkorfs von ihm selbst gesprochene Gedichte vorstellen, aber auf diesem Album ist er nicht dabei. "Ballade für eine Silberhochzeit" legt die Stimmung fest, die das Album in wesentlichen durchhält. Ein paar atonale Einwürfe überraschen in "Schlafen", "Rosemary's Baby" (die einzige Fremdkomposition) bringt ein paar klangtechnische Spielereien, die in ihrer Verwischtheit an den gleichnamigen Film denken lassen. Der Titeltrack "Country Children" ist dem "Abendlied" wie aus dem Gesicht geschnitten, "Call" erinnert an ein früheres Album des Michael Naura Quartetts von 1971.
Wer Crystal Silence mochte, wird Country Children lieben. Zeit für ein Remaster!
Zufällig bin ich über einen sehr lesenswerten Artikel gestolpert, hier. Sofort war die Erinnerung wieder da an Silvester 1987/88, Prenzlauer Berg, Kastanienallee, mit meinen damaligen Bekannten, die zu den "subversiven" gehörten. Musiker, deren "Westkontakt" ich war, der Batterien für das Yamaha-Echogerät und derlei Zeugs besorgen konnte. Nachmittags am Grenzübergang gab es schon kaum noch ernste Kontrollen, die Flasche Sekt ließ der Grenzer unbeanstandet. Später ein Bier im Prater. Abends Silvesterparty. Da wurde schon darüber debattiert, was wohl passieren werde, wenn "das Kapital" käme. Am nächsten Morgen sind wir dann mit Kater durch die Eberswalder gelatscht. Ich weiß nicht mehr, ob ich es gesagt oder nur gedacht habe, dass das Monstrum da vorne die Straße wohl nicht mehr lange versperren werde. Man musste kein Hellseher sein, um das zu spüren. Schade, dass sich die Kontakte später alle im Sand verlaufen haben.
Die im Artikel erwähnte Ausstellung in Berlin ("Voll das Leben") ist mit Sicherheit sehenswert. Wie auch dieser Fotoband von Harald Hauswald.
Tokyo Melody -- A french film by Elizabeth Lennard, documenting Sakamotos work on his album Illustrated Musical Encyclopedia (1984).
Bye bye, Mr. Sakamoto!
Es gibt das Magazin noch immer, eine große Rolle spielt es allerdings heute eher nicht mehr.
Nichtsdestotrotz, die Hefte, die ich noch besitze, bleiben im Archiv und wandern nicht ins Altpapier:
Warhols TV-Experimentierereien, "Warhol TV" und "Warhol's Fifteen Minutes", stehen heute teilweise online. Die diversen Portraits, viele davon Auftragsarbeiten, die Andy für 10.000 Dollar anfertigte, sind natürlich als Poster hinlänglich bekannt. Man ist trotzdem verblüfft, wenn man vor dem originalen Siebdruck steht und erkennt, dass sie wirklich Einzelstücke mit dicken Farbschichten sind.
Ab Mai gibt es eine Ausstellung zu Velvet Underground & Nico. Mehr dazu dann hier; ich bin gespannt.
Damit schöne Grüße aus dem "Silver Clouds"-Raum des Museums. Immer wieder schön, mit den Dingern zu spielen.
Lilli:
Entsinnst du, wie der Elefant gestorben ist?
Max:
Das weiß ich noch, ja.
Da habe ich dagestanden, wie sie ihn auseinandergeschnitten haben,
damit sie ihn aus dem Hof rauskriegten.
Lilli Rober und ihr Bruder Max. Bis 1908 sind die beiden im Ensemble, sie als Tänzerin, er als Schauspieler und Wasserpantomime. Als die Stiefmutter Lilli wieder einmal mit dem Feuerhaken verprügelt, reißt Max nach Amerika aus.
Eine von vielen Geschichten um die Schilleroper in Hamburg.
1890. Das markante Rundgebäude wird als stationärer Zirkus mit 1000 Plätzen errichtet, mitten zwischen überbevölkerten Hinterhöfen, Passagen- und Terrassenwohnungen im cholerageplagten Altona, das damals noch zu Dänemark gehört. Eine Gegend, in der die Miete mit dem Revolver kassiert wird. Stahlgerüst, Wellblechwände, Pappdach, die Baukosten betragen 38.000 Mark. Betrieben vom Wanderzirkusunternehmer Paul Busch ist der Zirkus die Antwort Altonas auf die Konkurrenz, den einen knappen Kilometer Luftlinie entfernten Circus Renz in Hamburgs Rotlichtbezirk St. Pauli. Der Bau ist auch ein direkter Affront des Altonaer Magistrats gegen den übermächtigen Nachbarn Hamburg.
2016 habe ich das Gebäudeensemble zuletzt gesehen. Der Rundbau mit seinen teils ein-, teils zweistöckigen Nebengebäuden liegt im Schnittpunkt von St. Pauli, Karolinen- und Schanzenviertel, wenn auch von diesen abgetrennt durch zwei der dicksten Verkehrsadern Hamburgs. Für Stadtplaner gleichwohl eine Top-Lage, ein Filetstück mitten in einem hochverdichteten Wohngebiet, dessen Einwohnerschaft allerdings noch immer allergisch auf unerwünschte Eingriffe reagiert hat – die berühmt-berüchtigte „Rote Flora“ ist nur einen Katzensprung entfernt. Die Stahlkonstruktion der Rotunde gilt als Beispiel frühindustrieller Tragwerksarchitektur, deshalb ist das Gebäude geschützt. Der Gebäudekomplex darf nicht betreten werden, es besteht Einsturzgefahr, zudem kann man, wenn man nicht aufpasst, in ungesicherte alte Abflussrohre treten. Nachts spielen hier die Ratten Billard, die Nebengebäude, in denen sich zeitweilig einige Kleingewerbetreibende niedergelassen hatten, stehen jetzt leer und sind vernagelt. Niemand weiß, was mit der Schilleroper passieren soll. Im Prinzip scheinen die Besitzer darauf zu warten, dass das Stahlgerüst von selbst zusammenbricht. Ein Schelm, wer dahinter Absicht vermutet.
Um 1900 erhält der Circus Busch eine weltweit einmalige Sensation: eine Manege, die hydraulisch abgesenkt und geflutet werden kann. Man spielt eine Wasserpantomime namens „Sibirien“ und lässt zwölf Eisbären aus der Kuppel auf einer Rutsche ins Wasser platschen. Zwischen den Vorstellungen stehen die Eisbären auf einem Schrottplatz in der Nähe. Der Autoverwerter, dem der Platz gehört, existiert noch heute.
1905 schließt der Circus Busch seine Pforten und zieht nach St. Pauli in den Circus Renz. Der Architekt Ernst Michaelis übernimmt das verlassene Haus und baut es zu einem Theater mit 1400 Plätzen um. Zur Eröffnung spielt man Schillers „Was ihr wollt“. Die Bühnenarbeiter des Schiller-Theaters, wie das Haus seitdem heißt, kommen aus der Nachbarschaft – Werftarbeiter, für sie ein Nebenverdienst, den sie gut gebrauchen können. Lilli Rober tanzt mit dem später populären Stummfilmdarsteller Lupu Pick den Cakewalk, man spielt niederdeutsche Komödien, Sittenstücke und zu Lokalrevuen umgearbeitete Klassiker. Aus einer solchen Revue geht der Hit „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ hervor. Ein 21-jähriger Nachwuchsschauspieler, den man vom Hamburger Operettenhaus abgeworben hat, wird damit zum lokalen Star, ein gewisser Hans Albers:
Der Hamburger Dichter Robert Walter wird Dramaturg. Er nimmt heitere und ernste Stücke ins Programm, gern auch Patriotisches. Im Sommer, wenn die Hamburger Staatsoper Ferien hat, heuert er deren Musiker an und lässt Opern spielen, aber auch für artistische Shows und Ringkämpfe ist man sich nicht zu schade. Das Gebäude lässt das alles zu.
Dies alles vermischt sich mit dem Leben ringsum. Die Kulissenmalerwerkstatt ist die Straße, der nahegelegene Kohlenhändler kümmert sich um die Tiere, die auf der Bühne eingesetzt werden, die Komparserie stammt aus der unmittelbaren Nachbarschaft, ebenso wie die Kinder, die fürs Weihnachtsmärchen benötigt werden. Klempnermeister Willy Küker entzündet nicht nur allabendlich das Gaslicht im Haus, sondern betreibt auch die Theaterkneipe, in der seine Frau den Theaterleuten, Musikern, Artisten und Nachbarn Bier, Kartoffelsalat und Eintopf serviert. Die Klempnerei liegt um die Ecke, sie existiert noch.
Im Ersten Weltkrieg werden Benefiz-Veranstaltungen für gefallene Offiziere gespielt und treffen sich hier illegal die örtlichen Sozialdemokraten. 1917 übernimmt Hans Pichler das Haus, der Schwiegersohn des Schauspielhaus-Direktors. Von dort wird er auch unterstützt. Trotzdem geht Pichler 1921 pleite. Das Haus wird kurzfristig vom Altonaer Stadttheater mitbespielt. 1922 hat in der nahegelegenen Flora die Revue „Wie steht der Dollar?“ Premiere. Sie ist so erfolgreich, dass Flora-Direktor Max Ellen sie im leerstehenden Schiller-Theater weiterspielen lässt und die Leitung des Hauses übernimmt.
Bis zum Beginn der Nazi-Ära bietet das Schiller-Theater nun alles, was man als „die Zwanziger Jahre“ im Kopf hat. Freche Revuen mit Batterien dressierter Tänzerinnen gibt es ebenso wie Klabunds „Kreidekreis“, Marieluise Fleißers „Pioniere in Ingolstadt“ oder Brechts „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ – Stücke, die in direkter Konkurrenz zu Erich Ziegels Hamburger Kammerspielen mit ihrem Publikumsliebling Gustaf Gründgens stehen. Spuren davon finden sich später in den Büchern Klaus Manns – real („Der Wendepunkt“) und halbfiktiv („Mephisto“). Auch Laienspielgruppen der Arbeiterbewegung nutzen die Bühne. Gegen Ende der 20er Jahre kommt es in dem prinzipiell roten Viertel um das Theater herum zunehmend zu Zusammenstößen zwischen SA und Kommunisten, gelegentlich zu Schießereien. Einige Einschusslöcher sieht man noch.
1933 wird unter einem Vorwand der jüdische Direktor Max Ellen entlassen. Nach einem Umbau heißt das Gebäude nun „Oper im Schiller-Theater“ oder kurz: „Schilleroper“. Zur Eröffnung gibt man den „Freischütz“. Man versucht zu lavieren: Einerseits spielt man „Der Wanderer“, ein Stück von Joseph Goebbels, andererseits wird Musik von Ernst Krenek oder Paul Hindemith aufgeführt, Franz Lehár dirigiert selbst die Premiere seiner „Giuditta“.
1939, mit dem Stück „Sonnenstrahl im Hinterhof“, endet die Theatergeschichte der Schilleroper. Sie wird geschlossen, weil keine Luftschutzräume vorhanden sind. Im Gebäude werden Kriegsgefangene untergebracht, später dann ausgebombte Familien aus der Nachbarschaft. Bombentreffer tun ein Übriges.
Die Schilleroper wird nach Ende des Krieges nicht wieder als Theater in Betrieb genommen. Sie dient vorrangig als Lagerraum und Garage. 1951 richten Motorradartisten die Rotunde für eine Steilwandnummer her, danach passiert lange nichts mehr. In den 60er Jahren beherbergt die Schilleroper kurzfristig ein Hotel, später werden dort „Gastarbeiter“, wie man sie nennt, von der Werft Blohm & Voss untergebracht. In den 70er Jahren gibt es einige Brandstiftungen und kurzfristig zieht ein Kulturverein ein. Für die Spielzeit 1980/81 möchte das Deutsche Schauspielhaus die Schilleroper als Ausweichbühne nutzen. Statt dessen ziehen wiederum ausländische Arbeiter in die Nebengebäude ein, im ehemaligen Foyer eröffnet ein italienisches Restaurant. Das wird bald wieder geschlossen – wegen verbotenen Glücksspiels.
Immer wieder werden seither neue Nutzungspläne entworfen und wieder verworfen – weitere Zirkuspläne, ein Musikclub, ein Kino, ein Haus für Swing-Musikpartys. Nichts davon wird realisiert, es werden Asylbewerber einquartiert. 2008 zeigt Bernhard Paul vom Circus Roncalli Interesse, das Gebäude zu mieten. Man lässt ihn abblitzen. Die um die Rotunde herum liegenden Gebäude -- frühere Künstlergarderoben, Büros etc. -- werden zeitweilig von Kleingewerbetreibenden genutzt.
Es bildet sich eine Anwohnerinitiative, die das Gebäude auf sozialverträgliche Weise reaktivieren will. Der Stadtplaner Jo Claussen-Seggelke legt einen Plan vor, aber die Eigentümer wechseln wiederholt. Derzeit gehört das Gelände einer Objekt-GmbH, der Geschäftsführer ist ein Rechtsanwalt. Niemand weiß, wer tatsächlich hinter dieser Firma steht.
Und das Gebäudeensemble verfällt, weiter und weiter.
2021. Man weiß inzwischen, wer die Eigentümerin ist. Sie tritt selbst nie in Erscheinung, aber irgendwie gelingt es ihr immer wieder, die Vorgaben des Bezirksamtes nicht zu erfüllen -- oder sie so zu erfüllen, dass der Verfall des Ensembles weitergeht. Die Gebäude sind schließlich nicht mehr zu retten. Die Eigentümerin lässt sie abreißen. Wie nicht anders zu erwarten, lässt sie auch das Hauptgebäude weiter verrotten, mit dem Argument, es stehe ja nur das Stahlgerüst unter Denkmalsschutz. Das Bezirksamt findet keinen Weg, dagegen vorzugehen. 2022 schließlich lässt die Besitzerin sämtliche Gebäudeteile abreißen; es steht wirklich nur noch das nackte Stahlgerüst.
Das ist der traurige Rest. Mit dem kann nun niemand mehr etwas anfangen, und man benötigt nicht viel Fantasie, um sich ausrechnen zu können, wie lange die Stahlkonstruktion dem Wetter noch ungeschützt standhalten kann. Das Bezirksamt sollte sich selbst anzeigen. Wegen Dummheit im Dienst.
Was bleibt, sind Fotos und Erinnerungen, die Dissertation von Anke Rees
sowie ein schönes Buch und ein dazugehöriger Dokumentarfilm von Horst Königstein, gedreht 1980.
Den Film sollte der NDR einmal wieder aus dem Archiv holen. Das Buch findet man gelegentlich noch gebraucht.