Die Doo-Wop-Ära reichte von den späten 1940ern bis in die frühen 1960er Jahre der USA. Entstanden aus Gospelgesang, ein paar Spuren Rhythm'n'Blues und Barbershop, war sie eine absolut originäre Erscheinung, die es in dieser Form wirklich nur hier gab -- abends in den Straßen, im Licht der Streetlights, just for fun. Im landläufigen Sinne "erfunden" hat das niemand, aber wenn man "Just Sittin' And A Rockin'" von den Delta Rhythm Boys (1945) als Urvater des Doo-wop ansieht, liegt man wohl nicht falsch. Der Gruppenharmoniegesang mit den typischen Nonsense-Silben entstand, weil keine Instrumente vorhanden waren und sie deshalb imitiert werden mussten. "Doo doo doo wop" wurde meist vom Bass gesungen und diente als Schlagzeugersatz. Die Harmoniesänger imitierten andere Instrumente. Immer basierten sie auf dem Gehör, musikalische Bildung hatte da kaum jemand. Dazu kam dann ein Solosänger, meist ein Tenor, der einfache Lyrics sang. Die Vokalensembles kamen durchweg aus den etwas ungemütlicheren Schwarzenvierteln, aber nach kurzer Zeit bildeten sich auch Gruppen italo-amerikanischer Herkunft. Die brachten Kirchenchor-Erfahrung und den Barbershop-Stil ein. Im Laufe der Zeit fanden sich dann auch weibliche und schwarz-weiß gemischte Ensembles.
Das Frappierende am Doo-wop ist, dass er nur funktioniert, wenn der Gesang wirklich beherrscht wird. Das änderte sich auch nicht dadurch, dass dieser Stil in den 1950ern von Radio-DJs entdeckt und von Plattenfirmen verbreitet wurde. Streetlight Harmonies (Trailer) zeigt diese Geschichte relativ chronologisch. Der Film des Regisseurs Brent Wilson stammt von 2017 und ist seit Mai nun auch gestreamt zu sehen. Der Film folgt dem üblichen Schema solcher Dokus: Viele der noch lebenden Künstler, Songwriter und Musiker wurden vor die Kamera geholt und geben kurze Statements ab, dazu alternierend sind Ausschnitte aus den Songs zu sehen. Sie haben einiges zu sagen. So erfährt man (wieder einmal), wie schwarze Künstler damals besonders in den Südstaaten der USA behandelt wurden -- es gab getrennte Eingänge, sie wurden in "weißen" Diners nicht bedient, sie wurden in unsäglichen Absteigen untergebracht, sie wurden von anständigen Bürgern mit Waffengewalt am Betreten bestimmter Straßen oder Geschäfte gehindert. Und sie wurden von Produzenten und Plattenfirmen über den Tisch gezogen. It's a crying shame. Nur singen durften sie. Zum Schmunzeln aber auch, wie eine der interviewten Sängerinnen eine kleine persönliche Rache durchspielte: Sie erteilte Weißen, die nach den Auftritten mit Autogrammwünschen an sie herantraten, eine Abfuhr.
Man kennt die Songs, die Gruppen kennt man oft nicht mehr: Frankie Lymon & The Teenagers, Dion & The Belmonts, The Del-Vikings, The Moonglows, The Spaniels, The Platters, The Drifters, The Crests, The Capris, The Earls, Sha-Na-Na, Randy & The Rainbows -- die Liste ist endlos, One Hit Wonders die meisten. Frankie Lymon war zarte 13, als er die Solostimme in "Why Do Fools Fall In Love?" übernahm -- der eigentlich vorgesehene Sänger der Teenagers, Herman Santiago, war nicht erschienen. Der Song war ein Riesenerfolg und wurde tausendmal gecovert, sogar von Joni Mitchell. Leider kam dann ein Produzent auf die Idee, dass man doch auf die Gruppe verzichten und Frankie zum Solostar aufbauen könne. Es ging schief. Die Teenagers scheiterten ohne ihre Leadstimme, Frankie Lymon selbst fiel dem Heroin zum Opfer. Hier in Pittsburgh entstanden die Del-Vikings, ein gemischtes Ensemble, das den Riesenhit "Come Go With Me" hatte. Noch heute ist der Gruppe eine Vitrine im Heinz History Center gewidmet. Interessant auch, dass einer ihrer Sänger ein gewisser Gus Backus war, der später als GI in Deutschland mit zumeist albernen Schlagern zu Charterfolgen kam (bis er Alkoholiker war). Wenn man weiß, dass er zur Gruppe gehörte, hört man seine Stimme leicht heraus. Einige der wichtigsten Acts fehlen im Film, vermutlich waren die Rechte zu teuer oder nicht zu bekommen, oder es gab keine Überlebenden mehr. "Only You" mit den Platters, geradezu die Krönung des Genres, fehlt ebenso wie "Sixteen Candles" mit den Crests oder "Cryin' In The Chapel" mit den Orioles. Schade, aber man hat trotzdem noch eine Menge zu entdecken.
"Sixteen Candles" zeigt in geradezu idealtypischer Weise, wie die Doo-wop-Gruppen einen Markt etablierten, den es in den USA bis dahin schlicht nicht gegeben hatte: Sie entdeckten die Teenager als Plattenkäufer, und das war dann auch sehr schnell das Muster, nach dem die Texte gestrickt waren. Der Film zeigt auch, wie es nach dem Ende der eigentlichen Doo-wop-Ära weiterging: Der Gesangsstil wurde übernommen und mit anderen Genres, etwa dem Beat, gemischt, allen voran die Beach Boys. Aber auch im frühen Motown-Soul findet sich der Doo-wop-Stil wieder, und nicht zu vergessen Phil Spector und seine Girl Groups.
Tempi passati. Allerdings, und da sind wir wieder in Pittsburgh, gibt es hier einen Sender namens WQED, der jahrelang (und ich glaube, noch heute -- soweit es derzeit überhaupt möglich ist) viele dieser Gruppen wieder auf die Bühne holt. Und es ist immer wieder erstaunlich: Sie haben nichts verlernt. Via PBS laufen diese Shows in ganz Amerika. Und es gibt noch immer so wunderbare Filme wie American Graffiti, die von diesem Soundtrack leben.
Darauf einen Milkshake.