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Thursday, May 28, 2015

Norbert Grob: Fritz Lang

Dass Fritz Lang einer der bedeutendsten Regisseure und Innovatoren der Filmgeschichte war, muss nicht mehr ernsthaft belegt werden. Dr. Mabuse, der Spieler, Der müde Tod, Die Nibelungen, Metropolis, Frau im Mond, M – Eine Stadt sucht einen Mörder, Das Testament des Dr. Mabuse, Fury, You Only Live Once, Hangmen Also Die, Scarlet Street — das sind nur einige seiner Meisterwerke. Wirklichen Schrott hat Lang nur ein einziges Mal produziert (An American Guerilla In The Philippines), ansonsten sind selbst seine “kleineren” Filme immer noch besser als 90 Prozent aller anderen Filme. Behaupte ich mal so.

Lang-Biografien gibt es bereits in größerer Zahl — weshalb also jetzt noch eine weitere?

Die 2001 von Rolf Aurich, Wolfgang Jacobsen und Cornelius Schnauber herausgegebene Lang-Bio bleibt, was Fakten und Dokumente betrifft, weiterhin die definitive. Grobs Zugang und inhaltliche Ausrichtung unterscheidet sich aber von den bisher vorliegenden Werken. Alle mir bekannten Lang-Biografien drehen sich im wesentlichen um seine Filme; Lang selbst verschwindet meist hinter seiner Arbeit. Das dürfte ihm durchaus recht gewesen sein. Denn auch, wenn Lang sich exzellent und öffentlichkeitswirksam zu präsentieren wusste, so war er doch stets der Ansicht, wer etwas über ihn erfahren wolle, müsse sich seine Filme anschauen. Dazu kam Langs notorisches Vergnügen daran, Ereignisse aus seinem Leben mit viel Phantasie auszuschmücken; nicht selten gibt es über ein- und dieselbe Sache sogar mehrere Varianten. Wer etwa wissen möchte, woher Langs Augenverletzung stammt, die zu seinem Monokel führte, kann sich entscheiden, ob er eher einer Kriegsverletzung oder eher einem bei frühen Dreharbeiten geplatzten Scheinwerfer zuneigt. Auch Langs Indienreisen, von denen er oft erzählte, sind durch nichts zu belegen. Legendär auch das Treffen zwischen Lang und Joseph Goebbels in dessen Büro, bei dem er Lang eröffnete, der Führer und er seien der Meinung, Lang sei der Mann, “der uns den nationalsozialistischen Film schenken” werde, weshalb sie ihn dazu auserkoren hätten, den Posten eines “Reichsfilmintendanten” anzunehmen. Das, soviel war Lang mit Sicherheit klar, war ein Angebot, das er nicht hätte ablehnen können. Lang will sich daraufhin noch am selben Abend ohne Geld (weil die Banken schon geschlossen waren) auf Nimmerwiedersehen nach Paris abgesetzt haben. Das Treffen als solches hat stattgefunden, es ist in Goebbels’ Tagebuch erwähnt, aber dessen angeblicher Ablauf dürfte weitgehend Langs Phantasie entsprungen sein. Und seit vor einigen Jahren Langs Reisepass aufgetaucht ist, wissen wir, dass zwischen dem Treffen und Langs Abreise immerhin drei Monate gelegen haben. Aber immerhin: Er ging.

Es gibt etliche dieser Anekdoten. Sie gehören zu Lang wie seine Filme. Zwar hangelt auch Grob sich im wesentlichen an Langs Filmen entlang (der inhaltlichen Stringenz wegen bestätigen einige Vor- und Rückgriffe die Regel), legt dabei den Schwerpunkt aber klar auf die Person Fritz Lang und richtet ein besonderes Augenmerk auf Langs frühe Jahre. Die ewige Frage, ob Lang seine erste Frau erschossen hat oder ob es sich um Unfall oder Suizid handelte, wird zwar auch hier nicht geklärt (sie wird mit Sicherheit nie mehr geklärt werden können), aber die Begleitumstände werden von Grob ausführlicher dargestellt als irgendeine andere Biografie dies je geleistet hätte. Ähnliches gilt auch für Langs lebenslange enge Freundschaft mit Theodor Adorno, Peter Lorre, der “Eisnerin”, seine Auseinandersetzungen mit Bert Brecht (den er sehr schätzte, der aber nicht in der Lage war, in filmischen Strukturen zu denken), oder auch seine Unterstützung des Widerstands gegen die Nazis, die ihm offenkundig ein großes Anliegen war. Dabei stellt Grob einiges vom Kopf auf die Füße, und das ist manchmal recht wohltuend. Auch das Hollywood-Bild, das hier gezeichnet wird, scheint mir realistischer zu sein als in manch anderen Biografien. Ein bisschen misstrauischer bin ich, was die Schilderung der diversen — angeblichen — Liebschaften betrifft, die Lang mit so ziemlich jeder Frau gepflegt haben soll, die ihm über den Weg gelaufen ist. Einige dieser Episoden kennt man, mit Sicherheit wird es die eine oder andere weitere gegeben haben, aber weshalb nun ausgerechnet auf erotischem Gebiet Langs Neigung zum Ausschmücken nicht gegolten haben soll …

Ein deutliches Manko dieser Biografie ist das Fehlen einiger wichtiger Personen. Dass eine — gerade im Stummfilm — so wichtige Persönlichkeit wie der Komponist Gottfried Huppertz gerade einmal im Vorbeigehen erwähnt wird, ist keine Kleinigkeit. Huppertz schrieb immerhin die sinfonischen Musiken zu den beiden Nibelungen-Filmen und zu Metropolis, und anders als jeder andere Komponist spielte er seine Musiken am Klavier bereits während des Drehs, so dass sie die Schauspieler unmittelbar beeinflussten — und das sieht man ihrem Spiel an. Auch das Fehlen des Ausstatters Walter Schulze-Mittendorff, der viele Requisiten und wichtige Ausstattungsstücke entwarf — das wichtigste sicher der Maria-Roboter in Metropolis –, ist schade.

Wie auch immer: Wer sich für Fritz Lang interessiert und sich am gelegentlich etwas blumig-illustriertenhaften Ton dieser Biografie nicht stört, möge unbesorgt zugreifen.


Norbert Grob:
Fritz Lang
Propyläen, Berlin 2014
ISBN 978-3-549-07423-7

Wednesday, May 20, 2015

The End of an Era

Heute abend wird dort wohl ein bisschen mehr Gedränge herrschen. Die Medien sprechen hier allgemein von “End of an Era”. Immerhin, noch letzte Woche war der Präsident bei David Letterman zu Gast, gestern abend sang ein desorientiert wirkender Bob Dylan ein fürchterliches Lied – das hat nicht jeder in seiner Sendung. Ich fürchte, heute abend wird’s tränenreich. 

Ich wette, morgen früh blüht der Flieder noch genauso violett wie vorher. Trotzdem: Bye bye, David!

Saturday, May 16, 2015

Philip Glass: Words Without Music


(Scroll down for English version)

"Words Without Music is one of the most inspiring books I've ever read", schreibt Laurie Anderson über dieses Buch. Nun ja, man kann alles übertreiben, sogar Blurbs.

Absolut lesenswert ist das Buch aber allemal. Unaufgeregte Memoiren, geschrieben von jemandem, der genau weiß, wer er ist. Und der das auch darf, denn Philip Glass hat sich seinen Erfolg mit unendlicher Geduld erarbeitet. Eine Kindheit im väterlichen Plattenladen in Baltimore, Studium in Chicago. Als er mit 19 nach New York ging -- eine andere Stadt kam für ihn nicht in Frage --, um an der Juilliard School Komposition zu studieren, warnte ihn seine Mutter, er werde enden wie sein Onkel Henry (nein, die Geschichte wird hier nicht verraten). So kam es dann glücklicherweise nicht, aber um als Komponist zu überleben, hat dieser Mann im Stahlwerk gearbeitet, als Möbelpacker, als Klempner, als New Yorker Taxifahrer und noch mehr. Als er von seiner kompositorischen Arbeit leben konnte, war er über 40, hatte eine eigene Band und bereits etliche Musiken für Bühne und Tanztheater im Gepäck. Obwohl die Gelegenheit bestand, hat er ganz bewusst niemals lehren wollen, weder an einer Highschool noch an einer Universität. Gut so, denn ich kenne keinen Künstler, dem nicht auf dem Lehrstuhl die Kreativität abhanden gekommen wäre.


Einen großen Teil des Buches nehmen Reiseschilderungen ein. Glass' Reisen haben ihn mit der Eisenbahn nach Indien und Nepal geführt; Ravi Shankar war einer der Leute, die er dort traf und der sehr zu seinem Musikverständnis beigetragen hat. Hier liegt einer der Schwachpunkte des Buches: So abenteuerlich die Reisen und die vielen Begegnungen gewesen sein mögen, man erfährt nur, dass sie stattgefunden haben. Was Philip Glass von diesen Begegnungen mitgenommen hat, das bleibt oft unklar. Seine Kompositionslehrerin Nadia Boulanger in Paris hat, wie er immer wieder betont, großen Einfluss auf ihn ausgeübt -- aber worin konkret dieser nun bestanden hat: Wir erfahren es nicht. Im Studium an der University of Chicago hat sich Glass früh entscheiden müssen zwischen der Zwölftonmusik und der "tonalen" Musik. Er hat sich, obwohl er die Musik Bergs und Stockhausens sehr schätzte, für die tonale Musik entschieden. Warum? Das bleibt ebenso sein Geheimnis wie eine Antwort auf die Frage, wie er überhaupt seinen spezifischen Kompositionsstil gefunden hat -- den hatte er schon sehr früh entdeckt; schon seine erste Theatermusik (das Streichquartett Company zum gleichnamigen Bühnenstück von Samuel Beckett) zeigt seine typische Handschrift. Anscheinend gab es für ihn da nie irgendwelche Zweifel, obwohl  ihn fast alle Musiker für verrückt erklärten und der Publikumserfolg ewig auf sich warten ließ. Man wüsste auch gern, was ihn, das Kind aus jüdischem Elternhaus, zum Buddhisten werden ließ. Man wird nie ganz den Eindruck los, Glass' Leben sei sowohl auf der künstlerischen wie auch auf der privaten Ebene ziemlich reibungslos verlaufen, obwohl man zwischen den Zeilen doch gelegentlich mitbekommt, dass es ganz so einfach nicht gewesen sein kann. Man merkt bei solchen Gelegenheiten, dass Glass das Buch tatsächlich selbst geschrieben hat; ein externer Biograph hätte bei manchen Fragen vermutlich tiefer gebohrt.


Um so interessanter sind dann aber die Stories, die Glass um seine großen Erfolge zu berichten weiß, Einstein On The Beach, Akhnaten und Satyagraha, die Filmmusik zu Koyaanisqatsi sowie seine Opern nach den Filmen von Jean Cocteau. Die kennt fast jeder, und Glass liefert hier jede Menge interessante Hintergründe über die Entstehung, die Zusammenarbeit mit Regisseuren, Dirigenten, Choreographen und Musikern und die Rezeption dieser Werke. 


Gegen Ende verliert sich Glass dann ein bisschen im Kleinteiligen. Das nimmt dem Buch aber nichts von seinem Wert. Anders als der Titel es sagt, enthalten die Worte dieser Autobiographie sehr viel Musik.


Philip Glass:
Words Without Music
Liveright Publishing, New York/London 2015
ISBN 978-0-87140-438-1




"Words Without Music is one of the most inspiring books I've  ever read", writes Laurie Anderson about this book. Well, you can overstate nearly everything, even blurbs.

But however, this book is worth reading. Pleasantly laid-back memoires, written by someone who knows exactly who he is. And he's allowed to do so, because Philip Glass worked hard and with endless patience for his success. A childhood in his father's record store in Baltimore, studies in Chicago. When he moved to New York City at the age of 19 -- and there was no other town that came into question for him -- to study composition at Juilliard School, his mother warned him that he would end up as his uncle Henry (no, the story won't be told here). Luckily it didn't turn out this way, but to survive as a composer, this man had to work at a steel mill, as a mover, as a plumber, as a NYC taxi driver and more. When he was able to make ends meet with his compositional work, he was over 40, had his own band and several musics for stage and dance theater in his bag. Although it had been possible, he never considered teaching, neither at a highschool nor at a university. And that's a probably good thing, given the fact that I know nearly no artist who didn't lose his creativity when accepting a chair.

A big part of the book consists in depictions of travels. Glass' travels lead him by train to India and Nepal; one of the people he met there was Ravi Shankar who made a big contribution to Glass' understanding of music. Here lies one of the weak points of this book: As adventurous as the travels and the many encounters might have been, we only learn that they happened. What it was that Philip Glass took home from these encounters remains often unclear. As he stresses a couple of times, his composition instructor in Paris, Nadia Boulanger, had a very big influence on him -- but what exactly it consisted in: He doesn't tell. During his studies in Chicago, Glass relatively early had to decide whether he wanted to go the twelve tone way or the "tonal" way. Although he liked the music of Berg and Stockhausen very much, he decided to go the way of tonality. Why? This remains his secret, as well as an answer to the question how he found his specific composition style -- he had developed it relatively early, already his first theater music (the string quartet Company for the stage play of the same name by Samuel Beckett) shows his typical hand. Apparently there was never any doubt for him, although nearly all musicians declared him silly and the success took an eternally long time to appear. One also would like to know what it was that made him, the child of Jewish parents, a Buddhist. There's always a bit of impression that Glass' life on the personal as well on the artistic track must have been rather smoothly, although between the lines it's visible sometimes that at times it wasn't that easy. These are the moments when it becomes obvious that Glass wrote this book really himself; an external biographer probably would have been a bit more pushy about some questions.

All the more interesting are all the stories that Glass has to tell about his big successes, Einstein On The Beach, Akhnaten, Satyagraha, the Koyaanisqatsi soundtrack and his operas based on the films of Jean Cocteau. Nearly everybody knows these musics, and Glass delivers lots of background info about the making, the work with directors, conductors, musicians, choreographers, and the reception of these works.

At the end the book trails away a bit into smallness. But that doesn't take anything away from its worth. Others than the title says its words have lots of music. 


Philip Glass:
Words Without Music
Liveright Publishing, New York/London 2015
ISBN 978-0-87140-438-1