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Tuesday, July 29, 2025

Tja ...

 

... schon ärgerlich, wenn man's auf der letzten Stufe nicht weiß.

Thursday, March 13, 2025

Kraftwerk, Pittsburgh 03-07-2025

 

 

Kraftwerk

Pittsburgh, Stage AE, March 7, 2025

 


 

(Scroll down for english translation) 

Gerade lese ich ein Interview mit Karlheinz Stockhausen, das er 2004 dem Schweizer Kunstkritiker und -kurator Hans Ulrich Obrist gegeben hat. Immer wieder staune ich, welch ein ungeheures Potenzial von Kreativität und künstlerischer Wachheit der Komponist noch drei Jahre vor seinem Tod, im Alter von immerhin 76 Jahren, zu vermitteln verstand. Bis zuletzt hat dieser Mann immer wieder neue Ideen produziert und neue Kompositionen vorgelegt, elektronische ebenso wie akustische. Und auch über die Live-Präsentation seiner Werke unter räumlichen Gesichtspunkten hat er stets nachgedacht. Das war ein Lebensthema für ihn -- an Gruppen sei erinnert, das drei Orchester im Konzertsaal verteilte und dabei die räumliche Anordnung und Interaktion der Instrumente zum Teil der Komposition machte. Es gab den elektronischen Gesang der Jünglinge, ein fünfkanaliges Werk: Vier Kanäle um das Publikum herum, ein fünfter kam von oben. Mit dem Architekten Fritz Bornemann entwarf Stockhausen ein kugelförmiges Rundum-Auditorium, das zur Expo 70 in Japan gebaut (und danach leider abgerissen) wurde. Oder Sternklang, das fünf teils akustische, teils elektronische Ensembles so weit voneinander entfernt in einer Parkanlage aufstellte, dass die sich gegenseitig gerade noch hören konnten. Das Publikum konnte zwischen den fünf Podien spazierengehen. Es gab Fresco, eine von Stockhausen so bezeichnete "Wandelmusik" für vier Orchestergruppen in mehreren Räumen eines Hauses. Der Opernzyklus LICHT spielte die räumlichen Ideen immer weiter durch, bis hin zu einem Streichquartett in vier fliegenden Hubschraubern. Es gab die achtkanalige Oktophonie, und die ebenfalls achtkanaligen Unsichtbaren Chöre, ebenso das letzte noch von Stockhausen selbst realisierte Werk Cosmic Pulses, in dem die präzise ausgetüftelte räumliche Positionierung und Bewegung von Klängen im Raum in eine Komplexität mündet, die (zugegeben) kaum noch differenziert durchhörbar ist.

An all das musste ich denken, als ich letzte Woche (zum neunten Mal seit 1971!) Kraftwerk auf der Bühne erlebt habe. Denn wenn irgendeine Band wirklich prädestiniert wäre, eine solche räumliche Platzierung und Bewegung von Klängen auf der Konzertbühne und dem Raum drumherum zu realisieren, dann wäre das Kraftwerk. Die Gruppe hat Vergleichbares mit einem 32-kanaligen 3D-Tonsystem namens "Wellenfeldsynthese" zumindest in Ansätzen schon gemacht. Lange Zeit auch wurden die Konzerte mit 3D-Projektionen verräumlicht, ihr letztes Jahr 50 gewordenes Superwerk Autobahn hat die Gruppe soeben als räumlichen Dolby-Atmos-Mix wiederveröffentlicht.

Ich hatte gehofft, die derzeitige "Multimedia"-Tournee der Band durch die USA und Kanada mit 32 Stationen würde irgendetwas in dieser Richtung bieten. Aber die Chance wurde leider nicht genutzt.

Stattdessen wurde die klassische Schuhschachtel-Anordnung präsentiert: Vorn die Musiker in den inzwischen bekannten illuminierbaren Neon-Anzügen vor ihren Pulten auf der LED-bestückten Bühne, hinter ihnen ein elektronischer Großbildschirm mit sehr guter Bildqualität, Lautsprecher links und rechts, eine Subwoofer-Batterie vor der Bühne. Geboten wurden "Greatest Hits", dazwischen auch einige eher selten gespielte Stücke ("Tango", "Ätherwellen").

 

 

 

Hier ist die Setlist:

  • Numbers / Computer World / Computer World 2
  • Home Computer / It's More Fun to Compute
  • Spacelab
  • Airwaves
  • Tango
  • The Man-Machine
  • Electric Café
  • Autobahn
  • Computer Love
  • The Model
  • Neon Lights
  • Geiger Counter
  • Radioactivity
  • Tour de France / Tour de France Étape 3 / Chrono / Tour de France Étape 2
  • La Forme
  • Trans-Europe Express / Metal on Metal / Abzug
Zugaben:
  • The Robots
  • Planet of Visions
  • Boing Boom Tschak / Musique Non Stop

 

 

Dass die Band sich von der 3D-Projektion verabschiedet hat, geht in Ordnung, ich habe sie nicht vermisst, zumal die dafür erforderliche Papp-Brille nach einiger Zeit auch lästig wurde. Auch die "live" auftretenden "Robot"-Kleiderständer sind nicht mehr dabei, sie finden nur noch auf der Projektionswand statt. Dieser Gag war nun auch wirklich allmählich abgeleiert. Interessant, nebenbei bemerkt, dass die Figuren im Film immer noch die Gesichter der früheren Bandmitglieder zeigen.

Kraftwerk ist bekannt für exzellente Soundqualität, und ich kann das aus eigener Erfahrung bestätigen. Was sie allerdings hier in der "Stage AE" klanglich anboten, war leider einfach Matsch. Die relativ kleine Halle war anscheinend einfach "über-equipped". Eine irre Lautstärke brachte sich überschreiende Höhen, überlagert von Bass-Impulsen der Subwoofer, die Tritten in die Magengrube gleichkamen. Ich habe im Laufe der Jahrzehnte viele Konzerte mit hohen und sehr hohen Lautstärken erlebt und überstanden. Dies war das erste Konzert, nach dem ich nicht sicher war, ob ich einen Trommelfellriss oder einen Hörsturz erlitten hatte und die Emergency aufsuchen sollte. Über Nacht hat sich die Sache wieder halbwegs normalisiert. Eine solche Soundkatastrophe sollte einem routinierten Mischpultmann nicht passieren. Und wenn das dann in der Lokalpresse noch als "Spitzensound" bezeichnet wird, dann frage ich mich, ob die Leute überhaupt noch einen Maßstab dafür haben, was in einem Popkonzert "guter Sound" bedeutet. Oder gilt es mittlerweile schon als solcher, wenn das Publikum von der Subwooferbatterie vor der Bühne nur massiv genug durchgeprügelt wird?

Oder sollten solche Fragen der Band mittlerweile egal sein? Es würde zum Gesamtbild des Abends passen: Etliche kleine Pannen (insbesondere der Neonanzüge) waren zu bemerken, die Lustlosigkeit der vier Herren, die kaum mal von ihren Pulten aufsahen, war ebenfalls nicht zu übersehen. Nach "Trans Europe Express" verließen sie die Bühne, kamen dann aber bereits nach wenigen Sekunden wieder zurück und begannen den Zugabenteil. 

Dem Publikum schien's weitgehend egal zu sein. Auffällig, aber natürlich kein Wunder, dass ein Generationenwechsel sich nunmehr deutlich abzuzeichnen beginnt. Die "Urfans" brechen allmählich weg, dafür wachsen zunehmend hippieske Fans im Highschool-Alter nach. Für sie allerdings scheint Kraftwerk nur noch eine Band unter vielen zu sein. Den historischen Background der Band kennen sie naturgemäß nicht mehr, für sie ist Kraftwerk ein Projekt der elektronischen Tanzmusikwelle. Auch die bei früheren US-Konzerten (Chicago, New York) immer anwesende Black Community, die man bei anderen Konzerten auch in Pittsburgh normalerweise sieht, war an diesem Abend anscheinend anderswo. Vielleicht aber auch nicht erstaunlich -- die Berührungen zwischen Kraftwerk und den schwarzen Musikszenen Detroits, Chicagos oder New Yorks liegen nun auch schon fast ein halbes Jahrhundert zurück; die damals entstandene Street Credibility Kraftwerks ist zwar noch nicht verflogen, aber für die heute aktive Musikergeneration annähernde Steinzeit.

Wer weiß, was Kraftwerk noch in petto hat. Mit größerer Experimentierlust der Band wird man wohl kaum noch rechnen dürfen, Ralf Hütter als letztes Urmitglied der Band geht nun immerhin auch schon auf die 80 zu. Ich denke ja, irgendwann wird sich die Band ganz in den virtuellen Raum zurückziehen. In Ansätzen (Electric Cafe) hat sie das ja schon gemacht, indem sie sich selbst in Gestalt von Wireframes präsentiert haben -- und damit endet auch heute noch jedes ihrer Konzerte. 

Wie auch immer, wer Kraftwerk noch nicht live gesehen hat, sollte die Gelegenheit nutzen. Irgendwann wird es sonst zu spät sein.

 



As it happens, I'm currently reading an interview with Karlheinz Stockhausen, which he gave to the Swiss art critic and curator Hans Ulrich Obrist in 2004. I'm continually amazed at the tremendous potential of creativity and artistic alertness the composer was able to convey just three years before his death, at the age of 76. This man never stopped producing new ideas and presenting new compositions, electronic ones as well as acoustic pieces. And he also constantly thought about the live presentation of his works from a spatial perspective. This was a lifelong theme for him -- think of Gruppen (Groups) which distributed three orchestras placed in the concert hall, making the spatial arrangement and interaction of the instruments a part of the composition. There was the electronic Gesang der Jünglinge (The Younglings' Song), a five-channel work: four channels around the audience, a fifth coming from the ceiling. With the architect Fritz Bornemann, Stockhausen designed a spherical, wrap-around auditorium that was built for the Expo 70 in Japan (and subsequently, sadly, demolished). Or Sternklang (Star Sound), which placed five partly acoustic, partly electronic ensembles in a park so far from each other that they were just able to hear each other. The audience could stroll between the five podiums. There was Fresco, Stockhausen called it a "Wandelmusik" (walking music) for four orchestral groups in several rooms of a house. The opera cycle LICHT (Light) explored spatial ideas even further, culminating in a string quartet in four flying helicopters. There was the eight-channel Oktophonie (Octophony), and the also eight-channel Unsichtbare Chöre (Invisible Choirs), as well as the last work Stockhausen himself could realize, Cosmic Pulses, in which the precisely crafted spatial positioning and movement of sounds in the venue culminates in a complexity that (admittedly) is barely distinguishable.

I was reminded of all this when I saw Kraftwerk on stage last week (for the ninth time since 1971!). Because if any band were truly predestined to realize such spatial placement and movement of sounds on the concert stage and in the surrounding space, it would be Kraftwerk. The group has already done something similar, at least in part, with a 32-channel 3D sound system called "Wave Field Synthesis." For a long time, their concerts were also spatialized with 3D projections; the group has just re-released their masterpiece Autobahn, which turned 50 last year, as a spatial Dolby Atmos mix. 
 
I had hoped the band's current 32-stop "multimedia" tour through the US and Canada would offer something along these lines. But unfortunately, the opportunity was missed. Instead, the classic shoebox setup was presented: At the front end, on stage, the musicians in their now-familiar illuminated neon suits, standing at their desks on the (now also) LED-equipped stage, behind them a large electronic screen with excellent picture quality, speakers on the left and right, and a subwoofer bank in front of the stage. The performance featured "greatest hits," interspersed with some less frequently performed pieces ("Tango," "Aetherwellen").

This was the setlist:

  • Numbers / Computer World / Computer World 2
  • Home Computer / It's More Fun to Compute
  • Spacelab
  • Airwaves
  • Tango
  • The Man-Machine
  • Electric Café
  • Autobahn
  • Computer Love
  • The Model
  • Neon Lights
  • Geiger Counter
  • Radioactivity
  • Tour de France / Tour de France Étape 3 / Chrono / Tour de France Étape 2
  • La Forme
  • Trans-Europe Express / Metal on Metal / Abzug

Encores:

  • The Robots
  • Planet of Visions
  • Boing Boom Tschak / Musique Non Stop

It's okay that the band has abandoned the 3D projection; I didn't miss it, especially since the cardboard glasses required for it became annoying after a while. The real "robot coat racks" are also no longer there; they now only take place on the projection screen. This gag was really starting to get a bit worn out. Interestingly, the characters in the film still show the faces of the former band members.

Kraftwerk is known for excellent sound quality, and I can confirm this from my own experience. Unfortunately, what they offered here in "Stage AE" was anything but that. The relatively small venue was apparently simply "over-equipped." A crazy volume produced distorted treble, overlaid with bass impulses from the subwoofers that were like kicks in the gut. Over the decades, I've experienced and survived many concerts with high and very high volumes. This was the first concert after which I wasn't sure whether I'd suffered a ruptured eardrum or sudden hearing loss and needed to seek emergency medical attention. Overnight, luckily things returned more or less to normal. But such a sound disaster shouldn't happen to an experienced mixing console operator. And when the local press calls it "top-notch sound," I wonder if people even have a standard anymore for what "good sound" means at a pop concert. Or does it now count as such when the audience in front of the stage is pounded hardly enough by the battery of subwoofers?

Or could it be that the band no longer cares about such questions? It would fit the overall picture of the evening: Several minor glitches (especially with the neon suits) were noticeable, and the listlessness of the four men, who barely looked up from their desks, was also obvious. After "Trans Europe Express," they left the stage, but then returned after just a few seconds and began the encore.

The audience largely seemed indifferent. Of course no surprise, that a generational shift is now beginning to be clearly visible. The old "original fans" are gradually disappearing, while a growing number of hippie-like high school-age fans are emerging. For them, Kraftwerk seems to be just another band among many. Naturally, they don't know the band's historical background; for them, Kraftwerk is mainly a project of the electronic dance music wave. Even the Black community, always present at Kraftwerk's previous US concerts (Chicago, New York), and usually seen at other concerts in Pittsburgh, seemed to be elsewhere that evening. Perhaps not surprising, though – the contacts between Kraftwerk and the Black music scenes of Detroit, Chicago, or New York date back almost half a century; Kraftwerk's street cred, which emerged back then, may not have vanished, but it's almost a Stone Age phenomenon for the generation of musicians active today.

Who knows what Kraftwerk has in store. One can hardly expect the band to be more experimental; Ralf Hütter, the last original member of the band, is now approaching 80. I think at some point the band will retreat entirely into the virtual world. They've already done this in some way (Electric Cafe) by presenting themselves in the form of wireframes – and that's how every one of their concerts still ends. 
 
However, anyone who hasn't seen Kraftwerk live yet should take advantage of the opportunity. At some point it will be too late.
 

Saturday, July 27, 2024

Friday, July 19, 2024

Frumpy & Kraftwerk 1971

 

 

Concert poster, 1971

Seen in a record store in Dortmund

(Photo by Michael Engelbrecht)

Tuesday, May 28, 2024

Unter Kraftwerks Einfluss

(Scroll down for English version)

 

Vor einigen Wochen habe ich in einer "Elektro Beats"-Sendung des RBB im Gespräch mit Olaf Zimmermann gesagt, der Einfluss Kraftwerks auf die amerikanische Musikszene werde in Deutschland gern ein bisschen überschätzt. Das führte zu einem spürbar aufgeregten Protest eines Hörers und einem daraus folgenden kleinen Email-Pingpong. Meine (leicht nachbearbeitete) Antwort auf seine letzte Message stelle ich nun auch hier in den Blog, just for fun -- vielleicht interessiert sie ja jemanden.

Lieber M., ich bitte Dich, bei dem zu bleiben, was ich in der Sendung gesagt habe: dass man in Deutschland den Einfluss Kraftwerks auf die amerikanische Musikszene gern ein bisschen überschätzt. Nicht mehr und nicht weniger.

Wenn Du ein paar Jahre hier in den USA lebst, dann merkst Du, dass es hier keine Rolle spielt, was in Deutschland passiert oder was Deutschland zu irgendeiner Angelegenheit meint. Wie oft lese ich in der deutschen Presse oder in deutschen FB-Kommentaren, "das Ausland" würde sich mal wieder über diese bekloppten Deutschen kaputtlachen oder nur noch den Kopf schütteln -- die Wahrheit ist aber, dass Deutschland in der New York Times mit viel Glück auf Seite 5 in einer viertel Randspalte vorkommt. Wenn Du hier irgendwen auf der Straße fragst, wer der deutsche Bundeskanzler ist, wird das der eine oder andere mal gehört haben, aber wer die deutsche Außenministerin ist, weiß hier kein Mensch. Mit Kraftwerk ist das nicht anders. Eher kennen die Leute Giorgio Moroder oder Hans Zimmer, aber die leben ja hier.

Dieser Spruch "More influential than the Beatles", auf den Du mich hinweist, ist erstens uralt, stammt, glaube ich, aus der Los Angeles Times, und war zweitens schon immer unsinnig. Woran wird denn das gemessen? Der Spruch vergleicht in geradezu klassischer Weise Äpfel mit Birnen, ohne dass es irgendeine empirische Möglichkeit gibt, den Einfluss zu messen. Was, konkret, soll es denn gewesen sein, das Kraftwerk in die amerikanische Musikszene eingebracht hat, das es nicht zumindest im Entwicklungsstadium hier schon gab? Also lass uns das mal unter PR abheften.

Aber wenn Du mir nicht glaubst, dann lass mich auf zwei Bücher hinweisen, die Du vielleicht glaubwürdiger findest. Das erste ist von Will Hermes und heißt "Love Goes to Buildings on Fire" (ich nehme an, Du kannst den Titel einordnen). 

 

Hermes schildert die Entwicklung der New Yorker Musikszene vom Punk bis zum HipHop, und das sehr kompetent, detailliert und liebevoll. Kraftwerk kommt darin genau zweimal vor, die Nennungen beziehen sich auf Trans Europe Express, und auch da nur auf das Titelstück, nicht auf den Rest des Albums. Der DJ Afrika Bambaataa hat das Stück für sich entdeckt, weil es sich exzellent in das einfügen ließ, was er und andere bereits machten (die Wurzeln dessen habe ich Dir früher schon genannt -- u.a. den Motown- und Stax-Soul und den elektrischen Miles Davis). Dadurch wurde das Stück eine Zeitlang zu einer Art "Dance Music Template" bei New Yorker DJs, die das Stück, besonders den "Metall auf Metall"-Teil immer wieder spielten. Grandmaster Flash zum Beispiel hat das Stück fest in seine Shows eingebaut, aber unverändert und ohne DJ-technisch irgendwas damit anzustellen. Von da aus ging es dann u.a. nach Detroit. Blondie, die Du erwähnst, haben es live auch eine Zeitlang in ihre Shows eingebaut als eine Art Teppich, auf dem sie eigene Sachen spielten.

Das war's aber dann im wesentlichen. Es haben sich einfach Wege zu einem bestimmten Zeitpunkt überkreuzt. Kraftwerk ist danach seinen Weg weitergegangen, und die HipHop/House-Szenen sind ihren Weg ebenso weitergegangen. Die letztere war dabei vorrangig angetrieben durch die ständigen neuen Produkte der Musikelektronikindustrie. Schon Kraftwerks auf TEE folgendes Mensch-Maschine-Album war ja ein völlig anderes Ding, auch wenn die Kraftwerker so clever waren, die Platte von Leanard Jackson, dem Assistenten des alten Motown-Veteranen Norman Whitfield, abmischen zu lassen (wobei ich Jacksons Einfluss nicht wirklich heraushöre).

Und nochmal: Ich rede von den USA, nicht von England -- da sah es anders aus mit Kraftwerks Einfluss.

Das zweite Buch hast Du ja vielleicht schon selbst entdeckt, das Kraftwerk-Buch von Carsten Brocker


Das ist eine Dissertation, sie zu lesen ist harte Arbeit. Lohnt sich aber in unserem Zusammenhang, denn Carsten ist selbst Musiker (er spielt bei Alphaville) und analysiert gründlich und bis in kleinste Details hinein, was von Kraftwerk sowohl technisch wie musikalisch und zeitlich in die House- und HipHop-Szene eingegangen ist. Er kommt nach vielen Seiten und Exkursen letztlich zu dem selben Schluss wie ich, nämlich dass das alles so gewaltig nicht war.

Jetzt kannst Du Dir noch den Spaß gönnen, den ich mir gerade gegönnt habe, nämlich mal das Web zu durchforsten, welches eigentlich die meistgesampelten Platten in House und HipHop sind. So leid es mir tut, Kraftwerk taucht erst unter ferner liefen auf.

Und nun nochmal, damit es klar ist: Das alles heißt nicht, das Kraftwerk hier in den USA nicht seine Fans hat. Ich würde auch jedem, der sie noch nicht gesehen hat, empfehlen, sie sich nicht entgehen zu lassen. Kraftwerk ist ein absolut solitäres Projekt. Aber was man wirklich von ihnen hier in Erinnerung hat, sind die Roboter in den roten Hemden und schwarzen Krawatten. Die bekommen bei ihrem Erscheinen auf der Bühne noch immer mehr Beifall als die eigentlichen Musiker.

Damit dann auch schöne Grüße an den von Dir wegen seiner Bundestagsrede erwähnten König Charles, der Kraftwerk offenkundig auch kennt. Aber klar, er ist ja Engländer.

 

 

Under the Influence of Kraftwerk

 

A few weeks ago, in an "Elektro Beats" broadcast on RBB, I said in a conversation with Olaf Zimmermann that people in Germany tend to overestimate Kraftwerk's influence on the American music scene. This led to a noticeably agitated protest from a listener and a small email ping-pong that followed. I'm now putting my (slightly edited) answer to his last message here in my blog, just for fun -- maybe somebody is interested in it.

Dear M., I ask you to stick to what I said in the broadcast: that people in Germany tend to overestimate Kraftwerk's influence on the American music scene. Nothing more, nothing less.

If you live here in the U.S. for a few years, you'll notice that it doesn't matter here what happens in Germany or what Germany thinks about any issue. How often do I read in the German press or in German FB comments that "foreign countries" are laughing their heads off at these crazy Germans or are just shaking their heads -- but the truth is that with a lot of luck, Germany will appear in the New York Times on page 5 in a quarter of a column. If you ask anyone on the street who the German Chancellor is, one or two people might be able to name him, but no one here knows who the German Foreign Minister is. It's no different with Kraftwerk. People are more likely to know Giorgio Moroder or Hans Zimmer, but yes: These two live here.

This saying "More influential than the Beatles" that you're referring to is, firstly, ancient, I think it comes from the Los Angeles Times originally, and secondly, it has always been nonsense. How can you measure it? This phrase compares apples with oranges in a classic way, without there being any empirical way of measuring "influence". What exactly did Kraftwerk bring to the American music scene that wasn't already here, at least in development? So let's file that under public relation.

But if you don't believe me, let me point you to two books that you might find more credible. The first is by Will Hermes and is called "Love Goes to Buildings on Fire" (I assume you can place the title).

 

Hermes describes the development of the New York music scene from punk to hip hop very competently, in detail and with love. Kraftwerk appears exactly twice in it, the mentions refer to Trans Europe Express, and even then only to the title track, not to the rest of the album. DJ Afrika Bambaataa discovered the piece for himself because it fit in excellently with what he and others were already doing (I already told you the roots of this earlier: It included Motown and Stax soul as well as the electric Miles Davis). As a result, the piece became a kind of "dance music template" for a while for New York DJs, who played it over and over again, especially the "Metal on Metal" part. DJ Grandmaster Flash, for example, incorporated the piece into his shows, but unchanged and without doing anything with it in terms of DJing. From there it went to Detroit, among other places. Blondie, who you mentioned, also incorporated it into their shows live for a while as a kind of carpet on which they played their own stuff.

But that was essentially it. Paths simply crossed at a certain point in time. Kraftwerk then went on its way, and the hip hop/house scenes went on their way as well. The latter was primarily driven by the constant new products of the music electronics industry. Kraftwerk's Man Machine album, which followed TEE, was a completely different thing, even if the Kraftwerkers were clever enough to have the record mixed by Leanard Jackson, the assistant of the old Motown veteran Norman Whitfield (although I don't really hear Jackson's influence).

And again: I'm talking about the USA, not England -- things were very different there with Kraftwerk's influence.

You may have already discovered the second book yourself, the Kraftwerk book by Carsten Brocker.


This is a doctoral thesis, reading it is hard work. But it's worth it in our context, because Carsten is a musician himself (he plays with Alphaville) and analyzes thoroughly and in the smallest detail what Kraftwerk has brought to the house and hip hop scene, both technically and musically as well as in terms of time. After many pages and digressions, he ultimately comes to the same conclusion as me, namely that the influence wasn't all that big.

Now, if you want to, you can treat yourself to the fun that I just treated myself to: to search the web to find out which are actually the most sampled records in house and hip hop. I'm sorry, Kraftwerk only appears in the background.

And now again, just to be clear: All of this doesn't mean that Kraftwerk doesn't have fans here in the U.S. I would also recommend that anyone who hasn't seen them yet shouldn't miss them. Kraftwerk was and still is an absolutely unique project. But what people really remember about them here are the robots in the red shirts and black ties. When they appear on stage, they still get more applause than the actual musicians.

And now best wishes to King Charles, whom you mentioned because of his speech to the Bundestag. He obviously knows Kraftwerk too. But of course, he's English.



Monday, February 5, 2024

Jetzt beim Buchhändler Ihres Vertrauens ...

 

 

... oder direkt beim Verlag:

Die Geschichte von Kraftwerks „Autobahn“

Auch wenn sich manche nur an den eingängigen Refrain „Wir fahr‘n, fahr‘n, fahr‘n auf der Autobahn“ erinnern mögen, so war das Album im Jahre 1974 ein klarer Bruch mit der damaligen deutschen Musik und geradezu revolutionär.

Pünktlich zum Jubiläum widmet Jan Reetze dieser wegweisenden Platte nun ein ganzes Buch und nimmt uns mit auf eine Reise durch die Geschichte des Albums.

 

Thursday, June 23, 2022

Heute abend: Kraftwerk

 

Manhattan, Radio City Music Hall, 17. Juni 2022. Seit acht Jahren nicht mehr in den USA gewesen, die für 2020 geplante Jubiläumstour wegen Covid verschoben, aber jetzt sind sie da: Kraftwerk. 1971 sah ich sie zum ersten Mal live, seinerzeit in der Hamburger "Fabrik" vor vielleicht 50 Zuschauern, die ebensowenig wie ich oder die Band selbst eine Vorstellung davon hatten, was aus diesen Typen einmal werden würde. Damals mussten sie ihre eher bescheidene Anlage noch selbst aufbauen, heute stehen drei Trucks vor der Halle und die transportable Bühne ist speziell für die Band designt.

"Sold out" sagt das Billboard. Das stimmt wohl nicht ganz, links und rechts sind noch freie Plätze zu sehen, wenn auch nicht viele. Die längste Schlange im fast kathedralartigen Foyer dieser wunderbaren Halle mit Zwanziger-Jahre-Touch steht interessanterweise nicht vor dem Getränke-, sondern bereits eine knappe Stunde vor Konzertbeginn vor dem Merchandise-Stand.

 


Ich habe Kraftwerk im Laufe der Jahre nun achtmal gesehen, mit wirklichen Überraschungen war nicht zu rechnen, und es kommen auch keine. Das Konzert beginnt mit dem üblichen elektronischen Wimmelsound, zwölf Minuten lang, dann der bekannte elektronische Spruch: "Meine Damen und Herren, Ladies and Gentlemen, heute abend die Mensch-Maschine Kraftwerk". Nachdem vor acht Jahren der Auftritt mit "The Man Machine" begann, hat man sich diesmal wieder für "Nummern" entschieden, wie man es schon 1981 gemacht hat. Nur gab es damals noch nicht die 3-D-Projektion, und die heute synchron zur Musik quer durch den Saal fliegenden Ziffern packen einen dann doch. Besonders eine Viertelstunde später, als zu "Spacelab" ein Satellit mitten im Raum zu stehen scheint und auf der Leinwand ein Raumschiff vor der Radio City Music Hall landet. Auch wenn man das alles schon gesehen hat: Es funktioniert. Der 3-D-Effekt wird teils sehr plakativ, teils aber auch recht subtil eingesetzt und trägt eine Weile, lässt dann aber nach. Kraftwerk geht es nicht anders als den vor einigen Jahren etablierten 3-D-Kinos: Der Effekt ist nett, ersetzt aber die künstlerische Substanz nicht.

 


Kraftwerk hat keine neuen Stücke im Programm, und ich bin sicher, dass wir auch keine mehr erleben werden. Ralf Hütter hat sich auf das 1-2-3-4-5-6-7-8-Schema festgelegt, für eine 9 ist da kein Platz mehr. Die Band spielt "Greatest Hits", wie immer mit subtilen Veränderungen der Arrangements, Hütter greift wie immer ein paarmal die falschen Tasten, seine Stimme ist inzwischen hörbar gealtert (der Mann ist 75, dafür bewegt er sich noch sehr munter), und was die drei anderen Herren an ihren Pulten machen, bleibt wie immer ein Rätsel. Auch die mit den Armen rudernden "Roboter" haben ihren Auftritt. Auf geheimnisvolle Weise werden sie im Strobelight aus dem Boden hochgefahren, und alle Smartphones leuchten auf:


Das gibt der Band die Gelegenheit, für ein paar Minuten von der Bühne zu verschwinden -- "pee break" nennen das die Amerikaner, schließlich sind die Jungs alle nicht mehr die Jüngsten. Das Ganze endet nach rund zwei Stunden mit dem "Taschenrechner" als Zugabe

 


und der "Music Non Stop"-Routine, die man schon lange kennt: Jeder der Vier hat ein kurzes Solo, nacheinander gehen sie mit einer Verbeugung von der Bühne ab -- Ralf Hütter als Letzter, für ihn erhebt sich das gesamte Publikum von den Sitzen.

Was kann man sagen? Die Musik von Kraftwerk ist zeitlos, nicht zuletzt, weil sie immer wieder aktualisiert wurde, ohne dass die Substanz verloren gegangen wäre. Lediglich "Trans Europa Express" und "Neon Lights", früher zwei ihrer stärksten Stücke, hängen heute ein bisschen flach in den Seilen, "Autobahn" ist mehr als nötig gekürzt worden. Ein erstaunlich diszipliniertes Publikum, die meisten Zuschauer 40+, einige hatten ihre Kinder mitgebracht. Ein wunderbarer Abend, schönster Retrofuturismus mit leichtem Augenzwinkern, einzig der Sound war nicht ideal, obwohl Kraftwerk eigentlich gerade dafür bekannt ist -- der Bass glich einer Herzmassage und überlagerte etwas unbalanciert die latent verwaschenen Mitten. In der zweiten Hälfte des Konzertes besserte sich dies ein wenig. Einige eingestreute Quadro-Effekte waren wahrnehmbar, gingen aber irgendwie unter, ebenso hatten einige Teile der Projektion Doppelkonturen, die sicher nicht beabsichtigt waren, aber das mag meinem Platz zuzuschreiben sein.

Wer weiß, ob es ein neuntes Mal geben wird.

 


(Dieser Post erschien erstmalig auf manafonistas.de)

Saturday, July 11, 2020

Kraftwerk: The Ultimate Music Guide

Ich habe die 124 Seiten dieses englischsprachigen Uncut-Sonderheftes nicht von der ersten bis zur letzten Seite durchgelesen. Ich kenne die Band seit ihrem ersten Album von 1970, und es gibt ganz sicher nicht mehr viel, das mich an ihrer Geschichte noch überraschen könnte. Der Hypesticker "50 Jahren!" gleich auf der Titelseite ist natürlich zum Schmunzeln. Ärgerlicher wären aber Fehler inhaltlicher Art, und solche sind mir im Heft nicht aufgefallen. Die Beiträge sind von diversen Autorinnen und Autoren geschrieben und durchweg sauber recherchiert, die Dokumentation bei Uncut scheint besser zu funktionieren als Google-Translate. Schade ansonsten, dass das Corona-Virus die US-Tour zum 50-jährigen Jubiläum der Band verhindert hat (ich hatte mich schon auf New York gefreut).

Es wird in diesem Heft die Entstehungsgeschichte jedes einzelnen Kraftwerk-Albums geschildert, auch jene der ersten drei, die Ralf Hütter heute nicht mehr für präsentationswürdig hält, ebenso auch jene des pre-Kraftwerk-Albums Tone Float, als die Band noch Organisation hieß. Das war noch wirklicher Krautrock, schon damals allerdings exzellent produziert von Conny Plank, der es auch irgendwie schaffte, das Album an die englische RCA zu verkaufen. In Deutschland war es nur als Import zu haben, aber das fiel nicht weiter auf, weil es eh niemand haben wollte. Erst als Kraftwerk weltbekannt war, verkaufte es sich als Bootleg ganz ordentlich.

Die Gesamtperspektive ist britisch. Die Darstellungen der Alben beziehen sich zunächst immer auf die englischen Ausgaben mit den entsprechenden Covern, Kritiken geben den englischen, gelegentlich auch den amerikanischen Standpunkt wieder. Jeder Albumtrack wird mit einer Fünf-Sternchen-Wertung beurteilt, wobei weniger als drei anscheinend nicht vorkommen. Auch die Singles werden aufgelistet und vorgestellt, desgleichen wird auf die verschiedenen Bühnenpräsentationen eingegangen. Für Sammler interessant sind sicherlich auch die aufgeführten Bootlegs, deren Nennung allerdings nicht annähernd vollständig ist, und für mein Gefühl sind es auch nicht die besten. Florian Schneiders Hinschied konnte nicht mehr berücksichtigt werden. Im übrigen ehrt es die Redaktion, das letzte Wort dem frühen Kraftwerker Eberhard Kranemann überlassen zu haben.

Was man nicht erwarten sollte: eine ernsthaft kritische Auseinandersetzung mit dem Werk der Band oder eine wirklich systematische Einordnung ihrer Musik in den popmusikalischen Kanon. Kraftwerk hat ein etabliertes Image, und bis in die Auswahl der Hütter-Zitate hinein wird an diesem Lack nicht gekratzt. Wunde Punkte -- wie etwa das unglückliche Ende der Ära Conny Plank -- werden nicht angetastet. Auch die gelegentlich konfuse Veröffentlichungspolitik der Band wird nie in Frage gestellt.

Wen diese Einschränkungen nicht stören und wer die Geschichte von Kraftwerk noch nicht oder nur bruchstückhaft kennt, kann die 8.99 Pfund für dieses Heft unbesorgt investieren. Als Übersicht ist es sein Geld wert. Wer die offizielle Kraftwerk-Geschichtsschreibung allerdings schon kennt, erfährt hier nichts Neues.

Monday, May 11, 2020

Florian Schneider-Esleben 1947-2020





I discovered Kraftwerk in 1970 when I spotted their first album in a shop window. The cover hooked me. I thought: If this record sounds as it looks, it must be great.

It was. For many years, Kraftwerk became one of the leading melodies of my life. I always thought: If I had to find a sound that represents now, then it should be like this. And then, when Kraftwerk came out with a new album, it sounded exactly like this. This worked until the 1990s. I lost a bit the plot about Kraftwerk then, but the band was still there and still unique.

And they are the only band I saw seven times on stage, between 1971 and 2014.

Bye bye, Florian!

Wednesday, September 20, 2017

Karl Bartos: Der Klang der Maschine




(Scroll down for English version!)

In Wirklichkeit heißt der Mann also Karlheinz. Zu Herrn Karl wurde er erst, als es darum ging, seinen Namen für die Kraftwerk-Bühne in Neonrohr zu biegen: Da ist Karl eben nur halb so teuer wie Karlheinz.

Wenn das alles wäre, was man aus der soeben vorgelegten Autobiografie des Musikers Karl Bartos erfahren würde, wären 600 Seiten ein bisschen viel. Aber man erfährt doch eine ganze Menge mehr. Um falschen Erwartungen vorzubeugen, sollte man sich zunächst klarmachen, dass dies die Autobiografie Karl Bartos' ist, nicht die Story von Kraftwerk -- die nimmt zwar den größeren Teil des Buches ein, und sie klebt, wie er selbst sagt, wie ein Schatten an ihm, aber sie ist nicht sein ganzes Leben.

Karl Bartos, geboren in Berchtesgaden, aufgewachsen in Düsseldorf, heute in Hamburg lebend, ist ausgebildeter klassischer Perkussionist, der in Schlager- und Tanzbands ebenso gespielt hat wie im Opernorchester. Zur Abschlussprüfung spielte er Gary Burtons nur scheinbar unauffällige Solokomposition "The Sunset Bell" -- aber wer das Werk mal konzentriert gehört hat, wird ungefähr einordnen können, auf welchem spielerischen Niveau er sich da bewegt. Kraftwerk war denn zunächst auch nicht mehr als ein Job unter diversen, bis ihn die Kraftwerker ultimativ aufforderten, exklusiv für sie zur Verfügung zu stehen (man könne schließlich nicht gleichzeitig für Mercedes und BMW arbeiten). Dass sie ihn damit zu einem Unternehmer machten, der nur einen einzigen Kunden haben durfte, fiel ihm wohl selbst erst später auf -- dann allerdings umso unangenehmer, denn klare Absprachen oder Verträge gab es nie. Jahrelange Rechtsstreitigkeiten folgten auf dem Fuße.

Aber das ist ein Vorgriff. Bartos schildert zunächst mal seine Jahre mit Kraftwerk, die die Alben von Radioaktivität bis Electric Cafe umfasst. Man lernt Titel für Titel die Arbeitsweise der Gruppe kennen, die "Writing Sessions", und seinen eigenen steigenden Anteil daran. Er war weit mehr als nur "der Drummer". Wer Bartos' spätere Soloplatten kennt, kann seine Handschrift auch bei Kraftwerk ohne große Schwierigkeiten heraushören. Als Co-Autor genannt zu werden ist ihm schließlich gelungen; später sogar -- was ich nicht wusste -- haben ihn Ralf und Florian auch an den Plattenverkäufen beteiligt.

Man erfährt, dass das Radio-Aktivität-Album auf einer geliehenen Achtspurmaschine aufgenommen wurde und Trans Europa Express in den angesagtesten Studios der USA gemischt, die Mischung dann aber doch verworfen wurde, weil sie zu amerikanisch klang. Zu den interessantesten Teilen des Buches gehört das jahrelange Drama um das Electric Cafe-Album. Das begann schon damit, dass die EMI die Platte unabgesprochen angekündigt hatte und daraufhin überstürzt die "Tour de France"-Single veröffentlicht wurde. Dass das Album dann jahrelang nicht fertig wurde, lag daran, dass die Gruppe ihr Equipment auf digitale Technologie umstellte, was einen Umbau nicht nur des Studios bedingte, sondern -- und das war der eigentliche Knackpunkt -- die bis dahin praktizierte Arbeits- und Kompositionsweise unmöglich machte. Diese nämlich beruhte auf unmittelbarer Kommunikation im Studio. Durch die Digitaltechnik war plötzlich jeder der Musiker auf sich selbst bezogen, und die Band fand keinen Weg, damit umzugehen. Es stellte sich heraus, dass Musik nicht zwangsläufig dadurch besser wird, dass man einfach das jeweils modernste Equipment verwendet. Es gibt wichtigere Faktoren, zu denen sie aber den Rückweg nicht mehr fanden.

Karl Bartos verließ die Band während der Arbeit am Mix-Album, weil er schlicht nichts mehr zu tun hatte. Bezeichnend ist das Unverständnis, das ihm dafür von Hütter und Schneider entgegenschlug. Und es spricht für ihn, dass er das Buch nie dazu nutzt, irgendwelche Schmutzwäsche zu waschen, obwohl der Frust nicht selten zwischen den Zeilen steht. Und auch viele Fans nahmen ihm seinen Weggang übel. Das zum Teil wirklich widerliche Bartos-Bashing jedenfalls, das in einigen Kraftwerk-Foren im Internet bis heute losbricht, wenn nur sein Name erwähnt wird, spricht Bände. Aber das ist nur ein Teil der Fans; die meisten wissen seinen Anteil an der Gruppe sehr wohl einzuordnen.

Nach seinem Weggang machte Bartos zunächst die unangenehme Erfahrung, dass etliche Türen, die ihm als Mitglied von Kraftwerk stets geöffnet worden waren, jetzt verschlossen blieben. Es ist interessant zu lesen, wie er sich dann doch irgendwie mit der Situation arrangierte, bis heute. Mehr erfahren hätte ich gern über seine Gastprofessur an der UdK in Berlin, aber da bleibt es bei wenigen Seiten.

Bartos ist kein professioneller Autor, dennoch liest sich das Buch gut und flüssig. Gelegentlich hätte man ihm ein besseres Lektorat gewünscht (falsch geschriebene Namen, gelegentliches überflüssiges Namedropping und die eine oder andere Stilblüte wären so vermeidbar gewesen), aber das ist Kleinkram. Gelegentlich verbleibt die Autobiografie mir ein bisschen zu sehr im rein Beschreibenden, ein bisschen mehr analytische Tiefe hätte an manchen Stellen nicht geschadet. Während die 1999 erschienene Autobiografie von Wolfgang Flür mir über weite Strecken eher "wishful thinking" gewesen zu sein schien, liest man Bartos' Buch aber auf jeden Fall mit Gewinn.

Karl Bartos:
Der Klang der Maschine.

Köln 2017
ISBN 978-3-8479-0617-9


Diese Besprechung erschien zuerst in manafonistas.de



So now we know that in reality this guy's name is Karlheinz. It changed into Karl not before his name was bended into a neon pipe for the Kraftwerk stage. Which is quite understandable: Karl is only half as expensive as Karlheinz.

If that would be all we could learn from the autobiography musician Karl Bartos just presented, 600 pages would be a bit too much. But we can learn several more things. And to avoid wrong expectations, you should see that this is the autobiography of Karl Bartos, not the story of Kraftwerk -- which, of course, takes the major part of the book and, to use his own words, sticks with him like a shadow. But it isn't his whole life.

Karl Bartos, born in Berchtesgaden, Bavaria, grown up in Düsseldorf, now living in Hamburg, is a skilled classical percussionist who played with schlager- and dance bands as well as in an opera orchestra. For his graduation at conservatory, he played Gary Burton's seemingly inconspicious solo composition "The Sunset Bell" -- but when you listen to it carefully, you will surely realize the high level of his vibraphone techniques. Consequently, Kraftwerk was not more than one job among several, until the Kraftwerkers asked him ultimately to be available exclusively for them (nobody could work for Mercedes and BMW, was their argument). They made him an entrepreneur this way who was allowed to have only one customer. But this probably occurred to him much later -- but then even more displeasing because there were no contracts and no clear agreements. Long lasting lawsuits followed immediately then.

But first, Bartos describes his years with Kraftwerk, which include the years from Radio Activity to Electric Cafe. Track by track we learn about they way the band worked, the "writing sessions" and his increasing part in them. He was far more than "just the drummer". Everybody who knows his later solo records is easily able to recognize Bartos' fingerprints in the music of Kraftwerk. Finally he was able to be mentioned as co-composer; later -- which was new to me -- Ralf and Florian ceded a share on the record sales to him.

We learn that the Radio Activity album was recorded on a borrowed 8-track tape recorder and Trans Europe Express was mixed at the hippest studios in the U.S., but the mix was dropped because it sounded too american. One of the most interesting chapters in the book is the long lasting drama of the Electric Cafe album. This started already with the mistake that EMI announced this record without asking Kraftwerk in advance, so the "Tour de France" 45 got a rushed release. The reason that the album got not finished was mainly their decision to change the studio equipment to digital devices. For this reason the whole studio had to be rebuilt, and -- this was the main problem -- the way Kraftwerk used to work and compose didn't work no longer. It was based on direct communication in the studio, but the digital technology set every musician back to only himself, and the band was not able to find a way out of this dilemma. They had to learn that it's not only the latest equipment that makes the music bloom, there are more important criteria, but they didn't find the way back to them. 

Karl Bartos left the band during their work on the Mix album, simply because there was nothing for him to do anymore. Hütter's and Schneider's inability to understand this decision is significant. But it speaks in his favor that he never uses his book to wash his dirty laundry in public, although the frustration sometimes is visible "between the lines". Also a lot of fans held his leaving against him. The sometimes really obnoxious "Bartos bashing" that still today breaks out in some online Kraftwerk forums on the web when only his name is mentioned speaks volumes. But that's only a part of fans. Most of them are well able to rate Karl's part in the group.

After his leaving, Bartos made the unpleasant experience that several doors that were always open for him as member of Kraftwerk now remained shut. It's interesting to read how he was able to come into terms with his new situation, up to the present day. I would have liked to know more about his visiting professorship at the University of Arts (UdK) in Berlin, but he offers not more than a couple of pages about this.

Bartos is not a professional writer, but anyways, the book is well written. Sometimes I would have wished him a better editing (some misspelled names, some useless namedropping, some bloopers could have been avoided this way), but that's not a big thing. Sometimes the autobiography remaines a bit to much in the pure description, a bit more analysis would have been nice. But while Wolfgang Flür's autobiography from 1999 seemed to be more "wishful thinking" that fact, Bartos' book is really worth the read.

Currently the book is available only in German language. Surely an English version will follow soon.


Karl Bartos:
Der Klang der Maschine.

Cologne 2017
ISBN 978-3-8479-0617-9


Sunday, July 16, 2017

Kraftwerk: 3-D Catalogue




Acht CDs liegen da vor einem, jede davon verpackt in einem grafisch exzellent gestalteten aufklappbaren Pappcover, und dazu noch ein 16-seitiges Gesamtbooklet.

Ob man so ein Paket braucht, kann nur jeder für sich entscheiden. Was man bekommt: sozusagen The Mix 2, diesmal aber das gesamte Repertoire von Kraftwerk von Autobahn bis Tour de France Soundtracks umfassend. Die Aufnahmen sind angeblich Live-Mitschnitte. Überprüfen lässt sich das nicht, da an keiner Stelle Publikum zu hören ist. Sicher ist lediglich, dass die CDs die Stücke so wiedergeben, wie Kraftwerk sie heute auf der Bühne präsentiert. Es ist nicht ganz unwichtig, das zu betonen, weil Hütter und seine Mitstreiter ihr Repertoire über die Jahre hinweg immer wieder variiert, neu arrangiert und umgestellt haben, und die Unterschiede sind zum Teil beträchtlich. So waren z.B. die "Autobahn"-Motorengeräusche auf dem originalen Album von 1974 synthetisch nachgestellt, was ihren eigentlichen spielerischen Charme ausmachte. Auf der "Autobahn"-Version vom Mix-Album (1991) ging dieser Charme verloren, weil man die Motorengeräusche durch gesampelte Originalklänge ersetzt hatte. Das sieht die Band inzwischen anscheinend selbst so, deswegen sind nun wieder die synthetischen Imitationen da, der Beat allerdings ist der von 1991.

Generell fällt auf, dass gegenüber den Aufnahmen aus der Mix-Ära die Rhythmik verändert wurde und sehr viele Samples aus den Originalaufnahmen integriert wurden, und in fast allen Fällen hat sich das gelohnt. Da etliche der Stücke über die Jahre hinweg kräftig eingekürzt und einige der Tracks zu Medleys zusammengefasst wurden, sind einige der CDs erstaunlich kurz geraten. Autobahn beispielsweise besteht, obwohl alle der ursprünglichen fünf Originaltitel verarbeitet wurden, nur noch aus zwei Tracks und dauert 26 Minuten. Trotzdem ergibt es Sinn, dass jedes Album wieder eine eigene CD ist, denn alle Kraftwerk-Alben waren in sich geschlossene Werke und sollten das auch bleiben.

Es lässt sich schwer sagen (weil subjektive Einschätzung), ob die neuen Fassungen "besser" oder "schlechter" als die Originale sind. Klanglich sind sie kristallklar und streckenweise im Bassbereich durchschlagend. Manche Tracks sind mir ein bisschen zu kirmeshaft geraten, andere erinnern an den Alleinunterhalter auf Hochzeitsfeiern, andere sind sehr gelungen. Ich für meinen Teil würde in den Fällen Autobahn, Radio-Aktivität, Trans Europa Express und Computerwelt die Originale bevorzugen, in anderen Fällen hält es sich die Waage; im Fall Tour de France Soundtracks hat die neue Version sogar deutlich gegenüber dem Originalalbum von 2003 gewonnen.

Besonders interessant ist die CD 7, die das Repertoire des Mix-Albums plus die "Planet of Visions"-Single enthält. Diese Scheibe ist nämlich in Headphone-3D abgemischt. Dass Kraftwerk live oftmals mit dem Wellenfeldsynthese-Verfahren arbeitet und dadurch ein Klangerlebnis bietet, dass das Publikum von allen Seiten mit 32 Tonkanälen einschließt, wird mit diesem Verfahren für ganz normale Kopfhörer simuliert. Das erinnert ein bisschen an Kunstkopf-Stereophonie, wie sie etwa Can oder Tangerine Dream schon in den 70er Jahren geboten haben, beruht nun allerdings auf einer elektronischen Simulation des Kunstkopfes. Das funktioniert tatsächlich, klingt im Kopfhörer sehr gut, über Lautsprecher allerdings funktioniert es nicht vernünftig (wie damals schon Kunstkopfaufnahmen).

Die ersten drei Alben sind nicht dabei; Ralf Hütter hat irgendwann mal entschieden, dass er sie nicht zum gültigen Repertoire rechnen möchte. (Wie ich aus gewöhnlich gut informierten Kreisen höre, sind die ersten drei Alben bereits remastert und sollen als 2-CD-Box mit viel grafischem Material veröffentlicht werden, aber keiner weiß, wann. Und ob überhaupt.) Über diese Entscheidung kann man streiten. Ich finde ja, dass Autobahn noch deutlich dichter an Ralf & Florian anknüpft als an, sagen wir: Trans Europa Express, aber Hütter hat das so entschieden. Er hat sich offenkundig in die 12345678-Idee verliebt, und da er uns nichts schuldig ist, kann man das nur akzeptieren oder nicht. Deswegen übrigens glaube ich an kein neues Kraftwerk-Album mehr; eine 9 würde nicht mehr ins Konzept passen. Satt dessen hat sich Hütter für eine Art Never-ending-Tournee entschieden und uns davon jetzt eine Ansichtskarte geschickt -- auch nicht schlecht. Immerhin jedenfalls sind die Konzerte innerhalb von Minuten ausverkauft, und die Besucher sind durchweg begeistert, also macht er offenbar irgendetwas richtig.

Es ist noch darauf hinzuweisen, dass es dieses Paket auch auf Vinyl gibt. Außerdem gibt es das Gesamtpaket als 3D-Blue-Ray mit entsprechendem Sound, und alle, die das Ding in meinem Umfeld bisher gehört bzw. gesehen haben, sind begeistert. Ich kann dazu mangels entsprechender Anlage nichts sagen.


(Sorry, no English translation this time. Dieser Beitrag erschien zuerst bei manafonistas.de)