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Wednesday, July 20, 2022

Der Westcoast-Mythos

 


"Der Westcoast-Mythos -- Eine leicht verklärte Erinnerung", so hat Ingeborg Schober eine fünfteilige Serie überschrieben, die sie 1973 in Sounds veröffentlichte, der damals amtlichen deutschen Rockmusikgazette. Die Serie beruhte auf Interviews mit Bands, vielen Platten, Lillian Roxons "Rock Encyclopedia" und vor allem dem Besuch vor Ort: in der Bay Area zwischen Berkeley und Los Angeles.

Diese Serie liegt nun wieder vor, kompakt als ein schönes, jackentaschengerechtes Büchelchen mit knapp 160 Seiten, herausgegeben von Gabriele Werth als eine Art Nachlieferung zu ihrem Schober-Sammelband "Die Zukunft war gestern" (2021), und deutlich interessanter als es das Cover vermuten lässt. Es enthält neben Schobers Originaltext Faksimiles der Sounds-Seiten sowie zwei leicht gekürzte Kapitel aus ihrem Buch "Tanz der Lemminge" (1979) über die Band Amon Düül II.

Ingeborg Schober war nicht nur die erste Frau, die es im damals wie heute männerdominierten Musikjournalismus zu Ansehen brachte, sondern auch eine, die einen eigenständigen, sofort erkennbaren Ton entwickelte, und wenn man diesen Ton kennt, fühlt man sich sofort zu Hause. Dass sie es mit Fakten nicht immer allzu genau nimmt, verzeiht man gern -- so macht sie etwa Marty Balin zum Kanadier oder hört aus Songtexten falsche Zeilen heraus. Man muss im Kopf behalten, dass sie damals nicht auf das Internet zurückgreifen konnte.

Ihr Blick auf die Dinge ist deutsch. Nun kann man natürlich sagen: Klar, sie ist ja Deutsche, und ihre Leser degleichen, doch führt das gelegentlich dazu, dass sie deutsche Maßstäbe an amerikanische Gepflogenheiten anlegt, was dann zu falschen Einschätzungen führt. In manchen Fällen kennt sie auch einfach Infrastrukturen nicht; sie weiß zum Beispiel offenkundig nicht, wie Platten ins amerikanische Radio gelangen. Obendrein hält sie anscheinend die Bezeichnung "Frisco" für besonders schnittig, dabei ist Frisco eine Kleinstadt in Texas, und in SanFrancisco hört man diese Verballhornung gar nicht gern (dort spricht man, wenn es schon kurz sein muss, von "SF" oder schlicht "the City").

Das ist aber alles Kleinkram, über den man schnell hinwegliest. Denn Ingeborg Schober hat die Gabe, die Atmosphäre jener Jahre und Gegend einzufangen und so wiederzugeben, dass man sie fast zu spüren glaubt -- wie man natürlich auch sofort die alten Platten wieder ausgräbt oder den Streamingdienst seines Vertrauens auf Herz und Nieren prüft. Denn das ist klar: Der Westcoast-Mythos beinhaltete viel mehr Musik von viel mehr Bands als wir es heute noch wissen. Grateful Dead, Creedence Clearwater Revival, Janis Joplin with Big Brother & The Holding Company, CSN & Y, Blue Cheer, Sir Douglas Quintet, It's A Beautiful Day, die Byrds, die Turtles, Buffalo Springfield, Country Joe & The Fish und viele mehr kommen vor, und ihre damalige Bedeutung wird ebenso eingeordnet wie ihre Vielfalt. Dass die meisten davon, heute gehört, dann doch nicht mehr so recht überzeugen, kann eine überraschende Erkenntnis sein. Liest man, wie wild sich Jim Morrison auf der Bühne aufgeführt haben soll (ja, der legendäre Vorfall wird erwähnt, auch wenn niemand weiß, ob er überhaupt stattgefunden hat), dann staunt man doch, wie friedlich eigentlich die Musik der Doors war. Man ist heute ganz anderes gewohnt. Deutlich wird auch, dass nur wenige dieser Bay-Area-Bands mit der musikalischen Kompetenz von Jefferson Airplane mithalten konnten, die deswegen auch quer durch das Buch immer wieder vorkommen.

Dass die Musiker -- insbesondere Grace Slick, aber auch der anderen Bands -- sehr zugänglich waren, in der Regel nicht herumzickten und von Fans jederzeit angesprochen werden konnten, ist ein Phänomen, das wir bei heutigen durchgetakteten und securitygeschützen Festivals nicht mehr kennen. Das war das eigentliche San Francisco. Dass damals das politische Geschehen im Umfeld der Bay Area, der Universitäten, der Bands und Jahre dramatisch überschätzt wurde, verwundert aus heutiger Sicht nicht -- wie man auch manchmal darüber staunt, dass (auch von Ingeborg) bereits mittelgroße kommerzielle Erfolge als "beginnender Ausverkauf" angesehen wurden. Als ob die Plattenindustrie jemals ein Wohltätigkeitsverein hätte sein können und/oder wollen. Im Normalfall aber hält Ingeborg Schober einfach als Chronistin fest, dass man das so sah, widerspricht aber auch nicht. Sie schreibt als Teil der Szene, die sie beschreibt.

Man hat das Buch an zwei Abenden durch, und man freut sich, dass es das alles mal gab und dass dieser Text jetzt wieder zugänglich ist. Ingeborg, wenn sie es wüsste, würde sich riesig darüber freuen -- leicht verklärt.



Ingeborg Schober:
Der Westcoast-Mythos
Eine leicht verklärte Erinnerung
Herausgegeben von Gabriele Werth
Edition kopfkiosk im Verlag Andreas Reiffer, Meine 2022
ISBN 978-3-945715-76-5; 11,50 Euro


(Dieser Post erschien zuerst in manafonistas.de)


Monday, November 29, 2010

Ingeborg Schober 1947 - 2010





As I had to learn a couple of days ago (and only by coincidence), Germany's "Grande Dame" of music journalism, Ingeborg Schober, passed away on June 10, 2010, in Munich after severe illness.

If there was one music journalist in Germany who really knew the electronic rock music scene, it was she. Already in the late 1960s she attended this scene as a freelance writer for music magazine "Sounds" and "Süddeutsche Zeitung"; also later, when she hosted "Zündfunk" at Bavarian Radio, she portrayed the bands and musicians - always with affection, but never uncritically. And she knew them all, face to face: Tangerine Dream, Florian Fricke, Eberhard Schoener, Can, Cluster, Brian Eno, the Penguin Café Orchestra, all the important players. For all her lifetime she kept a postcard Kraftwerk's Ralf and Florian had sent to her from their "Autobahn" tour through the U.S. And from the beginning nobody was more aware of the main paradoxon of Germany's electronic music scene - to try to "idolize and to conquer the moon at the same time."

Her book "Tanz der Lemminge" ("Dance Of The Lemmings") about the story of the band Amon Düül II, first published in 1979, is one of the few books about rock music I read more than once, and probably not for the last time. This book says more about the German rock scene than any other book. And more: Because Ingeborg Schober conncets this story with several episodes of her own life, this book delivers a personal panorama that provides better informations on the way the Federal Republic of Germany ticked in the 1970s than long sociological essays. It's a pity that "Tanz der Lemminge" is not available in English; for sure the book would clarify a lot of nonsense about the so-called "krautrock" circulating in England and in the U.S. for several years now.


Ingeborg Schober will be missed.

The "Süddeutsche Zeitung" reprinted an essay by Ingeborg Schober about Germany's electronic pop landscape here (German language only, I'm sorry).



Am 10. Juni 2010 ist, wie ich erst jetzt (und auch nur durch Zufall) erfahren habe, die "Grande Dame" des deutschen Musikjournalismus, Ingeborg Schober, nach schwerer Krankheit in München verstorben.

Wenn irgendeine Musikjournalistin in Deutschland die elektronische Popmusik verstanden hatte, dann sie. Bereits ab Ende der sechziger Jahre hat sie diese Szene als freie Journalistin in "Sounds" und der "Süddeutschen Zeitung" begleitet; auch später als BR-"Zündfunk"-Mitarbeiterin hat sie die Bands und Musiker portraitiert - immer mit Sympathie, aber nie unkritisch. Und sie kannte sie alle persönlich: Tangerine Dream, Florian Fricke, Eberhard Schoener, Can, Cluster, Brian Eno, das Penguin Café Orchestra, alle, die wichtig waren. Stets hielt sie die Postkarte in Ehren, die ihr Ralf und Florian von Kraftwerk von ihrer "Autobahn"-Tour aus den USA geschickt hatten. Und es hat auch niemand treffender als sie auf einen Grundwiderspruch der deutschen Elektronikszene hingewiesen - den Mond "gleichzeitig anhimmeln und erobern" zu wollen.

Ihr Buch "Tanz der Lemminge" über die Geschichte der Band Amon Düül II, erstveröffentlicht 1979, gehört zu den wenigen Rockmusikbüchern, die ich mehrmals gelesen habe, und sicherlich noch nicht zum letzten Mal. Denn dieses Buch verrät mehr über die deutsche Rockmusikszene als jedes andere. Mehr noch: Weil Ingeborg Schober diese Geschichte mit etlichen Episoden ihres eigenen Lebens verbindet, ergibt sich ein persönliches Panorama, das besser als lange soziologische Studien Aufschluss darüber gibt, wie die Bundesrepublik Deutschland der siebziger Jahre getickt hat. Leider liegt "Tanz der Lemminge" nicht auf Englisch vor; ganz sicher würde das Buch manchen Unfug geraderücken, der seit einiger Zeit in England und den USA über den sogenannten "Krautrock" zirkuliert.


Ingeborg Schober wird fehlen.

Die "Süddeutsche Zeitung" hat hier einen Essay von Ingeborg Schober über die elektronische Poplandschaft Deutschlands wiederveröffentlicht.