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Sunday, September 8, 2024

Amelia

 

 

"Die Leute haben geklatscht, wie man das halt so macht. Aber ich wäre am liebsten im Boden versunken. Eine sinfonische Komposition war ein Novum für mich. Ich hatte keine Ahnung, wie man so was macht. Nie wieder, sagte ich mir."

Laurie Anderson in einem NZZ-Interview über die Premiere von Amelia im Jahr 2000. Aber der Dirigent des Werkes, Dennis Russell Davies, sah die Sache offenbar nicht ganz so katastrophal und behielt das Stück im Kopf. Einige Jahre später schlug er Laurie vor, es ein zweites Mal zu riskieren, diesmal aber mit auf die Streicher reduziertem Orchester. Das gefiel ihr schon besser.

Es dauerte dann nochmals einige Jahre, bis Davies, der inzwischen Chefdirigent der Philharmonie Brünn geworden war, ihr vorschlug, das Werk nochmals auf die Bühne zu stellen. Den Mitschnitt dieser Version bearbeitete Laurie nach: Mit allerlei elektronischen Tricks aus ihrer eigenen Werkstatt und einigen Mitteln, die man aus der Hörspielproduktion kennt, veränderte sie Teile ihrer Sprechstimme (tatsächlich sind es wohl um die zehn verschiedene Stimmen, die sie so erzeugte), fügte Perkussionsinstrumente hinzu und heuerte als ergänzende Vokalistin die Künstlerin Anohni an. Das Ergebnis gibt es nun als Platte. 

Als ich meiner Liebsten erzählte, von Laurie Anderson sei eine Platte über Amelia Earhart zu erwarten, war ihre Reaktion, ob man denn da nichts Interessanteres hätte finden können. Ich wusste nicht, dass die amerikanischen Kinder mit der Geschichte dieser Flugpionierin schon in der Schule zugeschüttet werden. Insofern war ich ein bisschen skeptisch, was da wohl kommen würde.

Das Resultat ist trotz des recht sanften Gesamteindrucks kein Easy Listening. Es ist, soweit ich erinnere, das erste Mal, dass Laurie Anderson eine durchgehende, in sich geschlossene Geschichte erzählt, und die Platte erzeugt ein irgendwie ungutes Gefühl; man weiß ja, wie sie enden wird. Schockmomente gibt es aber nur selten, und selbst sie sind eher relativ. Das ist einerseits ein bisschen verblüffend, denn immerhin geht es um die versuchte Weltumrundung, die Amelia Earhart 1937 als erste Pilotin startete und die für sie und ihren Co-Piloten tödlich endete. Andererseits aber würden solche Ausbrüche wohl nicht mehr zu Lauries inzwischen doch sehr gereifter Stimme passen. Insgesamt ist das Werk eher harmonisch gehalten, verfügt aber dennoch über die Anderson-typische Intensität, die man von ihr kennt. Und die hält bis zum Ende, das nach 34 Minuten eher angedeutet als ausgespielt wird.

Wir folgen dem Flug, bis über dem Pazifik der Funkkontakt abbricht. Es gab später mehrere Suchaktionen, aber bis heute sind die Trümmer der Maschine nicht gefunden worden. Laurie verwendet unter anderem Texte, die auf Protokollen des Funkverkehrs, auf Interviews während Zwischenlandungen und Flugtagebüchern basieren. Der vollständige Text liegt der LP bzw. der CD bei; man muss ihn mitlesen, weil die Dramaturgie der Aufnahme einige Passagen fast unkenntlich macht.

Als nächstes soll dann wohl entweder United States, Part V folgen (für mein Gefühl vielleicht nicht unbedingt die beste Idee), oder, so ließ Laurie in einem "Guardian"-Interview verlauten, "von einem Schiff namens Arche." Warten wir's ab.

Frühbesteller des Albums Amelia erhielten zusätzlich eine signierte Druckgrafik im LP-Format. Sie zeigt ein seltenes, Fliegern aber bekanntes Phänomen: einen ringförmigen Regenbogen, der den Schatten des Flugzeuges auf der Regenwand umschließt. Ein passendes Bild.



 

Friday, August 21, 2020

A Walk Through Puppet Motel

Erinnert sich noch jemand an das Zeitalter, als CD-ROMs als die Zukunft der Bildungsvermittlung galten? Als allenthalben von "virtueller Realität", "digitalen Opern" und "interaktiven Filmen" geschwärmt wurde? Die dann allerdings alle miteinander kaum je entstanden, weil niemand so recht wusste, wie man diese neuen Möglichkeiten halbwegs sinnvoll nutzen könnte? Die wenigen Beispiele, die es gab, waren meist wie ein Restaurant, in dem man selber kochen musste (mit freundlichen Grüßen an den damaligen RTL-Chef Helmut Thoma, von dem dieser Vergleich stammt).

Schon wenige Jahre später war die CD-ROM vergessen. Das Internet war einfach schneller, ließ viele Mitwirkende zu, und konnte -- anders als die CD-ROM -- aktualisiert werden.

 

Es gab auch Kunst auf CD-ROMs. Laurie Anderson brachte 1995, basierend auf einem Song ihres Albums Bright Red, die CD-ROM Puppet Motel auf den Markt. Eine virtuelle, interaktive Tour durch die Räume eines Motels, entwickelt zusammen mit dem taiwanesischen Künstler Hsin-Chien Huang. Es war kein Erfolg und obendrein ein kurzes Vergnügen: Die Firma, die die CD-ROM auf den Markt gebracht hatte (The Voyager Company), ging sehr bald pleite. Die CD-ROM ließ sich nur auf einem bestimmten Apple-Modell abspielen, das es schon bald darauf nicht mehr gab. Heute gibt es schon lange keine kompatiblen Geräte mehr.

Nun hat sich wohl doch einmal jemand in ein Computermuseum begeben und sich den Spaß gegönnt, eine Tour durch alle Räume des Puppet Motel aufzuzeichnen. Zur Besichtigung bitte hier entlang:

 

 

Laurie Anderson ist auch heute noch eine virtuelle Reise wert.

Friday, November 29, 2019

Laurie Anderson: All the Things I Lost in the Flood




I first ignored this book for cost reasons ($75!) and because I thought it would only be an addition to Laurie Anderson's album Landfall with Kronos Quartet (see here). But when I found a used copy for less than half the amount, I couldn't resist.

And I was wrong; this book has much more to offer than just Landfall. "All the Things I Lost in the Flood" (left: book cover, right: slipcase) is Laurie's personal retrospective -- not on all her works (that would be too much), but on many of them. As the subtitle says: "Essays on Pictures, Language and Code". She lost a lot of things when her basement got flooded, but she doesn't whine after them, she takes the misfortune as an opportunity to look back, sometimes with a touch of irony, sometimes with a touch of melancholy, usually not deadly serious. She offers views on her life and family background and her start as an artist, and what we get here is more than Roselee Goldberg's Anderson biography from 2000 had to offer.

Laurie speaks about the first-person narrative in her performances which, as she puts it, might be personal but never private. We hear about some important collaborators without whom she wouldn't have been able to design and assemble several of her technical works -- like sound designer and technician Bob Bielecki who built several of Laurie's modified violins and other stage gadgets, the Headphone Table (1978) or the Talking Statues; or Hsin-Chien Huang who collaborated for the interactive virtual room installation Aloft (2017). She talks about how and why she uses projections and stage gadgets.

Every chapter starts with a short text in a computerized phonetic alphabet Laurie developed herself. She writes about and documents not only the works itself in essays and pictures, she also gives some information about their making, sometimes spiced up with nice little anecdotes. In one of her earliest performances, Duets On Ice (1975), she played a modified violin while her shoes where frozen into two blocks of ice; the performance ended when the ice was molten away. She performed this at some public places in a couple of Italian cities. An Italian guy obviously traveled after her and was always present at her appearences and unaskedly and rich in gesture explained to the (usually small) audience what she was doing and why she probably did it. Must have been an early fan.

She tells how at the Nova Convention in 1978 she met William S. Burroughs who, with his unforgettable voice, later appeared in "Sharkey's Night" on her album Mister Heartbreak. A sample from this track (the lines "listen to my heartbeat") were transformed into a tune in the film Home Of The Brave (where she also slow dances with him across the stage). Alas, she does not tell us why this film was never released on DVD although it was announced. However, on Youtube you can watch a full version, technically perfect because obviously taken from the laser disc. The Nova Convention was also the place where Laurie discoverd the harmonizer which she used to transfer her voice into a sort of male voice, "the voice of authority", as she calls it. Later, Lou Reed gave this character the name "Fenway Bergamot". Other parts of the book are about the "United States" performance, her works as artist in residence at NASA, her latest film Heart Of A Dog.

I have to admit that not everything Laurie did becomes completely clear to me, but that might be my problem. Her concerts for dogs, to name an example, doesn't make much sense to me. But obviously it was her beloved rat terrier Lolabelle who put this idea into her brain. Laurie's increasing connection to Buddhism is a permanent companion in the book. In the end, after the passing of Lolabelle, in the chapter "Time To Go", she fills several pages with chalk drawings of her dog's way through all stations of the Bardo (a topic she dealt with earlier already, see here).

The book, it has to be said, is physically heavy and formatted in square, which makes it unpleasant to hold; the text in small print makes it even worse ... well, you can't have it all. The best idea probably would be to put it on a table to read it. It's a very nice book, 320 pages, I enjoyed it, and probably it would also make a great Christmas gift, in case you still need one.

Laurie Anderson
All the Things I Lost in the Flood
Rizzoli Electra, 2018
ISBN-10: 9780847860555
ISBN-13: 978-0847860555



(This post was first published on manafonistas.de)

Wednesday, October 9, 2019

Schöner sterben mit Laurie

Vor einiger Zeit hatte ich in irgendeinem Manafonistas-Kommentar nebenbei die Frage aufgeworfen, ob Laurie Anderson eigentlich schon immer Buddhistin war oder erst seit neuerer Zeit. Sie hat, wie ich inzwischen weiß, erste Fühlung bereits in den Siebzigern in den Künstlerkreisen von SoHo aufgenommen, sich dann aber nicht weiter darum gekümmert. Erst in den Neunzigern scheint sie dann ernsthaft in den tibetischen Buddhismus eingestiegen zu sein; offenkundig unter dem Eindruck Lou Reeds, John Cages und Philip Glass' (letzterer ist u.a. Mitgründer des buddhistischen Tricycle-Magazins). Ebenfalls in den Neunzigern sprach sie Texte des Dalai Lama für ein Hörbuch.

Und nachdem schon Lauries zurückliegende Alben Heart of a Dog und Landfall recht jenseitig orientiert waren, geht es nun um buchstäblich die letzten Dinge -- beziehungsweise die Dinge zwischen Ende und Neuanfang.





Das Projekt Songs from the Bardo ist 2014 live aufgeführt worden und liegt nun als Studioeinspielung vor. Über einen durchgehenden, sich laufend verändernden Klangteppich spricht Laurie Anderson die Unterweisungen des "Bardo Thodol", auch bekannt als das "Tibetische Totenbuch". Sie selbst spielt Violine, begleitet wird sie von Tenzin Choegyal (Gesang, Gongs, Lingbu, tibetische Bambusflöte, Dranyen, Klangschalen), Jesse Paris Smith (Klavier, Gongs und Klangschalen), Rubin Kodheli (Cello) und Shahzad Ismaily (Perkussion).

Der Begriff "Bardo" steht in der tibetisch-buddhistischen Lehre für "Zwischenzustand" oder "Übergang". Beschrieben werden im Totenbuch (sehr vereinfacht gesagt) die drei Stadien der physischen und psychischen Ereignisse im Sterbeprozess, im Moment des Todes und des Danach. Eine Reihe von Unterweisungen sollen dem Sterbenden vorgelesen werden, um ihn durch die Tage nach dem Tod zu führen und ihm den Weg durch die Erscheinungen zu weisen, mit denen er zu rechnen und auf die er gegebenenfalls zu reagieren hat: die Wahrnehmung des Klaren Lichts, die karmischen Illusionen, die sich als friedvolle und zornige Gottheiten und als sich ständig ausbauendes Mandala zeigen, und die Ereignisse beim Eintritt ins Nirvana oder der möglichen Wiedergeburt -- immer begleitet von dem Hinweis, dass es sich bei allem, was zu sehen oder zu hören ist, um Projektionen des eigenen Geistes handelt. (Es verwundert nicht, dass Timothy Leary diese Teile des Tibetischen Totenbuches vor vielen Jahren einmal in eine Art Reiseführer umgearbeitet hat, der lange Zeit auch als Raubdruck kursierte.)

Man kann die Songs from the Bardo unmöglich im Hintergrund laufen lassen. Die Platte zieht den Hörer in ihren Bann. Lauries (inzwischen deutlich gealterte) Stimme und ihre hochkonzentrierte Sprechweise zwingen zum Zuhören -- auch dann, wenn man vielleicht mit der Thematik des Albums wenig anfangen kann. In letzterem Fall sind die 14 Tracks zumindest eine Reise in eine faszinierende Gedankenwelt. Es ist auch sicher kein Zufall, dass die Platte nicht bei Lauries Hauslabel Nonesuch erschienen ist, sondern bei Smithsonian/Folkways. Das Booklet enthält umfangreiche Texte über das Projekt und die Ausführenden, leider allerdings nicht den von Laurie gesprochenen Text, den man eigentlich gerne mitlesen würde. Man findet den Wortlaut des Totenbuches aber in verschiedenen Übersetzungen im Web.

Alsdann: Awakened One, listen without Distraction.

Hartes Brot, aber es lohnt sich.

Friday, October 23, 2015

A dog's life


Erster Höreindruck: Laurie Anderson macht das, was sie schon immer am besten konnte: Geschichten erzählen.

Heart of a Dog ist der Soundtrack zu ihrem gleichnamigen Film, co-produziert von HBO und Arte, der dieser Tage in ausgewählten US-Kinos erschienen ist. 

Lolabelle, Laurie Andersons verstorbener klavierspielender Rat Terrier, ist der rote Faden. An diesem entlang meditiert die Künstlerin in 27 durchweg eher kurzen Tracks über den Terroranschlag vom 9. September 2001 (mit dem Laurie, wie überhaupt sehr viele Amerikaner, noch immer nicht durch ist), über den Tod ihrer Mutter, über aktuelle politische Themen, über die Absurditäten des Alltags, und überhaupt über Geburt und Tod und alles, was dazwischen ist.

Es gibt nur wenige gesungene Stücke, dafür viel Text, der über musikalische Hintergründe, Klangcollagen und O-Töne gesprochen wird. Zum Soundtrack gehören Ausschnitte aus Laurie Andersons früherem Programm Homeland, aus den Alben Bright Red und Life on a String sowie aus Landfall, ihrer Zusammenarbeit mit dem Kronos Quartet. Einige der Stücke scheinen Livemitschnitte zu sein.

Das letzte Wort hat Lou Reed, dessen „magnificent spirit“ die Platte auch gewidmet ist.


Late Night Music, zum Zuhören.



First listening impression: Laurie Anderson does what she always did best: She's telling stories.

Heart of a Dog is the soundtrack of her film of the same name, co-produced by HBO and German-French TV station Arte, that currently appeared in selected movie theaters in the U.S. 

Lolabelle, Laurie Anderson's late piano-playing rat terrier, is the main subject. Along this leitmotif the artist meditates in 27 predominantly short tracks on 9-11 (as many Americans, Laurie is still not through with it), her mother's passing, current political topics, everyday absurdities -- birth, death and everything between.

There are only few sung tunes on this record, but a lot of words, spoken over musical backgrounds, sound collages and original soundbites. The soundtrack contains excerpts from Laurie Anderson's earlier stage performance Homeland, from her albums Bright Red and Life on a String, as well as from Landfall, her collaboration with Kronos Quartet. Some of the tracks seem to be live recordings.

The last word has Lou Reed, to whose "magnificent spirit" this record is dedicated.

Late night music, for listening.


(The German version of this blog entry was published first on Manafonistas.)